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Der Künstler Khvay Samnang vor einem seiner Werke, die derzeit in der Akademie der Künste zu sehen sind.

© Björn Kietzmann

Kambodscha: Die zugeschütteten Seen von Phnom Penh

Vor 40 Jahren nahmen die Roten Khmer die kambodschanische Hauptstadt ein. Ihr Terror wirkt bis heute nach. Hier erzählt der Künstler Khvay Samnang von Landraub und zugeschütteten Seen.

Phnom Penh war ursprünglich ein einziges Sumpfgebiet. Die Stadt liegt am Zusammenfluss dreier Ströme: Mekong, Tonlé Sap und Bassac. Es gibt viele Seen, traditionell wohnen Leute in Holzhäusern am Ufer oder auf dem Wasser. Doch diese Seen verschwinden – sie werden mit Sand aufgefüllt, um Platz zu schaffen für immer neue Gebäude aus Beton. Seit meiner Kindheit hat sich Phnom Penh drastisch verändert. Damals war es vielleicht nicht so entwickelt, aber es gab eine stärkere Verbindung zwischen Mensch und Natur.

Ich habe fast mein ganzes Leben in der Stadt verbracht. Geboren wurde ich 1982 an der Grenze zu Vietnam, meine Familie stammt aus der Provinz. Die Roten Khmer waren zu dieser Zeit nicht mehr an der Macht. Unter ihrer Herrschaft waren die Bewohner von Phnom Penh fast vollständig aufs Land vertrieben worden, nur ein paar zehntausend blieben, auf dem Universitätsgelände pflanzte man Reis, Pagoden wurden zerstört. Die Roten Khmer wollten eine Gesellschaft, in der alle gleich und alle Bauern sein sollten. Nach ihrem Ende 1979 kehrten die Menschen in die Stadt zurück.

Die Leute drängen vom Lande in die Hauptstadt

Mittlerweile gibt es einen richtigen Ansturm, Phnom Penh wächst, im Moment gibt es schon mehr als 1,5 Millionen Einwohner. Die Leute drängen vom Lande in die Hauptstadt, sie hoffen dort auf ein besseres Leben. Ich kann natürlich nicht für sie sprechen, aber ich glaube, das ist ein Irrtum. In ihrer Heimatprovinz besitzen viele von ihnen ein Haus und eigenes Land, da haben sie bisher im Einklang mit der Natur gelebt. Nun schuften sie in Textilfabriken und wohnen oft mit mehreren anderen zusammen in kleinen Apartments. Das Geld, das sie verdienen, schicken sie nach Hause zu ihren Familien. So habe ich es jedenfalls beobachtet, als Gymnasiast habe ich nämlich selber mal in einer Fabrik gearbeitet.

Historisch war Phnom Penh eine ziemlich kleine Stadt und seine Bevölkerung stark gemischt. Es gab Khmer, Europäer und sehr viele Chinesen und Vietnamesen, sie kamen als Händler über den Mekong. Für die Roten Khmer war die Stadt ein Symbol des Kapitalismus, von Ausbeutung und Korruption. Sie haben Phnom Penh gehasst und alles, was sie damit in Verbindung brachten: Chinesen, Künstler, Intellektuelle – und dazu zählten sie jeden, der über irgendeine Form von Bildung verfügte. Man schätzt, dass sie während der vier Jahre ihrer Herrschaft 80 bis 90 Prozent der gebildeten Kambodschaner getötet haben.

Die Folgen dieser Zeit sind bis heute spürbar, auf vielfältige Weise. Das natürliche Vertrauen zwischen den Menschen ist verloren gegangen. Denn unter den Roten Khmer gab es Leute, die andere ausspioniert und angeschwärzt haben, um sich bei den Machthabern beliebt zu machen und Vorteile für sich zu gewinnen.

