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Inga Humpe: "Ich empfinde es als Privileg, dass wir im freien Berlin Popmusik machen dürfen."

© Thilo Rückeis

Inga Humpe im Interview: „Ich kann mir vorstellen, nach Wittenau zu cruisen“

Zuerst kam sie nicht mal ins „Big Eden“ – und doch entschied sie sich für Berlin. Die Sängerin Inga Humpe über die Therapie mit ihrer Schwester und das Licht Kaliforniens.

Frau Humpe, in einem Ihrer aktuellen Videos tanzen Mädchen in Warnwesten auf einem Hausdach in Berlin-Mitte. Das ist ja total 90er.

Ich hab’ fast geweint, als ich das gesehen habe. Als sei die Zeit stehen geblieben! Henning Gronkowski, der Regisseur, zeigt einfach, was die Leute so machen, wenn sie ausgehen. Überraschenderweise tun sie Ähnliches wie ich früher.

Ist das beängstigend oder schön?

Beides!

So wie die Rave-Kultur, die Sie beeinflusst hat?

Kann sein, ja. Ich hab’ den Summer of Love ’88 in England mitbekommen. Mein erster Rave fand in Wales statt, The KLF haben dort ihr Album live eingespielt, wir tanzten, tanzten, tanzten – und taumelten nachts im Stockdunkeln durch Kuhscheiße und Matsch zurück in ein altes Bauernhaus. Wie die Verrückten, unglaublich toll. Morgens wurden wir allerdings von den Kindern der Bauern dort gefilmt.

Wie lange dauerte Ihr längster Rave?

Das muss eine Loveparade gewesen sein. Ich weiß nicht mehr, welche.

Spricht das für die Party?

Donnerstag ging’s los. Am Montag wachte ich sozusagen auf, obwohl ich gar nicht geschlafen hatte. Ich saß in der Charité, weil ich ein Mädchen begleitet hatte, das einen epileptischen Anfall gehabt hatte. Markus Löffel …

… DJ Mark Spoon, der 2006 starb …

… hatte mir einen Drink gegeben. Dann Blackout meinerseits. Weiß nur noch, dass mich um fünf Uhr nachmittags eine Schwester anherrschte: „Gehen Sie nach Hause! Ihrer Freundin geht es gut!“ Und ich hatte einen riesig geschwollenen blauen Zeh von den hohen Stiefeln, die ich trug.

Sehen Sie sich gern Fotos aus dieser Zeit an?

Ja. Erst neulich hat mir jemand eins geschickt, da hab’ ich eine rote Perücke auf dem Kopf. Mein Gott, war ich schön dünn!

Haben Sie Klamotten von damals behalten?

Teilweise. Frank Schütte hatte mir ein Dress genäht – mit superkurzem Minirock, das war praktisch ein Gürtel. Damit lief ich vor dem verhüllten Reichstag herum. Pass’ ich leider nicht mehr rein.

Ihre neue Platte haben Sie fernab von Berlin-Mitte aufgenommen: in Los Angeles.

Wir wollten aus Berlin raus. Hier hatten wir uns eine hübsche Furche gegraben, in der wir auf und ab gingen. Immer die gleichen Abläufe: Büro, bisschen telefonieren, man geht ins Studio … auf Dauer macht das stumpf und antikreativ. Für unser erstes Album waren wir damals drei Monate auf Lanzarote, das hat wirklich gut funktioniert. Diesmal wollten wir aber irgendwohin, wo nicht nur Touristen sind. Da kamen wir schnell auf Kalifornien.

Ein guter Ort, um das Sommergefühl, für das 2raumwohnung so bekannt ist, zu konservieren.

Sommer, Winter – man versucht oft, etwas zu kategorisieren. Ich probiere, mich davon zu lösen.

Las Vegas ist grauenhaft

Was gefiel Ihnen in Los Angeles?

Der Sender KCSN. Die haben eine gigantische Songauswahl und tolle Moderatoren. Einmal habe ich dort drei Stunden lang mir völlig unbekannte Beatles-Titel gehört.

