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Zuflucht Amman: Geflügelhändler am Rande des Wochenmarkts im palästinensischen Flüchtlingscamp Baqa'a.

© Sascha Lübbe

Jordaniens Hauptstadt: Amman: Stadt der Flüchtlinge

Kaum ein Land nimmt so viele Flüchtlinge auf wie Jordanien, aktuell kommen die Syrer. Das hat die Hauptstadt stark geprägt. Drei Beispiele aus unterschiedlichen Vierteln der Metropole.

Die rissigen Bürgersteige sind menschenleer. Niemand da, den man nach dem Weg fragen könnte. Eine Stunde schon irrt das Taxi durch die Gassen, passiert dicht gedrängte, scheinbar identische Häuser: Alle sind beige, flach, unverziert. Al Nuzha, im Osten Ammans, ist eines der Viertel der Vier-Millionen-Metropole, in das sich nur selten Fremde verirren. Eines, in dem es nur wenige Geschäfte gibt, in dem es nach Benzin riecht und nach Staub schmeckt.

„Kein gutes Viertel“, empfängt uns Aseel, als wir ihr Haus schließlich erreichen. Die 23-jährige Syrerin lebt hier in einer Dreizimmerwohnung. Sie sind zu siebt: Mutter und Vater wohnen in einem Zimmer, Aseel und ihre drei Schwestern im anderen, ein Bruder im winzigen dritten. Es ist eng, die Luft ist feucht. In Aseels Zimmer löst sich die Tapete von der Wand, Schimmel breitet sich aus.

„Wir sind in Jordanien gestrandet“, sagt sie, und für einen Moment rutscht ihr das Lächeln aus dem Gesicht. Aseel ist als Flüchtling registriert. In ihrer Heimatstadt Damaskus begann sie ein Ingenieurstudium, hier in Amman kann sie sich die Studiengebühren nicht leisten. Auch eine Arbeitserlaubnis hat sie nicht. Sie kann weder ihren Abschluss machen, noch Geld verdienen. „Ich stecke fest.“

Fast vier Millionen Syrer sind nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) seit Ausbruch des Bürgerkrieges in die Nachbarstaaten geflohen. In Jordanien mit seinen 6,5 Millionen Einwohnern leben offiziell 620 000, 170 000 davon in Amman, die meisten im Osten der Stadt. Ihre steigende Zahl hat selbst Jordanien überfordert – ein Staat, der als Einwanderungsland gilt, als „Insel des Friedens“ inmitten der Krisengebiete Syrien, Irak und Westjordanland. Und in dessen Hauptstadt traditionell verschiedenste Völker leben. Amman war schon immer eine Metropole der Flüchtlinge.

Die Beziehungen zwischen Jordaniern und Syrern sind inzwischen schwer belastet. Die Mieten sind seit Ankunft der Flüchtlinge teils auf das Doppelte gestiegen. Eine Arbeitserlaubnis hat kaum einer von ihnen, auf dem Schwarzmarkt arbeiten sie für einen Hungerlohn. „Die Syrer drücken die Preise“, klagen einige Jordanier. „Die Jordanier behalten unsere Hilfsgelder für sich“, behauptet die Gegenseite. Auch Aseel sagt: „Die Jordanier sind von uns genervt.“

Sie ist schlank, trägt ein rosa Kopftuch und roten Nagellack. Ihre Augen sind geschminkt. Aseel spricht schnell und klar. Auch wenn es um ihre Flucht geht.

In ihrem Viertel in Damaskus war es nach Ausbruch des Krieges Anfang 2011 lange ruhig. Doch dann, ab Herbst 2012, flogen täglich Flugzeuge der Regierung über ihr Haus. Von ihrem Fenster aus sah sie, wie Nachbarn erschossen wurden. Als eine Bombe die nahegelegene Polizeistation traf, gab die Familie auf. Und floh nach Amman.

Seit zwei Jahren leben sie jetzt hier, ohne Einkommen, von Lebensmittelmarken der UN. In Syrien zählten sie zur Mittelschicht, hier haben sie nichts. Aseels ältester Bruder hielt es nach einem Jahr nicht mehr aus: Mit dem Schiff flüchtete er von Libyen nach Europa, wartet jetzt in Frankfurt auf den Asylbescheid.

