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Jens Mühling lernt Türkisch: „Nefret“ heißt „Hass“

Das türkische Verb „nefret etmek“ bedeutet „hassen“.

Verwendet man es in einem Satz, muss das Objekt des Hasses in den sogenannten Ablativ gesetzt werden – ein kompliziertes satzbauliches Manöver, mit dessen Details ich Sie hier nicht weiter belasten will.

Als wir das Verb kürzlich im Türkischkurs durchnahmen, ließ Ergün, unser nimmermüder Lehrer, uns zum besseren Verständnis ein paar Beispielsätze bilden.

„Carola“, sagte er. „Kimden nefret ediyorsun? Wen hasst du?“

Carola überlegte einen Moment. „Eigentlich niemanden. Hass ist so ein starkes Wort.“

„Es geht ja nur um einen Beispielsatz“, antwortete der geduldige Ergün. „Vielleicht gibt es einen Politiker, den du hasst?“

„Habe ich auch schon überlegt“, sagte Carola. „Aber hassen, das ist doch etwas Persönliches. So gut kenne ich keinen Politiker.“

Ergün sah sie lächelnd an. „Die Familien der jungen Leute, die in Istanbul im Gezi-Widerstand gestorben sind, kennen Erdogan auch nicht persönlich“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Trotzdem würden sie vielleicht sagen: Ben Erdogan’dan nefret ediyorum. Ich hasse Erdogan. Dafür brauchen sie keinen persönlichen Kontakt.“

Zugetragen hat sich diese kleine Szene kurz vor Recep Tayyip Erdogans Besuch in Köln, wo sich der türkische Ministerpräsident am vergangenen Wochenende von gut 15 000 begeisterten Anhängern feiern ließ. Fast doppelt so viele Gegner Erdogans standen derweil ziemlich unbegeistert auf der gegenüberliegenden Seite des Rheins, um Sätze über den Fluss zu schreien, die vor Ablativkonstruktionen nur so wimmelten.

Rheinübergreifende Streitigkeiten haben Deutschland in der Vergangenheit viel Unheil eingebracht. Allein schon deshalb muss der Erdogan-Auftritt kritisch bewertet werden.

Sprachlich interessant ist, dass Erdogan seine Anhänger in Köln als „kardesler“ ansprach – als „Geschwister“. Als ihm kurz darauf der Grünen-Politiker Cem Özdemir vorwarf, mit seinem Auftritt die in Deutschland lebenden Türken zu spalten, zog er sich damit den ablativerfüllten Hass des Ministerpräsidenten zu – Erdogan bezeichnete Özdemir wütend als „sözde türk“, als „sogenannten Türken“, der sich in der „echten“ Türkei besser nicht mehr blicken lassen solle.

Die Welt zerfällt für Erdogan also in Geschwistertürken und Schwindeltürken. Die richtigen Türken erkennt man daran, dass sie auf Erdogans Seite stehen, die falschen stehen auf der anderen.

Mich erinnert diese Denkweise ein bisschen an meine Heimatregion, das Rheinland. Für die linksrheinischen Kölner liegt am rechten Flussufer die „schäl Sick“, die „schlechte“ oder „falsche“ Seite. Die rechtsrheinischen Düsseldorfer wiederum sagen „schäl Sitt“, wenn sie vom linken Rheinufer sprechen. Schäl ist immer da, wo man selbst nicht ist. Laut sagen kann man das aber nur als Exilrheinländer, der wie ich in beiden Städten gelebt hat. Die meisten Kölner und Düsseldorfer dagegen dürften sich, so schäl sie sich sonst auch gegenseitig ansehen mögen, darin einig sein, dass Exilrheinländer überhaupt keine echten Rheinländer sind, sondern nur sogenannte Rheinländer, Scheinanrainer sozusagen. Je mehr ich darüber nachdenke: Erdogan hätte wirklich nicht am Rhein auftreten sollen.

Ich verstand leider nicht sehr viel, als ich mir Erdogans Ansprache später im türkischen Original ansah. Vielleicht liegt es daran, dass mein Türkischlehrer gar kein Türkischlehrer ist, sondern nur ein sogenannter Türkischlehrer, der seinen sogenannten Türkischschülern in sogenannten Türkischkursen sogenanntes Türkisch beibringt.

Weiterlernen werde ich trotzdem – in der Hoffnung, dass ich irgendwann auch mit den echten, den Erdogan-Türken eine gemeinsame Sprache finde.

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