KCSN könnten Sie auch im Netz streamen.

Schon. Man kann ihn aber eben auch im schwarzen Mustang hören, der in Malibu im Stau steht.

Im Stau zu stehen finden Sie glamourös?

Ich kann mir auch vorstellen, nach Wittenau zu cruisen. In Berlin ist man ja immer bloß in seinen eigenen drei Ecken.

In Berlin fährt man am Wochenende an den Liepnitzsee, in L. A. nach Las Vegas?

Las Vegas ist ein Spezialfall. Grauenhaft. Diese Hotels mit den Casinos, die Clubs mit den VIP- und Super-VIP-Lounges, hinter denen eine weitere Kordel den Mega-VIP-Bereich abtrennt. 200 Dollar mehr, und dann kommt vielleicht Prinz Harry und es gibt drei Espresso umsonst. Ich bin sofort angepisst, wenn ich da nicht reinkomme.

Jeder, der aus Kalifornien heimkehrt, schwärmt vom Licht und dem Fast Food.

Das mit dem Licht stimmt wirklich. Ich finde, man sieht besser aus – der Pazifik reflektiert ein ganz weiches Licht auf L. A. Aber Fast Food? Nein. Dazu sind Tommi und ich zu öko. Wir haben bei „Whole Foods“ und auf dem Farmer’s Market in West-Hollywood eingekauft.

Da geht’s doch weniger um die Mohrrüben als darum, gesehen zu werden.

Wir haben Angelina Jolie und ihre Kinder beobachtet. Die kaufen tatsächlich dort ein.

Hören Sie die Stimmung von L. A. auf Ihrem Album?

„Ich dich auch“ haben wir dort geschrieben. Das beginnt mit einem riesigen, wellenartigen Kawumm, und dann trällert es so runter. Da haben wir uns vom Hip-Hop inspirieren lassen.

Eine Hommage an Udo Lindenberg

Ihre Texte sind manchmal wie assoziative Fetzen. „Greenpeace und Kollegen“, näselt es zum Beispiel wieder und wieder. Können Sie das erklären?

Na, was glauben Sie? Das ist eine kleine Hommage an Udo Lindenberg.

Sie hatten eine Session mit David Baerwald, dem Schöpfer von „All I wanna do / Is have some fun“.

Von David stammt der treffende Satz: „Du kannst in der Strophe über Seuchen singen, wenn im Refrain wieder alles gut wird.“ Das Lied, das Sheryl Crow gesungen hat, handelt ja auch von einem Alkoholiker, der am Santa-Monica-Boulevard rumhängt – aber hängen bleibt nur der leichte Chorus.

Was blieb von der Arbeit mit Baerwald?

In seinem Studio stand eine Pumpgun rum, also haben wir das Nachladegeräusch der Waffe aufgenommen: KLACK-KLACK. Ich bin auch lange durch Buchläden gestreift und studierte die Lyrics der großen alten Meister: Leonard Cohen, Neil Young, Paul Simon …

… Bob Dylan?

Kennen Sie „She belongs to me“? Der Songtitel hört sich erst mal käse an, aber dann: „She wears an Egyptian ring / That sparkles before she speaks“. Wie weit Dylan geht, wie individuell der seine Bilder verwendet! Mir kam die Erkenntnis: Es muss gar nicht immer alles so gefällig sein. Es ist natürlich Quatsch, dass jedes Mal, bevor sie spricht, der Ring anfängt zu glitzern – aber ist doch einfach ein tolles Bild dafür, wie einen etwas verzaubert.

Denken Sie: Warum ist mir das nicht eingefallen?

So was verdränge ich, weil das zu weh tut.

Sie lachen. Wir haben Informationen darüber, dass Sie sich vor Frust mehrere Wochen verkrochen haben, als Madonna „Material Girl“ veröffentlicht hat.

Ja, das stimmt. Weil ich erkannte: So einen Song zu schreiben, werde ich nicht schaffen.