Aseel will zu ihm, will in Deutschland ihr Studium beenden. Sie wird einen Antrag bei den UN stellen. Wenn das nicht klappt, versucht auch sie ihr Glück auf dem Seeweg. Dass sie dabei sterben könnte, nimmt sie in Kauf. „Todesreise“ heiße der Trip unter den Flüchtlingen. „Entweder man kommt an oder man stirbt.“ Eine Zukunft in Amman sieht sie nicht.

Vielen Generationen von Flüchtlingen ging das anders. Ende des 19. Jahrhunderts etwa ließen sich mehrere tausend Tscherkessen, ein von den Russen vertriebenes Bergvolk aus dem Kaukasus, in Amman nieder. Und auch Tschetschenen und Armenier fanden in der Stadt dauerhaft Zuflucht. Die größte Flüchtlingsgruppe aber stellen die Palästinenser.

Ein Blick auf die Geschichte: Der jordanische Staat in seiner heutigen Form ist das Resultat des Nahostkonflikts und der europäischen Kolonialpolitik. Frankreich und Großbritannien hatten im Sykes-Picot-Abkommen von 1916 den Nahen Osten unter sich aufgeteilt: Das Gebiet des heutigen Jordanien, damals Teil des Osmanischen Reiches, ging an Großbritannien und wurde später Palästina zugeteilt – als selbstständiges Emirat unter britischer Mandatsverwaltung. Erst als diese 1946 endete, wurde aus Jordanien ein unabhängiger Staat.

Dessen geografische Lage und Beteiligung an den israelisch-arabischen Kriegen von 1948 und 1967 hatten weitreichende Folgen: Hunderttausende Palästinenser flüchteten im Zuge des Palästina- und des Sechstagekrieges ins Land. Sie machten aus Amman eine Metropole und aus Jordanien einen mehrheitlich palästinensischen Staat.

Über die Hälfte der Bevölkerung hat palästinensische Wurzeln

Zuflucht Amman: Geflügelhändler am Rande des Wochenmarkts im palästinensischen Flüchtlingscamp Baqa'a.
Zuflucht Amman: Geflügelhändler am Rande des Wochenmarkts im palästinensischen Flüchtlingscamp Baqa'a.

© Sascha Lübbe

Über die Hälfte der heutigen Bevölkerung des Landes hat palästinensische Wurzeln. Die Palästinenser kontrollieren den Großteil der Wirtschaft, fast alle haben die jordanische Staatsbürgerschaft. Dennoch ist das Verhältnis zwischen ihnen und den „Ur“-Jordaniern angespannt: Einflussreiche Posten in Regierung, öffentlichem Dienst oder Armee sind noch immer Jordaniern vorbehalten. Palästinenser dürfen sich erst seit 1989 politisch im Land engagieren. Noch heute leben 300 000 von ihnen in den zehn Flüchtlingscamps des Landes. In Baqa’a zum Beispiel, im äußersten Norden Ammans. Mit 100 000 Bewohnern das größte Lager Jordaniens.

„Es geht uns nicht gut“, sagt Ahmad* gleich nach der Begrüßung am Busbahnhof. Der 26-Jährige wurde in Baqa’a geboren. Seine Eltern, Flüchtlinge aus Hebron, waren unter den ersten Bewohnern des Camps. Damals, 1968, war das Lager eine Ansammlung von Zelten. Erst mit Unterstützung der UN wurden daraus einfache Häuser. Dennoch ist Baqa’a bis heute ein Viertel der Abgehängten geblieben.

Unser Weg führt durch schmale Gassen, vorbei an schiefen Häusern aus nacktem Beton. Regenwasser sammelt sich auf den unbefestigten Wegen, es riecht modrig und nach Müll. Ein paar Kinder toben umher. Eine alte Frau mit einer Plastiktüte um den Fuß humpelt vorbei, ein Pali-Tuch um den Kopf.

Die Arbeitslosenquote ist hier überdurchschnittlich hoch, die 16 Schulen sind vollkommen überlastet, ein Krankenhaus gibt es erst seit vier Jahren. Das Schlimmste aber, so Ahmad, sei die Diskriminierung.

„Leute aus den Camps haben in Jordanien kaum eine Chance“, sagt er und zieht an seiner Zigarette. „Sie bekommen keine Jobs oder werden schlechter bezahlt.“ Auch für einen Studienplatz zugelassen zu werden, sei schwierig. Er selbst hatte Glück: Sein Vater war Hausmeister an der Uni, das habe den Prozess erleichtert. Ahmad studierte Psychologie, arbeitet heute in einem Zentrum für autistische Kinder in der Innenstadt. An seinem freien Tag unterstützt er eine lokale Nichtregierungsorganisation, die sich um die Waisenkinder Baqa’as kümmert.

