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Die alte Stadt und das Meer. Der Hafen und die mittelalterlichen Bauten prägen das Stadtbild von La Rochelle.

© Fabienne Hurst

Frankreich: 48 Stunden in La Rochelle

Georges Simenon verbrachte hier an der Atlantikküste seine schönsten Jahre. Verständlich – bei einer Stadt, in der man schon zum Frühstück Rosé trinkt.

10:00

Der Lastenrad-Fahrer mit Riesensonnenbrille und Strohhütchen hupt drei Mal, als er quietschend vor dem „Alcazar“ in der Rue Gambetta zum Stehen kommt. „Comme d’hab!“ ruft er, „wie immer“, schwingt das Bein über den Sattel und drinnen lässt Raphael, der Wirt, den Espresso in die Tasse laufen. In seinem kleinen Café am westlichen Eck der historischen Markthalle von La Rochelle (74 000 Einwohner) beginnen die Altstadtbewohner gern ihren Tag mit schwarzem Kaffee, Croissants und dem neusten Tratsch. „La Rochelle ist ein Dorf, hier kennen sich alle“, sagt Jean Baptiste Mory, der radelnde Delikatessenkurier. Er verdient sein Geld damit, Restaurants mit Baguette, Wein, Käse und Austern zu beliefern. Wartezeiten überbrückt er auf der Terrasse mit den zu Tischen umfunktionierten Holzfässern. Vor allem samstags und mittwochs ist er ein gefragter Mann, dann verwandelt sich das ganze Viertel in eine einzige Marktmeile voller Fisch-, Obst-, Gemüse- und Blumenständen und kein Auto kommt durch. Auf die Frage, was man in La Rochelle unbedingt probieren müsse, empfiehlt er grinsend das traditionelle Austernzüchterfrühstück: ein halbes Dutzend Austern und dazu ein Glas Rosé. Schließlich sei ja schon fast Mittag.

11:00

La Rochelle verdankt seine heutige Existenz einem militärischen Abkommen. Die Alliierten lassen die eingekesselten Deutschen in der Stadt am Leben, dafür zerstören diese weder Häuser noch Hafen. Im Oktober 1944 fädelten der deutsche Festungskommandant Schirlitz und der französische Unterhändler Meyer diese „Konvention von La Rochelle“ ein, weshalb die mehr als 800 Jahre alte Altstadt komplett erhalten blieb. Heute stehen am Marktplatz die ältesten Fachwerkhäuser der Stadt, zwei windschiefe Überbleibsel aus dem Mittelalter. Sie sind umgeben von sandfarbenen Renaissancebauten und gotischen Arkaden, unter denen sich die schicken Rochelais auf klackernden Absätzen von Boutique zu Boutique shoppen.

Lieferservice. Jean Baptiste Mory bringt mit seinem Rad Delikatessen zu Restaurants.
Lieferservice. Jean Baptiste Mory bringt mit seinem Rad Delikatessen zu Restaurants.

© Fabienne Hurst

13:00

Elegant säbelt der Verkäufer ein Stückchen vom wohltemperierten Trüffel-Camembert und reicht ihn seinem Kunden: „Wollen Sie noch einen probieren – den Tomme de vache vielleicht?“ Die Käseauswahl wird in der Fromagerie „L’épicurium“, (6 Rue Gargoulleau) zur regelrechten Identitätsfrage. An die eigene Lieblingssorte muss man sich herantasten. Ganze 200 stehen zur Wahl. Kräftig, würzig, nussig, mild, scharf, ziegig oder in Asche verpackt – welcher Typ sind Sie?

14:00

Zusammen bilden sie das unverkennbare Wahrzeichen der Stadt: die drei Türme Saint-Nicolas, Tour de la Chaîne und Tour de la Lanterne am alten Hafen. Hier liegen Segelschiffe und Ausflugsdampfer zu den nahen Inseln im Golf von Biskaya. Und die „Bus de mer“, batteriebetriebene Pendelbötchen, die Besucher von der einen Uferseite zur anderen bringen. Steuermann Jérémy lenkt den Kahn durch die beiden großen Türme hindurch. Vielleicht weiß er, was es mit dem Stadtmotto auf sich hat, das einem hier ständig begegnet: „La Rochelle, belle et rebelle“?

Es habe mit der selbstbewussten, aber tragischen Vergangenheit der ehemaligen Protestantenhochburg zu tun, erzählt er. Denn die massiven Wehrtürme sollten Jahrhunderte lang nicht nur spanische, englische und niederländische Flotte in Schach halten, sondern auch die des französischen Königs.

Für die Rochelais ist es eines der wichtigsten Ereignisse ihrer Stadtgeschichte die „große Belagerung“ von 1627. Damals stemmten sich die protestantischen Stadtbewohner gegen den erzkatholischen König. Weil die Festungsstadt von der Landseite eisern verteidigt wurde, ließ Ludwig XIII vor der Küste einen zwölf Kilometer langen Damm aufschütten. Sein Ziel war es, jegliche Versorgung durch die Engländer über den Seeweg zu kappen. Ein Jahr lang hielten die Rochelais durch, dann gaben sie ausgehungert auf. Von den 28 000 Einwohnern hatten nur 5000 den Hunger überlebt.

