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Julia Gillard war als Premierministerin Australiens sexistisch beleidigt und geschmäht worden.

© imago/photothek

Interview mit Australiens Ex-Regierungschefin Julia Gillard: „Mein Geschlecht erklärt nicht alles, aber es erklärt auch nicht nichts“

Julia Gillard war Australiens erste Premierministerin. Über ruppige Parlamentsdebatten, Stricken als Ausgleich und Meetings auf dem Damenklo.

Von Barbara Nolte

Frau Gillard, Sie sind als erste australische Premierministerin und als Vorkämpferin gegen Sexismus in Erinnerung geblieben …

... Genderthemen standen in meiner politischen Laufbahn nicht an erster Stelle. Eigentlich sind Bildung und Entwicklungszusammenarbeit die Politikfelder, für die ich mich besonders engagiert habe und engagiere: jetzt als Vorsitzende der Organisation „Globale Bildungspartnerschaft“. Bei dem, was ich in meinem Amt erlebt habe, schien es mir aber zwingend, dass ich mich positioniere.

Aufgrund der Entfernung dringt wenig von Australiens Innenpolitik bis nach Deutschland. Eine Ausnahme ist Ihre Misogyny Speech 2012. Auf Deutsch: Rede gegen den Frauenhass. Darin nannten Sie den damaligen Oppositionsführer Tony Abbott einen Sexisten. Die Rede hat in frauenbewegten Kreisen weltweit Kultstatus und fast drei Millionen Klicks auf Youtube. Feilten Sie lange daran?

Ich habe sie aus dem Stegreif gehalten. Sie war die Antwort auf eine Rede von Abbott, der sich zuvor als Vorkämpfer gegen Sexismus hingestellt hatte und mich als Heuchlerin. Ich spürte Wut. Nicht heiße, aber kalte: dass ich nach all den Beleidigungen, die ich zu hören bekam, nun beschuldigt wurde, bezüglich Sexismus scheinheilig zu sein!

Bei einer Spendenparty für die konservative Partei Australiens stand mal auf einer Speisekarte: „Julia Gillard Kentucky Fried Wachteln – kleine Brüste, riesige Schenkel & eine große, rote Dose.“

Zuerst dachte ich, dass diese unschöne Beschreibung von Körperteilen für mich erdacht worden war. Dann stellte sich heraus, dass der identische Wortlaut bei den US-Vorwahlen im Jahr 2008 bereits benutzt worden war. Bezogen auf Hillary Clinton. Nur der Name war ausgetauscht worden.

Hatten Sie mit Widerstand gerechnet, als Sie 2010 an die Macht kamen?

Schon, aber ich dachte, dass er sich legen würde. Es begann mit der Fixierung auf mein Äußeres: ausführliche Schilderungen meiner Garderobe, selbst als ich mit dem Nato-Generalsekretär die Strategie des Afghanistan-Einsatzes besprach, also nichts Geringeres als einen Krieg, in dem über 40 australische Soldaten getötet worden sind. Mit der Zeit wuchs sich das Ganze aus zu sexistischen Schmähungen. Die Klimaschutzpolitik, die wir vorantrieben, führte zu einer hitzigen Debatte, in der ich als Hexe und Schlampe bezeichnet wurde.

Kann es sein, dass die Umgangsformen in Australien recht rau sind?

Nein, Australier sind sehr höfliche Menschen. Nur in unseren Parlamentsdebatten geht es hart zu, dafür sind sie berühmt. Oft besuchen uns britische Politiker im Rahmen von Austauschprogrammen. Die schütteln dann nur den Kopf.

Sie räumten in Ihrer Rede ein, verletzt zu sein, wenn sich Oppositionspolitiker beispielsweise neben Plakate mit der Aufschrift „Ditch the witch“, „Lass’ uns die Hexe loswerden“, stellten. Ein derart feministischer Debattenbeitrag wäre in Deutschland für eine Politikerin in Ihrer damaligen Position undenkbar. Angela Merkel hat immer ignoriert, wenn sie als Frau mit Häme bedacht wurde.

Auch in Australien war meine Rede unüblich. Meine Frustration brach sich in dem Moment Bahn, weil mein Geschlecht während meiner Amtszeit immer wieder gegen mich verwendet wurde.