Ahmad ist hoch gewachsen und von sportlicher Statur, er hat einen Dreitagebart, trägt Jeans und Turnschuhe. Wenn ihm ein englisches Wort nicht einfällt, verfällt er in schallendes Lachen. Zahlreiche Hände schüttelt er auf unserem Gang durch das Camp, jeder kennt ihn. Und doch ist da immer dieser Unterton: Es gehe ihnen hier nicht gut, sagt er.

Als wir seine Wohnung erreichen, herrscht Stromausfall. Die Mutter sitzt bei Kerzenschein auf einer dünnen Matratze. „Willkommen“, ist das Erste, was sie sagt. „Wir wollen zurück nach Palästina“, das Zweite. „Es ist unser Land.“

Palästinenser in Baqa’a haben es doppelt schwer: Sie sehen, was einige Landsleute in Jordanien erreicht haben. Dennoch bleibt die diffuse Angst, durch eine Verbesserung ihrer eigenen Lage das Wichtigste zu verlieren: ihr Recht auf Rückkehr. „Wir dürfen Palästina nicht vergessen“, sagt die Mutter. Sie sagt es immer wieder.

Das Leben fernab der Heimat macht viele Bewohner konservativ. „Verbohrt“ nennt Ahmad die Stimmung im Viertel. Er ist Moslem, seine Freundin, die außerhalb des Camps wohnt, Christin. Sich mit ihr hier öffentlich zu zeigen – unmöglich. Das Paar trifft sich heimlich in der Innenstadt. Dort fährt Ahmad auch abends oft hin, trifft Freunde in Bars, trinkt Bier. „Ich interessiere mich nicht für Religion“, sagt er. „Nur für Menschen.“

Wie Aseel sieht auch Ahmad seine Zukunft im Ausland. Niemand sei frei in Jordanien, sagt er, auch die Jordanier nicht. Fast alle seine Freunde seien bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten, einer saß wegen regierungskritischer Äußerungen sogar im Gefängnis. Verhört vom jordanischen Geheimdienst.

Der ist – so heißt es – überall: Als wir das Haus verlassen, hält ein schwarzer Jeep neben uns. Zwei Männer mit ausdruckslosen Gesichtern fordern unsere Ausweise. Fremde hätten im Camp nichts zu suchen, sagen sie. Sie nehmen unsere Daten auf, dann fahren sie weiter.

Ahmad schaut ihnen einen Moment nach, dann dreht er sich mit ausdrucksloser Miene um. „Siehst du, was ich meine?“

Amman ist eine geteilte Stadt: Da ist der alte, langsam verfallende Osten mit seinen traditionellen Märkten und bröckelnden Häusern. Und da ist der moderne, stetig wachsende Westen – die Welt der Hotels und Bars, der Nichtregierungsorganisationen, Expats und Diplomaten. Und: der Iraker.

Es gibt drei Dinge, bei denen die Leute hellhörig werden, sagt Baker* und startet sein Auto: „Sunniten, Schiiten und Saddam Hussein“. Eigentlich wollen wir in ein Café, um über sein Leben zu reden. Stattdessen kurven wir stundenlang durch die Stadt. Weil Baker Mithörer fürchtet. Weil sich seine Geschichte nicht erzählen lässt, ohne „Sunniten, Schiiten und Saddam Hussein“.

*Namen auf Wunsch der Gesprächspartner geändert

"Viele Jordanier sehen uns vor allem als Cash Cows", klagt der Iraker

Zuflucht Amman: Geflügelhändler am Rande des Wochenmarkts im palästinensischen Flüchtlingscamp Baqa'a.
Zuflucht Amman: Geflügelhändler am Rande des Wochenmarkts im palästinensischen Flüchtlingscamp Baqa'a.

© Sascha Lübbe

Der 28-Jährige kommt aus Bagdad. Sein Vater, ein wohlhabender Arzt, war ranghohes Mitglied in Saddam Husseins Baath-Partei. Doch mit dem Sturz des sunnitischen Diktators 2003 änderte sich alles: Die Sunniten wurden verfolgt, viele ermordet. Auch Bakers Familie ist sunnitisch. Als sein älterer Bruder gekidnappt wird, sieht die Familie keinen anderen Ausweg mehr: Sie kann den Bruder freikaufen und flieht nach Amman.