Abends ist in den Bars und Kneipen immer viel los

Restauriert. Die „Notre Dame des flots“ kann im Museumshafen besichtigt werden.
Restauriert. Die „Notre Dame des flots“ kann im Museumshafen besichtigt werden.

© Fabienne Hurst

16:00

Gleich hinter der Tour de la Chaîne beginnt die „Rue sur les Murs“, eine 600 Meter lange begehbare Mauer aus hellen Pflastersteinen. Einfach den Möwen folgen und schon eröffnet sich eine kleine Überraschung: ein Badestrand! An warmen Tagen stecken die Städter am „Plage de la Concurrence“ ihre Sonnenschirme in den Sand oder bestellen im „Café des Bains“ ein kaltes Panaché, wie das Radler in Frankreich heißt. Wer hier schwimmen gehen will, kommt am besten bei Hochwasser – bei Niedrigwasser verwandelt sich der Strand in eine schlammige Mondlandschaft. Boule spielen geht aber immer.

19:00

In ganz Frankreich gibt es wohl keine Stadt mit mehr Kneipen pro Einwohner als La Rochelle – und auch das hat historische Gründe. Wenn im alten Hafen früher große Schiffe anlegten, hatte die Besatzung oft wochenlang weder festen Boden unter den Füßen, noch Gelegenheit zum Feiern gehabt. So sind vor allem im „Quartier Saint-Nicolas“ zahlreiche Pubs und Bars entstanden. Vor Frédéric Baudrys „Cave de la Guignette“ versammeln sich in der „Apéro-Zeit“ zwischen 19 und 21 Uhr Menschen, die sich lachend und johlend an den Stehtischen drängen. Sie halten Flaschen mit hellgrünem, gelben oder rötlichem Fruchtwein in der Hand. Die „Guignette“, eine Erfindung Baudrys, der den Aperitif im nahegelegenen Cognac selbst brennt. „Es ist meine Art, hier ein bisschen Moderne reinzubringen“, sagt Baudry. Viel Spielraum habe er schließlich nicht: Als er die historische Seemannskneipe von einer alten spanischen Schnapshändler-Dynastie übernommen hat, verpflichtete er sich, am Original-Interieur niemals etwas zu verändern. Deshalb riecht es in dem dunklen Weinkeller noch heute nach Holzfässern und Trester – wie vor mehr als 80 Jahren.

21:00

Baudrys Tipp für ein spätes Abendessen: die idyllische Place de la Fourche, wo sein Kumpel Olivier Tétaud ein kleines Restaurant führt, den „Panier de Crabes“. Auf der Speisekarte stehen frische Meeresfrüchte, eine Käseplatte und sonst nichts. Der tätowierte Mittvierziger serviert Krevetten, Taschenkrebse, Meeresschnecken und Austern ganz traditionell mit frischem Baguette, Schalotten in Rotweinessig und einer hausgemachten Estragonsauce. Wegen des unschlagbaren Preis-Leistungs-Verhältnisses und der gemütlichen Atmosphäre ist es besonders bei Einheimischen beliebt. Wie verirrt wirkt eine in der Ecke speisende Touristengruppe aus Belgien, denn die meisten Gäste kennen Tétaud seit Jahrzehnten und tummeln sich an der Theke. Je später der Abend, desto schwerer fällt es dem Wirt dann auch, seine Stammgäste im Zaum zu halten: „Dies ist keine Bar, das ist ein Restaurant!“, ruft er immer wieder – kann ein Schmunzeln aber nicht unterdrücken.

Unbedingt probieren: Blutwurst im Brikteig

Ruhe vor dem Sturm. Am Abend wird es voll im Quartier Saint-Nicolas.
Ruhe vor dem Sturm. Am Abend wird es voll im Quartier Saint-Nicolas.

© Fabienne Hurst

10:00

La Rochelle hat den wahrscheinlich mondänsten Vorort Frankreichs: die Île de Ré. Eine drei Kilometer lange Brücke verbindet die Stadt mit der „weißen Insel“ im Golf von Biskaya. Günstiger und schneller als die Ausflugsschiffe im alten Hafen ist der Bus, der stündlich von der „Place de Verdun“ zum Inselhauptort Saint-Martin-de-Ré fährt. Hier verbringt die Pariser Bourgeoisie ihre Sommer, und das sieht man: lange, gepflegte Sandstrände, blitzblanke Segelschiffe und Yachten und alle Gebäude sind weiß getüncht. Das ist Vorschrift. Im schicken Freizeithafen bieten viele kleine Cafés und Bistros Gelegenheit für ein spätes Frühstück – oder eine Portion der berühmten „Moules Frites“, Miesmuscheln mit Pommes.