Im Ausland erfuhren Sie für diesen Auftritt großen Respekt: François Hollande gratulierte Ihnen, Hillary Clinton nannte sie bemerkenswert.

Hillary und ich machten ähnliche Erfahrungen. Wir lernten uns kennen, als ich Premierministerin und sie US-Außenministerin war. Seitdem halten wir über E-Mail Kontakt oder schreiben uns – ganz oldschool – Briefe. Ich habe mich mehrfach über das Thema Frauen in Führungspositionen mit ihr ausgetauscht. Ich hoffe, dass wir das bald fortsetzen und das Ganze weiter voranbringen.

"Die Menschen glaubten, Hillary Clinton sei nicht sympathisch"

Befreundet. Julia Gillard und Hillary Clinton (hier 2011 bei einem Meeting in Washington) tauschen bis heute Briefe aus.
Befreundet. Julia Gillard und Hillary Clinton (hier 2011 bei einem Meeting in Washington) tauschen bis heute Briefe aus.

© imago/UPI Photo

Die internationale Politik wird von machistischen Männern dominiert. Auch zu Ihrer Zeit waren einige von ihnen im Amt: Putin, Erdogan, Berlusconi.

… neben dem saß ich beim G-20-Gipfel in Cannes.

Und: Wie ist er?

Kann ich schwer beurteilen. Ich gab mein Bestes, um eine Unterhaltung anzuzetteln. Weit kam ich nicht. Ich kann kein Italienisch, er kaum Englisch.

Bei diesen Gipfeln tauschten Sie sich mit den anderen Staatschefinnen auf dem Frauenklo aus.

Es gibt ja so wenige Frauen in diesen Kreisen. Die Sitzungen sind lang, die Pausen kurz, also rannten wir oft zur selben Zeit dorthin. Wenn ich eine Kollegin beim Händewaschen traf, plauderten wir natürlich ein bisschen. Ich erinnere mich, dass es auch mal um den besonderen Druck gegangen ist, unter dem man als Frau in so einem Amt steht.

Den anderen erging es ähnlich wie Ihnen?

Ich glaube, dass das Genderthema bei Politikerinnen auf der ganzen Welt eine Rolle spielt, wenn es auch kulturspezifisch andere Ausprägungen hat. Es gibt sehr gute psychologische Studien über unbewusste Einflüsse, die dazu führen, dass es wahrscheinlicher ist, dass ein Mann in einer Führungsposition als sympathisch bewertet wird, während weibliche Führungskräfte als nicht besonders nett gelten. Die Facebook-Chefin Sheryl Sandberg hat sie in ihrem lesenswerten Buch „Lean In“ zitiert.

Sandberg setzt sich vor allem für mehr Frauen im Management ein. Wird hier nicht Frauensolidarität gegen Klassenbewusstsein ausgespielt, das verlangen würde, Manager, egal ob Mann oder Frau, in ihren Gehältern und ihrer Machtfülle zu beschneiden?

Dass in Unternehmen in Deutschland und Australien auf Vorstandsebene die Männer nicht fast unter sich oder dass Frauen ihre Karriere ohne sexuelle Übergriffe verfolgen können – das sind doch berechtigte Anliegen. Ich setze mit meiner Arbeit bei der Globalen Bildungspartnerschaft allerdings am anderen Ende an: Mädchen ins Bildungssystem hineinzubekommen. Wenn wir das nicht hinkriegen, sind die Debatten, die wir gerade führen, für viele Frauen auf der Welt hinfällig.

Die Organisation, der Sie vorstehen, fördert Schulprojekte für Jungs und für Mädchen.

Wir arbeiten mit 65 Entwicklungsländern zusammen. 264 Millionen Kinder weltweit können nicht zur Schule gehen, darunter überdurchschnittlich viele Mädchen. Bildung ist zwar kein schnelles, aber ein umso wirksameres Werkzeug in der Entwicklungspolitik. Wenn Mädchen eine Schule besuchen, setzt das eine Aufwärtsspirale für ihr ganzes Umfeld in Gang. Ein gut ausgebildetes Mädchen heiratet in der Regel später, bekommt weniger Kinder, impft sie und schickt sie zur Schule. Letztlich werden so auch Fluchtursachen bekämpft. Wer ein gutes Leben und eine Perspektive in seiner Heimat hat, verlässt sie nicht.

