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Sensible Daten. Man sollte sein Bankkonto anderen nicht zur Verfügung stellen.

© imago/Agentur 54 Grad

Kolumne: Moritz Rinke erinnert sich: Wie unser Au-pair-Mädchen als „Finanzagentin“ verhaftet wurde

Sie arbeitet nicht bei der Deutschen Bank, sondern ein bisschen im Haushalt: Kann man eine junge, ahnungslose Frau mit Bankern vergleichen?

Im September ist unser Au-pair-Mädchen verhaftet worden. Ihr wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, „Finanzagentin“ zu sein, dabei arbeitet sie nebenbei nicht bei der Deutschen Bank, sondern ein bisschen im Haushalt und belegt einen Sprachkurs im Goethe-Institut. Als ich sie im Frauengefängnis in Lichtenberg aufsuchte, sah ich eine weinende, völlig verstörte Frau, der ich nun erklären sollte, was eine „Finanzagentin“ ist.

Eigentlich klingt „Finanzagentin“ ganz modern. Es gibt Filmagenten, Literaturagenten, berühmte Geheimagenten wie Mata Hari. Auch die Finanzagenten hatten lange einen guten Ruf: die Fugger im Mittelalter, Jakob Baruch (der Vater von Ludwig Börne) in Frankfurt, sogar Giacomo Casanova war einer. In der modernen Finanzwelt ist das nun anders, offenbar gelingt es Kriminellen zunehmend, an die Kontodaten anderer zu kommen (Phishing), um dann diese Konten zu belasten. Natürlich wollen die Täter das Geld nicht auf ihr eigenes Konto einzahlen, sondern brauchen dafür einen Finanzagenten, in Berlin wohl immer häufiger junge, ahnungslose oder sehr verliebte Frauen, die himmelschreiend naiv ihr Konto zur Verfügung stellen.

Unser Au-pair-Mädchen hatte sich in einen Russen verliebt, ich schenkte ihr noch „Anna Karenina“ von Tolstoi. Als ich sie nach 14 Tagen (vierzehn Tagen!!!) gegen Kaution aus dem Gefängnis holen wollte, wurde sie von Polizeibeamten vorgeführt, ich durfte sie aus Sicherheitsgründen nicht einmal umarmen.

Es geht um einen vierstelligen Betrag

Am Tag, als ich mit dem Au-pair und ihrer Pflichtanwältin das Gerichtsverfahren vorbereitete, tauchte der Begriff „Finanzagentum“ auch auf der ersten Seite des Tagesspiegel auf. Es ging um zwei Mitarbeiter der Deutschen Bank, die bei der Gründung von Offshore-Gesellschaften in Steuerparadiesen behilflich gewesen sein sollen. Offshore-Gesellschaft klingt ganz gut, besser als Geldwäsche oder Briefkastenfirma.

„Kann man unser Au-pair-Mädchen mit den Mitarbeitern der Deutschen Bank vergleichen? Greift da derselbe Strafkatalog?“, fragte ich die Anwältin.

Sie schaute uns mit einem mitleidigen, zärtlichen Blick an, so als dürften wir hier eigentlich gar nicht sitzen, sondern zu Hause beim Kind oder beim Lernen im Goethe-Institut.

Es geht im Übrigen um einen vierstelligen Betrag, den der Russe und seine Gang erbeutet haben. Christian Bittar, der Deutsche-Bank-Händler, dem der höchste Bonus aller Zeiten ausgezahlt werden sollte (80 Millionen Euro), sitzt mittlerweile für fünf Jahre in Haft, er hatte den Referenz-Zins Euribor manipuliert und dadurch einen Schaden in Milliardenhöhe verursacht.

Müsste der Banker nicht 5000 Jahre bekommen?

„Wenn ich die 14 Tage Haft für unser Au-pair und den Schaden in vierstelliger Höhe mit den fünf Jahren Haft und dem Schaden in Milliardenhöhe vergleiche“, fragte ich die Anwältin, „Müsste der Bank-Händler dann nicht ungefähr 5000 Jahre bekommen?!“

Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die 14 Tage Haft ein Irrtum der Polizei waren, man dachte, sie habe keinen Wohnsitz und würde deshalb flüchten. Und noch ein gravierender Unterschied: Das Au-pair hatte leider keine Ahnung, was sie tat, die Banker schon. Und man hat auch das Gefühl, dass sich das bei den Bankern irgendwie wiederholt, das Au-pair gibt aber ganz gewiss nie wieder irgendwem ihr Konto, auch wenn sie verliebt ist. Und die Strafe zahlt bei den Bankern immer die Bank; im Falle des Au-pairs vermutlich ich. „Anna Karenina“ ist auch futsch. Hat sie dem Russen geschenkt, der ist aber auf der Flucht.

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