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Industriechic. Die Graffitis in der Rezeption und auf den Etagen haben bekannte Berliner Künstler geschaffen.

© Catalonia Berlin Mitte

Hotelkolumne: In fremden Federn: Der neue Osten spricht Spanisch

Als Touristin in der eigenen Stadt: Das Catalonia in der Köpenicker Straße ist in iberischem Besitz, der Hinterhof ist Original Berlin.

Stell dir vor, es ist 3. Oktober, und du wachst im Osten auf. Öffnest die Vorhänge und guckst auf Plattenbau. Selbst die Laternen: made in GDR.

Hätte man das als West-Berlinerin vor 30 Jahren erlebt, man hätte es für einen Albtraum gehalten. Wäre plötzlich gefangen gewesen jenseits der Mauer, die hier, mitten auf der Köpenicker Straße, verlief. Und nun? Reihen sich an der Brückenstraße Gitti’s Bier Bar und Späti-Spaß, Asia Gondel und Orient Style Barber, Pizzeria und Thaimassage aneinander. Ost-westliche Normalität. Wahnsinn!, um ein strapaziertes Wort aus dem November ’89 zu benutzen.

Der neue Osten spricht Spanisch. Das Catalonia ist in iberischem Besitz, viele Mitarbeiter kommen aus der Heimat. Freundlichkeit ist das wichtigste Einstellungskriterium. Adios Siewerdenplatziert. Rotkäppchen oder Cava, an der Bar hat man die Wahl. Die Gäste laben sich am Industriecharme des Foyers, der Hinterhof ist Original Berlin.

Nie im Tresor gewesen, das wäre jetzt die Chance

Die Gegend entpuppt sich als wahres Hinterhofparadies. Wunderschön in der Rungestraße, die Wände gekachelt, die Tore verziert. Bis die Straße plötzlich zu Ende ist, das Heizkraftwerksgelände beginnt. Eine Trutzburg, mittendrin und in der Nacht hell angestrahlt. Ein Gefühl wie im Ruhrgebiet der 60er Jahre: Der Schornstein dampft. Hat man selten in Berlin.

Abends um elf zieht die Jugend über die Brücke, von der S-Bahn ins Leben. Noch wissen sie nicht, dass die Nacht an der Spree erst in ein paar Stunden anbricht. Da liegt die West-Berlinerin schon im warmen Bett des Hotels. Feigling! Nie im Tresor gewesen, das wäre doch jetzt die Chance. Der Club, für den einige Hotelgäste von weit her angereist sind, liegt gleich um die Ecke. Plakate an der Brückenstraße animieren ausdrücklich dazu, die Komfortzone zu verlassen. Versprechen Adrenalin und Ausnahmezustand, wenn man sich auf einen Abend der Überraschungen einlässt. Buchen Sie helmutsurprise. Die Website sieht allerdings mehr nach Helmut als nach adrenalingeschwängerter Surprise aus.

Am nächsten Morgen: Mauer gucken. Vor dem Märkischen Museum stehen ein paar Reste, fröhlich posieren Familien davor. Innendrin Berlin im Zeitraffer, klug gemacht. Man sieht die Raucherecke von Ernst Reuter, bestaunt den Jugendstilsalon des Starfriseurs von Wilhelm II., erfährt vom Spargel, den die Hugenotten in Moabit anbauten. Und hört Udo Lindenberg zu, wie er klagt, dass er sein Ost-Berliner Mädchen verlassen muss, um vor Mitternacht zurück im Westen zu sein. Wie hieß es doch im „Berlin City Guide“, der in der Hotellobby ausliegt: Happy German Unity Day!

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