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Seit sie in Paris lebt, ist Johanna Wokalek überglücklich.

© Stefan Klüter/photoselection

Interview mit Johanna Wokalek: „Die Schauspielschulen werden überbewertet“

Sie war die Päpstin, Gudrun Ensslin und stand hochschwanger auf der Bühne. Die Schauspielerin Johanna Wokalek holt sich ihre Inspiration aus dem Museum und tanzt für Depeche Mode.

Von Andreas Busche

Frau Wokalek, in Ihrem neuen Film „Freiheit“ spielen Sie eine Frau, die aus ihrem Leben als Ehefrau und berufstätige Mutter ausbricht, weil sie die täglichen Routinen nicht mehr erträgt. Kennen Sie dieses Gefühl, Urlaub vom Leben zu brauchen?

In meinem Alltag gibt es zum Glück wenige Routinen. Mein Mann ist Dirigent. Das heißt, unser Leben ist immer in Bewegung. Wir müssen Ruhephasen regelrecht planen. Natürlich schaue ich manchmal ein bisschen neidisch auf Familien mit einem ganz geordneten Alltag. Zu mir würde es allerdings nicht passen. Ich mag das Spontane an unserer Lebensweise, das Improvisierenmüssen. Immer wenn ich merke, dass die Gefahr von Routine besteht, versuche ich mein Leben zu ändern.

Man sieht in den vergangenen Jahren öfter Filme über Menschen, die sich in ihren arrivierten Leben eingeschnürt fühlen. Bringt unsere Wohlstandsgesellschaft solche Luxusprobleme mit sich?

Ich denke, das ist Fluch und Segen unserer Zeit. Es hängt davon ab, wie man auf meine Figur Nora guckt. Natürlich kennt sie keine existenziellen Probleme, sie hat Arbeit, eine Familie, aber gerade das bereitet ihr Sorgen, denn sie hat nur das eine Leben. Und wenn ich dieses Leben als Mangel empfinde oder als so trügerisch, dass ich darin unglücklich werde, muss ich etwas ändern. Wobei ich nicht bewerten möchte, ob es richtig oder falsch ist, dafür die eigene Familie zu verlassen.

Im Film ist Freiheit nicht unbedingt positiv besetzt. Sie bleibt eine Selbsttäuschung.

Eine absolute Freiheit, wie Nora sie sich ersehnt, ist in unserer Existenz ohnehin nicht lebbar. Ihre Entscheidung macht andere wiederum unfrei, zum Beispiel Noras Mann, den sie mit den Kindern zurücklässt. Auch Nora kann ihre neue Freiheit nicht leben, weil ihre Vergangenheit sie nicht loslässt. Deshalb befindet sie sich in einem ständigen inneren Dialog mit dem, was sie zurückgelassen hat. Sie kann sich nicht einfach neu erfinden.

Johanna Wokalek als Zimmermädchen im Arthouse-Film „Freiheit“, der seit Donnerstag im Kino läuft.
Johanna Wokalek als Zimmermädchen im Arthouse-Film „Freiheit“, der seit Donnerstag im Kino läuft.

© Film Kino Text

Sie haben bei Klaus Maria Brandauer am Max Reinhardt Seminar gelernt. Würden Sie ihn als Ihren Lehrmeister bezeichnen?

Wir sind heute miteinander befreundet. Für mich ist er „der Klaus“. Wir hatten auch nie ein klischeehaftes Lehrer-Schülerin-Verhältnis, Klaus ist ja in dem Sinn kein Pädagoge. Er hat eine ganz starke Persönlichkeit, dem begegnet man eher.

Brandauer strahlt eine enorme Präsenz aus. Ist das nicht einschüchternd?

Da gilt es gegenzuhalten. Ich finde, dass die Bedeutung von Schauspielschulen für junge Schauspielerinnen und Schauspieler generell überbewertet wird. Die Begegnung mit starken Persönlichkeiten ist viel prägender, in diesen Situationen muss man sich als junge Schauspielerin behaupten, sein Anderssein verteidigen. Bevor ich ans Seminar ging, hatte ich mir noch einmal „Jenseits von Afrika“ angesehen, danach war ich vor allem neugierig, ihn zu treffen. Und ich wurde nicht enttäuscht. Der Klaus ist der Klaus. Und das sage ich in aller Liebe.