Alice Albright ist Geschäftsführerin der Globalen Bildungspartnerschaft – und die Tochter der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright, die sich für mehr Frauen in Führungspositionen einsetzt. Haben Sie mal mit ihr darüber gesprochen?

Klar, jeder, der Madeleine trifft, bespricht diese Themen mit ihr. Sie hätte es so gern gesehen, wenn Hillary die gläserne Decke durchbrochen hätte.

Albright sagte sogar in dieser Zeitung, dass Clinton die Wahl verlor, weil sie eine Frau war.

Es ist komplizierter. In meiner letzten Rede als Premierministerin, als ich wusste, dass es zu Ende geht, sagte ich: Mein Geschlecht erklärt nicht alles über meine Amtszeit, aber es erklärt auch nicht nichts. Das trifft genauso auf Clintons Präsidentschaftskandidatur zu. Natürlich spielte es eine Rolle, dass sich viele Menschen in der sich so schnell wandelnden Welt unwohl fühlen. Europas progressive Parteien bekommen diesen Trend auch zu spüren. Erschwerend kamen für Hillary die geschlechtsspezifischen Vorurteile hinzu; dass die Menschen glaubten, sie sei nicht sympathisch.

Vielleicht trifft das Vorurteil in dem Fall zu. Sie kennen Hillary Clinton persönlich. Ist sie nett?

Oh ja, sie ist toll. Warm, großzügig, lustig.

Tat sie Ihnen im US-Wahlkampf leid?

Sehr. In der Wahlnacht flog ich von Adelaide, wo ich wieder wohne, nach Sydney. Als ich die Maschine bestieg, deutete sich an, dass die Wahl für Hillary nicht so glatt laufen würde. Ich erinnere mich, wie mir die Leute nach der Landung ihre Handys hinhielten: „Julia, was hat das zu bedeuten?“ Alle verfolgten die US-Wahl. Nach den anderthalb Stunden, die wir in der Luft waren, lag Hillary hinten. Ich war schockiert.

Haben Sie Clinton tröstende Worte geschickt?

Ja, aber nicht sofort. Ich weiß, wie es sich anfühlt, einen großen politischen Verlust zu erleiden. Da ist eine bleierne Müdigkeit, die man vorher nicht gespürt hat, weil der Körper noch mit Adrenalin geflutet war. Man erholt sich nur, wenn man sich Ruhe gönnt und Zeit mit Freunden und Familie verbringt. Deshalb habe ich ein paar Monate gewartet, bis ich Hillary schrieb.

"Ich wollte keinesfalls weinen"

Noch als Regierungschefin habe Gillard gern gestrickt, um nach einem harten Tag herunterzukommen.
Noch als Regierungschefin habe Gillard gern gestrickt, um nach einem harten Tag herunterzukommen.

© imago/Xinhua

Einige deutsche Manager haben nach ihrem Rauswurf Schiffsreisen unternommen. Mit der eigenen Jacht wie ein Telekom-Vorstand oder auf einem Kreuzfahrtschiff wie der Chef eines Privatsenders. Als wollten sie in ihrer Scham in der Weite der Weltmeere verschwinden. Was taten Sie?

Ich zog mich in mein Haus in Melbourne zurück. Bei mir waren die Umstände speziell: In unserem politischen System kann die Regierungspartei ihren Premierminister ersetzen und trotzdem an der Macht bleiben. So war das bei mir. Mein Nachfolger musste sich kurz darauf zur Wahl stellen. Ich dachte, das Beste, was ich für meine Partei tun kann, war, außer Sichtweite zu bleiben. Sonst würden die Medien den innerparteilichen Konflikt immer wieder hochspielen. Wochenlang blieb ich zu Hause. Heute mache ich manchmal Witze darüber, dass ich das Leben einer Einsiedlerin führte.

Wie brachten Sie die Zeit rum?