Wie wirkte Berlin auf Sie, als Sie nach mehreren Monaten aus Kalifornien nach Hause kamen?

Mein Gott, was haben die Leute hier für eine verdammte Zeit! Es ist ruhig wie auf dem Bauernhof. Die Kalifornier beneideten uns. Wenn du sagst, du kommst aus Berlin, knien sie vor dir nieder – auch, weil das Gerücht geht, in Berlin habe man auf der Tanzfläche Sex. Haben wir natürlich bestätigt. In L. A. würdest du dafür ins Gefängnis gehen!

Sie stammen aus Herdecke, Ihr Vater war Konditor. An Sex auf der Tanzfläche war nicht zu denken.

Ganz und gar nicht. Aber Ende der 60er Jahre haben mich meine Eltern mal für vier Tage nach Berlin mitgenommen. Wir sind mit der Propellermaschine von Hannover nach Tempelhof. Ich hatte mir erkämpft, allein einen Ku’damm-Bummel machen zu dürfen. Da war eine Frau in einem Laden, die hatte lange, bunte Klamotten an und trug ein so unfassbares Lipgloss, dass mir der Atem stockte.

Sie wollten auch so sein?

Jedenfalls zog ich knapp zehn Jahre später nach Berlin. Es war kurz vor dem „Deutschen Herbst“ 1977, und …

… angeblich sind Sie sofort in eine Kreuzberger Kneipe gegangen, wo Sie RAF-Sympathisanten vermuteten.

Genau. Man guckt komisch rüber und hört zu, worüber die reden. Und dann passt man auf, ob jemand bemerkt, dass man guckt.

Warum der Staat nazimäßig rüberkam

Warum suchten Sie die Nähe der Terroristen?

Ich war sehr, sehr frustriert und enttäuscht. Ohne Vertrauen in den Staat.

Haben Sie den Staat damals überhaupt bemerkt?

Ja, natürlich. Der Staat kam in unserer kleinen Stadt ziemlich nazimäßig rüber. Einmal war ich Teil eines Sit-ins, das von der Polizei brutal aufgelöst wurde. Dazu gab es in der Familie Probleme. Das war ein Gefühl, wie vor einer Wand zu stehen. Jeder Wunsch nach Veränderung wurde mit den Worten abgetan: Ach, du spinnst doch. Irgendwelche Onkels schrien mich an: „Was wollt ihr denn, ihr Hippies?“

Und Sie so?

„Ich möchte, dass ihr Scheißer endlich nichts mehr zu sagen habt!“

Klingt nach Ohrfeige.

Das nicht, aber meine Mutter war enttäuscht und weinte. Es gab viele harte Worte damals. Ich hatte das Gefühl, ich kann denen nicht trauen, die hatten so viel Mist im Krieg gebaut. Irgendwann erfuhr ich, dass ein Onkel in der SS war. Ein totales Tabu.

Woher wussten Sie es dann?

Ich hab’ das aus meiner Mutter rausgequetscht. Wenn das Thema hochkam, brannte die Luft.

Sie hatten es doch gut. Sie konnten sich mit Ihrer Schwester Annette verbünden.

Innerlich bestimmt. Doch sie war zu diesem Zeitpunkt in einer anderen Stadt. Ich denke, wir haben eine ähnliche Abneigung gehabt. Zum Beispiel auch, dass wir den Lehrern nicht vertrauten. Ich hatte einen Erdkundelehrer, der ein Verhältnis mit einem Mädchen aus meiner Klasse hatte. Alle schwiegen das tot. Heute undenkbar.

Von Ihnen stammt der Satz: „Eitelkeiten habe ich mir in meiner Jugend verboten.“

Total. Ich hatte ein kindliches Gemüt und dachte, Feministinnen dürfen nicht mit engen Röcken und Stöckelschuhen herumlaufen. Annette und ich sind noch nicht mal ins „Big Eden“ reingekommen, weil wir so schluffi aussahen. Zerlumpt und betrunken wollten wir uns angucken, was in dieser schrecklichen Bude passierte.