Im Zuge der #MeToo-Debatte ist viel über Machtstrukturen gesprochen worden. Als Sie junge Schauspielerin waren: Kostete es Sie Mühe, sich zu behaupten?

Nein, mir persönlich hat es tatsächlich keine Mühe bereitet. Aber das mag daran liegen, dass ich immer darauf bestanden habe, eine Begegnung auf Augenhöhe stattfinden zu lassen. Ich war nicht so leicht einzuschüchtern. Ich habe grundsätzlich ein Problem, wenn man Autorität spielt und Macht vorzeigt. Das konnte ich noch nie ernst nehmen. Ich habe meinen Verstand und kann einigermaßen klar denken und ausdrücken, was ich will oder nicht will.

"Ich wollte immer nach Paris"

Große Rollen. Johanna Wokalek mimte „Die Päpstin“.
Große Rollen. Johanna Wokalek mimte „Die Päpstin“.

© picture-alliance/ dpa

Sie wechseln nicht nur zwischen Theater und Kino, sondern auch zwischen den Städten. Momentan leben Sie in Paris und Hamburg.

Manchmal gibt einem das Leben auch den Weg vor. Ich wollte immer nach Paris, früher kam das allerdings nicht infrage, weil ich ununterbrochen in Wien und für die Filme sonst wo gearbeitet habe. Aber jetzt bin ich überglücklich, dass wir endlich in Paris leben, und ich damit auch eine neue Sprache und eine neue Kultur entdecke. Hier gibt es Esprit und Charme, Großzügigkeit und Eleganz. Ich finde es tagtäglich inspirierend, hier zu leben. Außerdem sind die Franzosen so schön glücklich, wenn man mit ihnen Französisch spricht. Sie wollen gar kein Englisch reden. Ich habe also einen Rund-um-die-Uhr-Sprachkurs. J’adore Paris!

Sie sind mit Thomas Hengelbrock, dem Chefdirigenten der Hamburger Elbphilharmonie, verheiratet. Gelegentlich arbeiten sie auch zusammen.

Ja, wir haben zuletzt gemeinsam Arthur Honeggers „Jeanne d’Arc au bûcher“ konzertant in der Elbphilharmonie aufgeführt. Es ist schön, auch miteinander zu arbeiten. Privatleben und Beruf lassen sich kaum voneinander trennen. Wenn wir uns unterhalten, sprechen wir ununterbrochen über Ideen, die wir gern verwirklichen würden. So ist beispielsweise unser gemeinsames Konzept für die Purcell-Oper „Dido und Aeneas“ bei den Salzburger Festspielen zustande gekommen. Ich habe dafür einen Prolog geschrieben, weil uns der einzig existierende Prolog nicht gefiel und wir eine Rolle erweitern wollten.

Den Namen Ihres gemeinsamen vierjährigen Sohnes verraten Sie nicht.

Für meine Arbeit ist der Name meines Sohnes auch irrelevant. Ich möchte lieber über das reden, was man von mir sieht.

Unter der Regie von Til Schweiger spielte Wokalek eine suizidgefährdete Patientin in „Barfuss“.
Unter der Regie von Til Schweiger spielte Wokalek eine suizidgefährdete Patientin in „Barfuss“.

© picture-alliance/ dpa

Zum Beispiel, wenn Sie wie vor fünf Jahren in Tschechows „Platonow“ schwanger auf der Bühne stehen?

Ja, selbstverständlich. Am Theater ist es üblich, dass man so lange auf der Bühne steht, wie die körperliche Verfassung es erlaubt. Das war vielleicht mit die schönste Zeit, weil mir dauernd Stühle hingestellt wurden. Alle fünf Minuten fragte man mich, ob es mir gut gehe. Wir haben sogar überlegt, ob ich nach der Geburt mit einem künstlichen Schwangerschaftsbauch weiterspiele, weil die Rolle dadurch fast noch spannender wurde. Abgesehen davon dachten viele Zuschauer, er wäre nicht echt, sondern Kostüm. Ich kann jedenfalls jeder Kollegin nur empfehlen, in der Schwangerschaft so lange wie möglich zu spielen. Man wird behandelt wie eine Prinzessin.

Sie drehen mit Sönke Wortmann und Til Schweiger, zwischendurch kleine Filme mit Regisseuren wie Jan Speckenbach. Ist das in der abgesteckten deutschen Filmlandschaft eine Form von Freiheit?