Ich grübelte, wie eine neue Normalität aussehen könnte. Ich grämte mich auch, ich hatte ja wenig Ablenkung.

Es heißt, Sie stricken gern. Als Premierministerin haben Sie zur Geburt des britischen Prinzen George ein rotes Känguru gestrickt.

Als ich im Amt war, empfand ich Stricken als einen guten Weg, um nach einem durchgetakteten Tag herunterzukommen und Schlaf zu finden. In dieser Phase aber war mir nicht nach Handarbeiten. Ich habe mich gefragt, was mir in meinem Leben bisher am meisten bedeutet hatte. Das waren Bildungs- und Entwicklungspolitik. Zu dieser Zeit suchte die Globale Bildungspartnerschaft eine neue Vorsitzende. Ein Glücksfall.

Seitdem sind Sie viel in Afrika unterwegs?

Ich war zum Beispiel in Kenia, Tansania und Malawi. Gerade Malawi ist ein wunderschönes Land, aber viele Schulen dort sind in einem maroden Zustand, die Klassen bestehen oft aus 100 Kindern. Man muss sich klarmachen, dass an diesen Schulen die Zukunft unseres Planeten gestaltet wird. Ich besuche auch afrikanische Regierungen, denn sie müssen selbst Gelder für Bildung beisteuern, um unsere Fördermittel zu bekommen. Am meisten bin ich in Geberländern unterwegs.

Vor zwei Wochen waren Sie in Berlin.

15 Termine in zwei Tagen. Ich habe Vertreter aus dem Kanzleramt, dem Entwicklungsministerium und dem Bundestag getroffen. In Deutschland steht Bildung ohnehin hoch auf der entwicklungspolitischen Agenda. Ich war direkt vor der großen Finanzierungskonferenz der Globalen Bildungspartnerschaft im Senegal dort, um noch einmal dafür zu werben, dass Deutschland dabei ist und auch finanziell ein starkes Signal sendet.

Und dann schickte Deutschland nur einen Botschafter aus der Region. Die Zuwendungen wurden nur von sieben auf neun Millionen Euro im Jahr erhöht.

Dass die deutsche Regierung vertreten war, obwohl sie mitten in Koalitionsverhandlungen steckt, weiß ich zu schätzen. Wir würden es natürlich begrüßen, wenn man hier noch einmal die finanziellen Möglichkeiten eruieren würde, sobald eine neue Regierung steht. Noch nie hat Bildung so viel hochrangige politische Unterstützung erhalten wie zurzeit. Das zeigte sich in Dakar.

Geleitet wurde die Konferenz von Frankreichs Präsident Macron und dem senegalesischen Staatschef Macky Sall. Die Sängerin Rihanna war da, der Papst schickte Grüße. Was kam konkret heraus?

Die Geberländer haben 2,3 Milliarden US-Dollar jährlich zugesagt, die Entwicklungsländer wollen sogar 110 Milliarden Dollar mehr aus ihren eigenen Haushalten für Bildung zur Verfügung stellen. Von dem Geld können die Länder ihre Bildungssysteme stärken. Es ermöglicht Bildung für Millionen Kinder, leider noch nicht für alle. Viele Geber haben angekündigt, in den kommenden Jahren ihre Mittel für unsere Arbeit weiter aufzustocken. Kanada hat seine Beiträge auf 116 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre verdoppelt – mit der Begründung, dass damit Mädchen gestärkt werden.

Frau Gillard, die deutsche Nachrichtenmoderatorin Gabi Bauer sagte einmal, Frauen sollten niemals öffentlich weinen. Was sollte eine Frau in einer Führungsposition Ihrer Ansicht nach niemals tun?

Das kommt auf die Umstände an. Vor meiner letzten Pressekonferenz als Premierministerin habe ich beherzigt, was die Moderatorin sagte. In Australien gab es Männer, die das Premierministeramt verloren und bei ihrem letzten Auftritt ein paar Tränen verdrückt haben. Ich habe mich extra gestählt, habe meinen Atem beobachtet, damit mir das nicht passierte. Ich wollte keinesfalls weinen, um den Diskussionen kein Futter zu geben, dass Frauen dem Druck so eines Amtes nicht gewachsen seien.

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