Angeblich haben schwule Männer Ihnen Ihr Körpergefühl zurückgegeben?

Ende der 70er hab’ ich zum ersten Mal Romy Haag gesehen. Ich dachte sofort: Alles klar, ich bin lesbisch. So toll fand ich diese Frau auf der Bühne – bis mir jemand erklärte, dass es sich um einen Transvestiten handelt. Uh, interessant! Wusste ich gar nicht, dass es so etwas gibt. Dieses Darstellen von Frausein hatte ich vorher nie so erlebt, weder in der Familie noch in der Schule. Das war wirklich prägend. Bei Romy hingen alle rum, David Bowie natürlich, Lou Reed.

Die haben Sie sicher brav ignoriert.

Das war wichtig! Bloß nicht hingehen und sich wie ein Fan aufführen, sondern ganz cool woanders stehen. Oh Mann, die 80er waren Chaos. Schwierige Zeiten.

Martin Kippenberger nannte sie "Hertie-Punk"

Oskar Roehler hat mal gesagt: „Die 80er in West-Berlin waren eine einzige größenwahnsinnige Selbstbespiegelung.“

Man schmorte im eigenen Saft. Aufgeblasener Shit.

Martin Kippenberger nannte Sie „Hertie-Punk“. Zuneigung oder Ablehnung?

Beides hoffentlich. Ich hab’ das damals als Beleidigung empfunden, besonders, weil ich mich erkannt fühlte. Das hatte etwas ganz Wahres. Ein wild gewordenes Mädchen aus der Kleinstadt versucht, gegen die anderen aufzubegehren. Mir ging halt unheimlich viel auf die Nerven.

Sind Sie mal verhaftet oder eingekesselt worden?

Nein. Nur auf die Finger bekommen hab’ ich, bei einer Hausbesetzer-Demo an der Bülowstraße. Da brannte ein Polizeiauto.

Sie reiben sich mit Genugtuung die Hände.

Ach, ja. Das war eben so. Ging nicht anders.

Mit Ihrer Schwester hatten Sie damals die Band Humpe & Humpe – ein Flop.

Wir haben 100 000 Alben verkauft, heute wäre das eine goldene Schallplatte. Damals kamen wir nur in die Top 20.

Annette und Sie sollen sich bis aufs Blut gestritten haben – um bald darauf Arm in Arm aus dem Studio zu gehen.

Das nennt man neurotisch.

Oder „Geschwister“?

Auch. Ich bin einfach jedes Mal auf die Palme gegangen. Annette sagt: „Nee, das ist keine gute Zeile.“ Palme. Annette sagt: „Das ist auch nicht hittig.“ Wieder Palme.

„Geh doch zurück nach Herdecke“?

Das hat man sich selbst damals nicht gewünscht.

Ihre Schwester stürmte bei Ihrer Record-Release-Party als Erste begeistert auf die Tanzfläche. Tut diese Anerkennung gut?

Wir haben inzwischen ein sehr gutes Verhältnis. Auch, weil wir zusammen eine Therapie gemacht haben. Da fallen einem Muster auf. Die Annette hat mich als ältere Schwester auch ein bisschen erzogen, hat mich an die Musik herangeführt. Schon als Kinder haben wir zusammen Musik gemacht. Sie sagte, sing das, und ich sang. „I found my thrill / On Blueberry Hill …“ Sehr dominant.

Mit 60, haben Sie mal versprochen, wollen Sie wieder gemeinsam Musik machen.

Das ist mir jetzt zu nah dran. Darf ich noch etwas loswerden?

Ja, sicher.

Ich empfinde es als Privileg, dass wir im freien Berlin Popmusik machen dürfen. Das wurde mir bewusst, als Mohammed Assaf, ein junger Palästinenser, „Arab Idol“ gewonnen hat. Wie viele Hürden er genommen hat, um mitmachen zu können – und wie stolz sein Land am Ende auf ihn gewesen ist, hat mich schwer beeindruckt.

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