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Kolumne: Elena Senft schaltet nie ab: 2014 setzt mich wieder unter Druck

Menschen tendieren ab Mitte Dezember dazu, ihre Produktivität einzustellen und sich in Mails schon mal langsam ins neue Jahr zu verabschieden, in dem man dann „mit neuem Elan“, „frisch“ und „mit neuer Power“ wieder voll durchstarten werde.

Denn man hat ja nun Zeit, sich erst mal auszuruhen – zwischen den Jahren. Das ist ein Trugschluss. Denn diese Zeit zwischen Weihnachten und Silvester, die gemeinhin als der Schlendrian des Jahres angesehen wird, in der man neue Energie sammeln und Altes verdauen kann, ist in Wirklichkeit die anstrengendste Zeit des Jahres. Und das merkt man spätestens dann, wenn man versehentlich bei der ersten „Best of“-Jahressendung im Fernsehen hängen geblieben ist und sich wundert: „Warum kenne ich von den zehn erfolgreichsten Youtube-Videos des Jahres eigentlich nur ein einziges?“

Das Ende des Jahres ist die Zeit, in der man ein ums andere Mal unter die Nase gerieben bekommt, was man im alten Jahr alles verpasst hat. Es beginnt bei den Weihnachtsgeschenken, wenn man das Buch von Alice Munro aus dem Papier wickelt und Mutter ein leises „Ich habe ein unbekannteres Buch genommen, die bekannteren hast du sicher gelesen“ raunt. Auf einen verwirrten Blick folgt ein vorwurfsvolles „Literatur- Nobelpreis 2013...?!“. Es wird nicht besser, wenn man das Geschenk der Schwester öffnet und dort die DVD der fünften Staffel der Serie Breaking Bad vorfindet. Man habe schließlich neulich erwähnt, sagt die Schwester, dass man das spektakuläre Finale der Serie – warum zum Teufel auch immer!? – noch nicht gesehen habe. Hier ist der Moment, in dem man verschweigt, dass man auch die dritte und vierte Staffel nicht gesehen hat.

Ich bin in der Lage, über Serien, von denen ich nie auch nur eine Folge gesehen habe, ernsthafte Gespräche zu führen. The Wire kenne ich nicht. Aber ich kann erklären, wie McNulty den Zusammenhang zwischen der unbekannten Toten mit den 13 toten Frauen auf dem Containerschiff herstellen konnte.

Und es ist ja auch nicht so, als sei man faul gewesen. Man hatte einfach zu viel zu tun. Mit Homeland, mit Downton Abbey, mit House of Cards, mit Girls, mit der achten Staffel Dexter. Trotzdem fühlt man sich, als hätte man nichts getan, wenn man sich die Top10-Liste des Serien-Gurus vom „New Yorker“, Emily Nussbaum, ansieht und von nicht mal einem Viertel der Serien, die sie für die besten des Jahres 2013 hält, jemals gehört hat. Broadchurch? Please like me?

Und natürlich: Wie könnte sich auch jemand umfassend in der gehobenen Serienkultur auskennen, dem es in einem RTL-Rückblick der erfolgreichsten Hits 2013 nicht mal gelingt, die ersten drei Lieder zu kennen. Und das, obwohl man im Jahr 2013 immerhin nicht eine Folge „RTL-Exclusiv“ ausgelassen hat. Ich schwöre, ich kenne das Lied „Scream and shout“ von will.i.am und Britney Spears nicht. Das mögen viele Leute eher als Auszeichnung verstehen, mich hingegen setzt es unter Druck. Von den zehn erfolgreichsten Kinofilmen 2013 habe ich nur zwei gesehen. Dafür den ersten Platz, „Fack ju Göhte“, zwei Mal.

Der Beginn des neuen Jahres ist nie taufrisch und neu. Man startet mit einem Minuskonto aus dem alten Jahr, weil so viel „liegen geblieben“ ist. Um dem zu entgehen sollte man sich ab Mitte Dezember allein in eine abgeschiedene Hütte zurückziehen und leben wie ein Urmensch und erst im neuen Jahr wieder auftauchen. Ungedemütigt und ohne das offenkundige Zurschaustellen der eigenen Versäumnisse mitbekommen zu haben. Deprimierend?

Nein. Denn als ob man das Jahr in einer Hütte gesessen hätte, anstatt am Best-of des Jahres teilgenommen zu haben, so fühlt man sich ja eh.

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Esther Kogelboom und Jens Mühling.

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