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Biedermeiermöbel und orientalische Teppiche: Jedes Zimmer im Hotel Friedenau ist individuell eingerichtet.

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Kolumne: In fremden Federn: Eine Nacht im Literaturhotel

Als Tourist in der eigenen Stadt im verschlafenen Friedenau: Hier haben sich viele Schriftsteller wohlgefühlt, von Max Frisch bis Swetlana Alexijewitsch.

Goethe, vergessen Sie Goethe, der war doch überall, hat in Weimar gedichtet, in Wetzlar seine Lotte getroffen und in Rom seine Pasta gegessen, an jeder Ecke erinnert eine Tafel daran, dass der Dichterfürst auch hier genächtigt hat. Eine Plakette für Uwe Johnson dagegen, die ist was Besonderes, sie muss hier irgendwo sein, an seinem alten Wohnhaus. Wenn es nur nicht so dunkel wäre, die wenigen Friedenauer Laternen spenden spärliches Licht. Umso wärmer leuchtet es aus den Wohnungen, die aussehen, als wolle man sie gar nicht verlassen, mit Bücherregalen bis unter die hohen Altbaudecken.

Nebenan Günter Grass

Also geht man auch nach Hause: ins Hotel. Setzt sich auf sein Biedermeiersofa, knabbert an der bereitliegenden Tafel Schokolade und liest. Die wunderbar knurrigen, knorrigen Briefe von Johnson, den die Hausherrin einem ans Herz gelegt hat. Der schrieb in der Friedenauer Niedstraße unter Kastanien (und der Tempelhofer Einflugschneise), nebenan Günter Grass. Und später, als Johnson im hässlichen Sheerness-on-Sea lebte und sich zu Tode soff, hat er, wenn ihn das Heimweh packte, im Friedenauer „Hospiz“ genächtigt.

Jenes Haus vis-à-vis der Heilsarmee hat Christa Moog, selber Schriftstellerin, mit ihrem schwedischen Mann 2003 übernommen und zum Literaturhotel ernannt. Im verschlafenen Friedenau haben sich viele Schriftsteller wohlgefühlt, von Max Frisch bis Herta Müller, ihre Porträts hängen im Foyer.

Gäste werden wie Freunde begrüßt

Jetzt heißt das Frühstückszimmer „Uwe-Johnson-Salon“, da steht noch der Tannenbaum (von wegen früher war mehr Lametta), Christa Moog hat hier mit Familie, Freunden sowie Mary, der Hotelkatze, erst Weihnachten und dann Silvester gefeiert. So war der Spätdienst gleich abgedeckt. Außerdem fühlt sie sich in der Fregestraße so zu Hause wie ihre Gäste, die immer wiederkehren, wie Swetlana Alexijewitsch, die Literaturnobelpreisträgerin. Die notfalls, wie alle bedürftigen Gäste, die nicht mehr rauswollen, am Abend ein Spiegelei gebraten bekommt. Gäste werden wie Freunde begrüßt, manche sind es auch geworden.

Zum Frühstück hat der reizende italienische Mitarbeiter Antipasti gebraten, Paprika, Auberginen, Champignons. Kirschmarmelade und sahniger Quark werden in Schüsseln serviert, nicht mal die Butter ist in Portiönchen abgepackt. Und wenn nicht gerade ungemütlicher Januar wär’, könnte man draußen im lauschigen Garten speisen, von Tellern mit goldenem Rand.

Auf dem Rückweg zur S-Bahn, vorbei an Menschen, die in ihren Werkstätten Klaviere, Geigen, Bilderrahmen bauen, muss man an Uwe Johnsons Bemerkung denken: „Der Himmel müsste mal gewaschen werden.“

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