Das andere sind die unklaren Besitzverhältnisse. Die Roten Khmer hatten das Privateigentum an Grund und Boden abgeschafft, entsprechende Dokumente vernichteten sie. Als die Menschen 1979 und in den Jahren darauf in die Stadt zurückkehrten, besetzten sie Häuser und Land – es war ja unklar, wem was gehörte, die früheren Besitzer waren vielleicht umgebracht worden oder geflüchtet. Zwar können die Leute Besitzer des Landes werden, auf dem sie sich niedergelassen haben; laut Gesetz haben sie das Recht dazu, wenn sie nur lang genug dort leben. Doch diese Bestätigung zu bekommen, kostet Geld. Ärmere Menschen können sich das nicht leisten. Deshalb ist es einfach für den Staat, der immer noch den Großteil des Bodens besitzt, sie zu vertreiben und das Land an reiche Leute und Unternehmen zu verkaufen oder zu verpachten. Das passiert leider oft.

Die Regierung argumentiert in solchen Fällen gern, man wolle einen Slum auflösen und die Gegend entwickeln. Da es Druck durch Nichtregierungs-Organisationen und die Medien gibt, zahlen die auch Kompensation. Aber die Immobilienpreise sind hoch und steigen weiter, sodass sich die Leute von dem Geld keinen ordentlichen Ersatz kaufen können. Manchmal siedelt man sie um, weit entfernt von der Stadt, sodass sie jeden Tag eine Stunde pendeln müssen.

Seit zehn, 15 Jahren wird sehr viel gebaut in Phnom Penh, oft entstehen teure Wohnungen und Bürohochhäuser. Das ist eine Folge der wirtschaftlichen Entwicklung. Wenn ich nachts auf die beleuchteten Fenster in den Apartmentblöcken schaue, frage ich mich immer, wer da wohl wohnt: Ausländer, irgendwelche Milliardäre oder normale Kambodschaner? Ich kenne praktisch keinen, der sich das leisten kann.

"Jetzt, wo es weniger Seen gibt, gehen die Leute in Freizeitbäder"

In den Jahren 2010 und 2011 habe ich mich mit dem Problem der Zwangsräumungen beschäftigt, das führte mich an mehrere Seen, zum Beispiel an den Boeung-Kak-See im Norden von Phnom Penh, der nach und nach zugeschüttet wurde. Die Leute, die man vertrieb, es waren mehrere tausend, bekamen pro Haus 8000 Dollar Kompensation – und noch mal 500 Dollar, wenn sie ihr Haus selber abbauten. Es gab Proteste, manche Aktivisten wurden ins Gefängnis gesperrt.

Einmal während meiner Recherchen habe ich beobachtet, wie das Haus einer Familie, die sich geweigert hatte, zu gehen, buchstäblich geflutet wurde: Von außen drang Sand ein, während die Leute flüchteten. Daraus entstand die Idee für meine Performance, an Seen zu gehen, die man einebnen will, und einen Eimer mit Sand über mir auszuschütten. Ich musste mich immer ein bisschen in Acht nehmen vor den Security-Leuten und Bauarbeitern, die Fotos habe ich deshalb während ihrer Mittagspause und an Feiertagen gemacht.

Überall entstehen kleine Städte in der Stadt

Der Boeung-Kak- See sieht heute aus wie die Sahara. Es ist eine flache Ebene. Als ich das letzte Mal dort war, gab es sogar schon eine Straße, und das Gelände war mit Zäunen in einzelne Zonen unterteilt. Was da jetzt genau gebaut wird, ist, glaube ich, noch nicht klar.

Überall in Phnom Penh entstehen derzeit kleine Städte in der Stadt, die nur die Bewohner betreten dürfen. Eine Freundin meiner Mutter lebt in so einem Komplex. Obwohl die Atmosphäre wohlhabend, ruhig und modern ist, beschwert sie sich, weil sie sich isoliert fühlt. In Phnom Penh spielt sich das Leben eigentlich auf der Straße ab, die Händler verkaufen dort ihre Waren.