12:00

Größer könnte der Kontrast zu der malerischen Idylle des Ferienortes nicht sein. Nur wenige hundert Meter vom hübschen kleinen Yachthafen erhebt sich die gewaltige Festungsanlage mit Zitadelle, die im Jahr 1681 zum Schutz der Insel erbaut und als Lager benutzt wurde. Im 19. Jahrhundert diente sie als Gefängnis und Zwischenstation für Galeerenhäftlinge sowie Strafarbeiter, die von hier aus in die Kolonien deportiert werden sollten. Noch heute werden hier Gefangene verwahrt, die zu langen Haftstrafen verurteilt sind, und deren Resozialisierung als chancenlos gilt. Die äußeren Festungen lassen sich besichtigen, ebenso wie die zahlreichen Forts, Bunker und massiven Leuchttürme um die Insel herum.

15:00

Zurück in La Rochelle, im Einkaufs- und Ausgehviertel „Le Gabut“ südlich des alten Hafenbeckens. Die bunt bemalten Holzhäuser bilden am Ufer einer kleinen Marina den „Quai Georges Simenon“. Der belgische Krimiautor kam 1927 zum ersten Mal in die Gegend, angeblich um sich von seiner unglücklichen Affäre mit der Tänzerin Josephine Baker zu erholen. Er soll sich so sehr in die Stadt verliebt haben, dass er später seinen Wohnsitz für einige Jahre in die Gegend verlegte und allein 19 Romane schrieb, die in La Rochelle und im Umland spielen. Wer einen Blick ins Gästebuch seines Stammlokals, dem „Café de la Paix“, wirft, liest dort seine Widmung: „In Erinnerung an die glücklichsten Jahre meines Lebens.“

17:00

Einst lag die „Notre Dame des flots“ als halbversunkenes Wrack im Industriehafen von Dunkerque und verrostete, bis Jean-Pierre Desprès das Segelschiff restaurierte. Über 40 Jahre später wohnt er darauf in einer Schiffs-WG zusammen mit dem Skipper.

Wenn sie nicht gerade von Südspanien nach Schottland schippern, ankern sie im zentralen Museumshafen von La Rochelle neben zahlreichen denkmalgeschützten Segelschiffen. Dann sitzt Desprès Pfeife rauchend an Deck und plant die nächste Reise.

19:00

Ein Stilmix aus Glas, Holz und Schiefer in geschäftigem Ambiente: Im „PRAO“, 10, Rue Saint-Nicolas verkehren moderne Feinschmecker, die trotz aller Aufgeschlossenheit niemals auf Klassiker der französischen Küche verzichten würden. Umso besser, dass das Küchenteam Gerichte wie Gänsestopfleber, Pasteten oder confierte Ente mit leichteren Komponenten kombiniert und so die traditionellen Rezepte ordentlich entstaubt. All-time-Lieblingsgericht: Blutwurst im knusprigen Brikteig mit Apfel-Zwiebel-Kompott. Unbedingt reservieren.

21:00

Die „France 1“ war früher mal Frankreichs Wetterschiff, heute thront sie mit ihren 76 Metern Länge und zwölf Metern Höhe mitten in La Rochelles Museumshafen. Vom 1. April bis zum 31. Oktober verwandelt sich ihr Deck in die schönste Outdoor-Bar der ganzen Stadt. Dann serviert ein Team aus Kellnern und Skippern ab Sonnenuntergang Tapas zu Gin-Tonic, französischer Reggaemusik und frischer Seeluft. Hoch ist hier die Wahrscheinlichkeit, einen Bekannten zu treffen: Jean Baptiste, den Fahrradkurier, Jérémy, den Steuermann, oder einen von Oliver Tétauds Stammgästen. Denn: „La Rochelle ist ein Dorf.“ Aber ein ganz besonders schönes.

Reisetipps für La Rochelle

ANKOMMEN

Von Berlin fliegen Easyjet und Transavia mehrmals die Woche nach Nantes und Bordeaux (100-200 Euro.) Von dort sind es noch etwa zwei Stunden Zugreise nach La Rochelle (rund 15 Euro).

UNTERKOMMEN

Nicht luxuriös, aber gemütlich, sehr günstig und gut gelegen ist das Hotel de la Paix (hotelalarochelle.com), nur zwei Gehminuten von der Markthalle in der Altstadt entfernt . Doppelzimmer kosten hier ab 70 Euro die Nacht. Im alten Fischereiviertel befindet sich das gediegenere „Hotel Saint Nicolas“ (hotel-saint-nicolas.com), direkt am hübschen Place de la Fourche. Die Zimmer kosten ab 90 Euro die Nacht.

RUMKOMMEN

Bei der Touristeninformation am „Quai Simenon“ erhalten Besucher kostenlose mehrsprachige Stadtpläne samt den Details für Rundgänge. Das Büro ist von Montag bis Samstag von 9 bis 13 Uhr und von 14 bis 18 Uhr, sonntags von 10 bis 13 Uhr geöffnet. Hier kann man sich auch für etwa einstündige Stadtführungen anmelden, die fünf Euro kosten.

AUFPASSEN

Beim sogenannten „Bunker“-Museum in der Innenstadt geht es um den Verschlag des deutschen Stadtkommandanten und nicht um den U-Boot-Bunker aus dem Film „Das Boot." Der liegt außerhalb der Stadt im Handelshafen und ist nicht öffentlich zugänglich.

Fabienne Hurst

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