Über 50 000 Iraker leben laut den UN in Jordanien. Die ersten kamen Anfang der 1990er Jahre nach dem Golfkrieg. Eine zweite Welle, darunter Bakers Familie, kam in den Jahren nach 2003. Derzeit treibt vor allem der sogenannte Islamische Staat Iraker ins Land. Doch während die meisten Syrer im verarmten Osten Ammans leben, haben sich viele Iraker im Westen der Stadt niedergelassen. In einer anderen Welt.

Auf unserer Fahrt durch die Viertel Sweifieh und Al Rabieh passieren wir Einfamilienhäuser, Juweliergeschäfte und Shopping-Malls. Die Straßen sind breit, die Bürgersteige sauber, die Fassaden der Häuser mit Sandstein verkleidet. Die Menschen sind westlich angezogen, nur wenige Frauen tragen ein Kopftuch. Die Luft ist klar, kein Benzingeruch, der in der Nase sticht.

Viele der nach 2003 migrierten irakischen Familien sind wohlhabend. Ärzte, Geschäftsmänner, ehemalige Regierungsbeamte. Sie kauften Wohnungen und Grundstücke und befeuerten einen Bauboom – vor allem im Westen der Stadt. Das Leben, das sie führen, entspricht nicht den gängigen Vorstellungen eines Flüchtlingslebens. Dennoch, wirklich frei sind auch sie nicht.

„Viele Jordanier sehen uns vor allem als cash cows“, sie würden die Iraker vor allem finanziell ausnehmen wollen. Bakers Hände greifen fester ums Lenkrad. An der Uni etwa habe man ihn durchs Examen fallen lassen, sagt er – weil klar war, dass seine Familie auch einen zweiten Versuch bezahlen würde. Diese Formen von Rassismus seien alltäglich. Viele Iraker hätten gar ihren Dialekt abgelegt, um nicht erkannt zu werden.

Während der gesamten Fahrt sind Bakers Augen fest auf die Straße gerichtet. Das Hemd hat er in die Hose gesteckt, die Haare seitlich gescheitelt, den Bart sauber gestutzt. Er spricht langsam und überlegt. Es dauert, bis er seine ganze Geschichte erzählt. Auch er beginnt ein Studium in der Heimat. Im Gegensatz zu Aseel aber kann er seine Ausbildung in Amman beenden. Sein Vater ist auch hier ein vermögender Mann.

Baker könnte für ihn arbeiten, will das aber nicht. Seine Unabhängigkeit sei ihm wichtiger, sagt er. Eine Zeit lang hält er sich mit Aushilfsjobs über Wasser. In Ost-Amman etwa zieht er von Tür zu Tür, um den Bewohnern Staubsauger zu verkaufen. Inzwischen programmiert der studierte Informatiker Webseiten. Seine Zukunft sieht auch er außerhalb des Landes. Er will für den Masterabschluss nach Großbritannien.

Wirst du je in deine Heimat zurückkehren, Baker?

„Das Bagdad, das ich kannte, gibt es nicht mehr“, sagt er. Viele seiner Freunde seien entführt oder ermordet worden. „In Amman fühle ich mich sicher.“ Immer wieder sagt er das. Trotzdem steuert er das Café erst an, als alle brisanten Themen besprochen sind.

Drinnen warten zwei seiner Freunde auf uns, auch sie aus dem Irak. Der eine, so erzählte Baker noch während der Fahrt, stammt aus Tikrit, aus der entfernten Familie von Saddam Hussein. Der andere ist Kurde aus der Gegend von Halabdscha, jener Stadt, die Hussein 1988 mit Giftgas bombardieren ließ. Zwei junge Männer, die Erzfeinde sein könnten.

Doch da sitzen sie: spielen Domino, rauchen Schischa, lachen. Sie kamen vor zwei Jahren hierher, erzählen sie. Wirklich zu Hause fühlen sie sich nicht. Dennoch seien sie dankbar. „Die Stadt hat etwas Gutes“, sagt der Kurde und lässt Rauchringe aus seinem Mund aufsteigen. „Zu Hause im Irak wären wir uns nie begegnet.“

Auch das ist Amman.

*Namen auf Wunsch der Gesprächspartner geändert

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