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Altbau-Charme. Die Gäste in den Gorki Apartments übernachten in Wohnungen mit Klingelschild und eigenem Briefkasten.

© promo/Gorki Apartments

Hotelkolumne: In fremden Federn: Leben wie ein echter Berliner

Parkettboden, bodenlange Vorhänge, ein Esstisch aus Holz: Die Gorki Apartments am Weinbergsweg sind mietbare Illusionsräume.

Sandra also. So steht es auf dem Schlüsselanhänger, ihre Wohnung liegt im ersten Stock Vorderhaus, gleich neben der von Paula Hansen und Frau von P. Alles Legenden, erdachte Namen, die davon ablenken, dass die Apartments am Weinbergsweg keine echten Wohnungen, sondern mietbare Illusionsräume sind. Mit einem Zimmer bucht man den Glauben, man lebe wie ein Berliner. Schauen wir mal.

Diese Sandra hat Geschmack. Parkettboden, bodenlange Vorhänge, ein Esstisch aus Holz, dessen Maserungen die Finger ertasten können wie die Rillen einer Schallplatte. Im Kühlschrank stehen drei Flaschen, zwei Mal Wein, einmal Cremant. Im Besteckkasten liegen drei Teelöffel und Gabeln. Eine Frau mit einem Faible für Dreier. Vielleicht deshalb der Alkohol.

Diese Reduktion auf das Wesentliche könnte eine Reaktion auf den Namen sein. Sandra klingt nach dem Vulgären in der Hitparade, nach „Maria Magdalena“ und ondulierten Haaren. Dagegen hilft ausgesuchte Essenz. Draußen vor der Tür läuft es nicht anders. Entweder gibt es nur das Überflüssige oder das Überlebensnotwendige. Sandra kann bei „Superconscious“ Sneakers aus Dänemark kaufen oder in den Spätis um die Ecke Grundversorgungsmittel. Den Kunden des „Rosen Back“ scheinen Haarwaschmittel wichtiger zu sein als, sagen wir, Hinterschinken. Es gibt zwölf Shampoos im Angebot, 23 Stunden lang. Bei „Superconscious“ schleppt sich erst um elf Uhr ein Verkäufer in den Laden.

Das Times-Square-Gefühl am Rosenthaler Platz

Sandra könnte eine dieser Frauen sein, die morgens im „Café Fleury“ sitzt und mit einer Freundin über den Schreiberdarsteller lästert, der die Mütze über den Ohren zurechtzupft und in Intervallen etwas in sein Notizbuch kritzelt. Die ein Blick in die Zeitschriften wirft. „Missy“ oder „Myself“? Feministisch reisen in Ljubljana oder Fotostrecken für Landmode? Sandra, sag mir, wie du tickst.

Das Times-Square-Gefühl am Rosenthaler Platz würde sie sicher belächeln. Abends blinken die Lichter der Bars, Busse und Burgerbuden wie blöd, auf den fünf Straßen, die sich zu einem Betonstern vereinigen, hupen Autos, und eine eisige Böe nach Manhattan-Art schneidet in die Haut. Die Torstraße ist die Durchzugsallee von Mitte, wohin man sich auch wendet, Wind weht immer.

Ach, Sandra, schön, mit dir in die Wärme zu entkommen. In das Schlafzimmer mit der hohen Decke, an der die freigelegten Ornamente genau jene Blässe haben, um die Patina liebenswert zu finden. Sag nicht, du hast das renoviert. Wir beide wissen, dass das nicht stimmt.

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