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Elena Senft schaltet nie ab: Dia-Abend in den Zeiten des Smartphones

Der Frühling ist da. Blass-fahle Winterfratzen weichen rosigen, gut gelaunten Gesichtern, die in Cafés sitzen und Hugo trinken – den Latte Macchiato unter den alkoholischen Getränken. Während man in der Zeit von Oktober bis März gemeinhin darauf verzichtet, anderen Menschen mit aufdringlichem Klicken sein Smartphone ins Gesicht zu halten und auf den Kamera-Auslöser zu drücken, kann man sich ab April kaum retten vor Menschen, die im Grunde jede Situation bei richtiger Sonneneinstrahlung für festhaltenswert halten.

Sonnenbeleuchtetes Getränk? Klick!

Nackte Füße im Gras? Klick!

Schwitzende Visage beim Verzehr eines Rucola-Salats? Klickklick.

Das Zeitalter der digitalen Fotografie ist Fluch und Segen zugleich. Fast vergessen ist die Epoche, in der man sich diskussionslos damit abfinden musste, dass man auf dem romantischen Urlaubsbild, auf dem man durch geschicktes Positionieren scheinbar die Sonne von Capri in seiner Hand hält, die Augen zur Hälfte geschlossen hat. Man hatte ja nun mal kein anderes und musste mit dem arbeiten, was da war.

Der Optimierungswahn beim eigenen Bild ist gestiegen, seitdem man immer und überall Fotos machen, wieder verwerfen und diesen Vorgang unbegrenzt wiederholen kann. In der Konsequenz legen viele Menschen einen übersteigerten Wert darauf, auf Bildern maximal gut auszusehen.

Interessanterweise sind die Leute, die nach jedem geschossenen Foto sofort auf die fotografierende Person zustürmen, ihr die Kamera entreißen und ihren eigenen Ausdruck auf dem Bild überprüfen, oft diejenigen, die sich überhaupt keine Sorgen machen müssten, da sie nie durch eine sich gelb absetzende Kauleiste oder eine aufdringlich glänzende Stirnpartie unangenehm auffallen. Dennoch sind sie streng mit sich: Sollte ihr Gesichtsausdruck auf dem Foto allerdings auch nur minimal von ihrem einstudierten Fotogesicht abweichen, wird das Bild ohne Rücksprache gelöscht oder seine Verbreitung untersagt.

Auch nach größeren Feierlichkeiten schrecken diese Menschen nicht davor zurück, in scheinheiligen Mails die Foto-Ersteinsicht zu fordern („Du hattest doch neulich abends mal Fotos gemacht...?!“) und nach Kräften die Freigabe vom einzigen Hochzeits-Gäste-Foto zu verhindern, nur weil man selber ganz links in Reihe 13 gerade zum Niesvorgang ansetzt.

Die anstehende Urlaubssaison fördert einen weiteren Nachteil der digitalen Fotografie-Maßlosigkeit zutage: Es ist nur jetzt im Frühjahr noch eine Frage von Wochen, dass die ersten Freunde nach dem Mykonos-Urlaub zum „griechischen Abend“ einladen und die Gäste durch qualvolle Stunden nicht enden wollender, mit Sirtakimusik untermalter Fotosessions jagen, bei denen man trockene Grissinis in Zaziki taucht und versucht, einigermaßen interessiert zu schauen, während der ausladenden Fotoerklärungen („Manuela beim Rückenschwimmen im vorderen Pool“, „Manuela beim Delfinschwimmen im hinteren Pool“, „Manuela beim Kraulen im Meer“) einigermaßen interessiert zu schauen.

Bloß aus Verlegenheit keine pseudointeressierten Nachfragen stellen.

Nach jedem „Ach, und das war jetzt also im neueren Hoteltrakt?!“ folgt garantiert ein „Nee, das ist der alte. Der neue sieht doch ganz anders aus. Mach noch mal 50 Bilder zurück.“ Zum Glück hat der Gastgeber genug Ablenkung von den Bildern eingeplant, denn natürlich gibt es für jedes Bild auch noch eine passende Urlaubsanekdote.

Und da wird es dann richtig lustig.

An dieser Stelle wechseln sich ab: Elena Senft, Moritz Rinke, Esther Kogelboom und Jens Mühling.

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