Eine Touristin vor dem Königspalast in Phnom Penh.
Eine Touristin vor dem Königspalast in Phnom Penh.

© AFP

Ich selbst wohne heute in einer neuen Wohnanlage im Süden. Wenn ich durchs Fenster schaue, sehe ich zwar nur auf eine andere Wohnung, die genauso aussieht wie meine. Aber immerhin gibt es in der Nähe einen See und dadurch eine frische Brise. Aufgewachsen bin ich im Zentrum, und als ich jünger war, bin ich dort sehr glücklich gewesen. Ich war viel fischen und schwimmen, habe Grillen gefangen und Mangos von den Bäumen geholt. Damals gab es überall so viel Grün in der Stadt. Meine Lieblingsgegend befand sich rund um das Olympiastadion, in den 60er Jahren war es Austragungsort der „Spiele der neuen aufstrebenden Kräfte“ (Ganefo), die als Gegenpol zu den Olympischen Spielen gedacht waren. Heute gibt es drum herum Shopping Malls und Apartmenthäuser. Wenn ich das sehe, denke ich jedes Mal: Oh mein Gott, was ist hier bloß passiert?

Jetzt, wo es immer weniger Seen gibt, gehen die Leute stattdessen in Erlebnisbäder. Oder sie besuchen „Diamond Island“, eine künstlich erweiterte Insel, ein Quadratkilometer groß, auf der es unter anderem ein Theater, eine Halle für Hochzeiten und ein paar exklusive Wohntürme gibt. Der Stil der Gebäude ist eine Mischung aus chinesischer, vietnamesischer, europäischer und Khmer-Architektur. Außerdem gibt es eine Kopie des Resorts „Marina Bay Sands“ in Singapur. Ich fahre manchmal auch auf die Insel, aber nur zu Recherchezwecken.

Mehr und mehr Touristen kommen nach Phnom Penh. Ich frage mich immer, was sie wohl über die Stadt und über Kambodscha lernen. Klar, sie genießen das Nachtleben, weil alles billiger ist als bei ihnen zu Hause, und es gibt wohl auch Sextouristen. Verglichen mit den vielen Museen in Berlin ist in Phnom Penh wenig zu sehen: das Nationalmuseum natürlich, aber das zeigt keine zeitgenössische Kunst.

Die Kunstszene in der Stadt ist wirklich klein. Unter den Franzosen hatten Künstler bloß die Aufgabe, traditionelle Werke exakt zu kopieren. Später kamen die Roten Khmer, deren Herrschaft nur ein kleiner Teil der Künstler überlebte. Tänzer, Sänger, Kunsthandwerker sammelten sich danach in einem modernen Wohnkomplex aus den 60er Jahren, der als das „Weiße Gebäude“ bekannt ist. Schon vorher hatten dort viele Künstler gelebt. Das Viertel mit seinen mehr als 2500 Einwohnern hat heute keinen guten Ruf, viele verbinden es mit Armut, Prostitution und Drogen, aber es ist ein sehr lebendiger Teil der Stadt. Meine Galerie „Sa Sa Bassac“ veranstaltet dort Workshops, im Mittelpunkt stehen unter anderem Fotografie und Videokunst.

Seit September wohne ich in Berlin. Ich bin ein Jahr hier, dank eines Stipendiums im Künstlerhaus Bethanien. Mir gefällt, dass es in der Stadt so viele öffentliche Parks gibt, wo sich die Leute treffen können. Auch das deutsche Bier mag ich gerne. Und vor allem genieße ich, dass sich meine Kreuzberger Wohnung ganz in der Nähe des Wassers befindet.

Khvays Werke sind Teil der Ausstellung „Die Roten Khmer und die Folgen“, die bis zum 1. März in der Akademie der Künste zu sehen ist. Hanseatenweg 10, Tiergarten.

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