Ich bin immer für Rollen zu haben, die in mir, beim Lesen des Buches, eine Fantasie freisetzen. Ich suche eine Offenheit, die Begegnung mit etwas Neuem. Da kann ich keine Berührungsängste zeigen. „Freiheit“ ist eine Low-Low-Budget-Produktion, aber warum soll ich mich selbst in meinen Möglichkeiten beschränken?

"Depeche Mode sind älter, aber immer noch cool"

Neben Moritz Bleibtreus Andreas Baader spielte Johanna Wokalek Gudrun Ensslin in „Der Baader Meinhof Komplex“.
Neben Moritz Bleibtreus Andreas Baader spielte Johanna Wokalek Gudrun Ensslin in „Der Baader Meinhof Komplex“.

© picture-alliance/ dpa

Was bedeutet es Ihnen, in „Der Baader Meinhof Komplex“ die Terroristin Gudrun Ensslin gespielt zu haben?

Das war eine der größten Herausforderungen meiner Karriere. So eine Rolle bekommt man in einem Schauspielerleben nicht oft angeboten. Das Thema RAF ist aufgeladen mit Bildern, mit Emotionen, es war faszinierend, sich in die Figur einzuleben. Bernd Eichinger fand mich damals eigentlich zu jung aussehend, aber ich habe ihm gesagt, dass ich, wenn, dann nur Gudrun Ensslin spiele. Ich musste also noch ein paar Szenen mit Moritz Bleibtreu, der Andreas Baader spielt, proben. Danach war Bernd überzeugt.

Man hat Sie nie wieder so explosiv erlebt, eine ungewöhnliche Rolle für Sie. Wie nähert man sich einer realen Figur an, die emotional so besetzt ist?

Ich habe alle Quellen studiert, derer ich habhaft werden konnte, und danach meine Fantasie spielen lassen. Ich musste mich bei der Arbeit natürlich immer wieder hinterfragen, aber so habe ich sie mir vorgestellt, in dieser Radikalität und Unerbittlichkeit und Faszination. Bei dem, was Baader, Meinhof und Ensslin verfolgt haben, war ich auch als Schauspielerin gefordert, mich dem voll auszuliefern. Für mich war es die Radikalität des Denkens, das rücksichtslose Verfolgen dieses einen Ziels. Dabei musste ich irgendwie fast kalt und ganz fokussiert sein. Das fand ich sehr anstrengend. Jede der Figuren hat ihr eigenes Energiezentrum. Es ging zwischen Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck und mir darum, diese Energien aufeinanderprallen zu lassen.

Stimmt es, dass Sie sich bei der Vorbereitung von Kunst inspirieren lassen?

Ich gehe gern in Museen, ich bin ein sehr visueller Mensch. Ich sage immer: Mein Mann hat die Ohren und ich die Augen. Es gibt in Gemälden so viel zu entdecken, Menschen, Kostüme, Körperhaltungen. Das sauge ich alles auf und versuche es später in meine Arbeit einzubringen, zum Beispiel in Gesprächen mit Kostümbildnern. Ich liebe diese Form von Kommunikation über Bilder und Eindrücke. So geht es mir auch oft mit Passagen eines Romans. Durch die Rolle, die man demnächst spielen wird, verändert sich der Blick auf die Umwelt. Der Alltag begegnet einem plötzlich anders.

Welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben? Sie haben ja zusammen mit dem Balthasar-Neumann-Chor eine CD mit Werken der Romantik veröffentlicht.

Die Romantik ist eine unglaublich reiche Epoche, das wissen die meisten aus meiner Generation gar nicht mehr. Wir haben Chorwerke von Brahms, Mendelssohn und Schumann aufgeführt, Lyrik von Eichendorff, Heine und Novalis vorgetragen. Das ist die Königsklasse der deutschen Sprache, sehr schwer zu lesen. Ich wollte die Gedichte von den Reimen befreien und die Erzählung wieder in Bilder überführen. Die Sprache ist eine Herausforderung, aber auch ein Geschenk. Und was viele gar nicht wissen: Die frühe Romantik hat Witz.

Kürzlich waren Sie in einem Depeche- Mode-Video zu sehen. Sind Sie Fan?

Damals hat doch jeder Depeche Mode gehört. Jetzt sind sie zwar älter, aber immer noch cool. Der Regisseur Anton Corbijn hatte mich gefragt, ob ich im Video „Halo“ die Muse spielen würde. Da sage ich natürlich nicht Nein.

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