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Dr. WEWETZER: Europa und der Krebs

Spätestens seit dem NSA-Abhörskandal hat „Big Data“, also das Sammeln großer Mengen an Informationen, einen schlechten Leumund.

Allerdings nicht immer zu Recht. Ein Gebiet, auf dem man gar nicht genug Daten sammeln kann – natürlich im Rahmen des Erlaubten und Nutzbringenden – ist die Medizin. Gute Informationen können hier auf Gefahren wie neue Epidemien hinweisen oder im Gegenteil positive Entwicklungen aufzeigen.

Wie die jetzt veröffentlichte Eurocare-5-Studie. Die größte europäische Untersuchung zum Thema Krebs enthält Daten zum Überleben von zehn Millionen Krebspatienten in 29 europäischen Ländern und dokumentiert, ob und wie der medizinische Fortschritt bei der Bevölkerung Europas ankommt. Immerhin die Hälfte der Erwachsenen und 77 Prozent der Kinder, bei denen zwischen 2000 und 2007 Krebs festgestellt wurde, sind in der Studie berücksichtigt.

Die Tatsache, dass die Überlebenschancen laut Eurocare-5 auf dem gesamten Kontinent steigen, spricht dabei für einen Trend zum Guten. Europäer überleben ihre Krebsdiagnose länger als noch vor fünf Jahren, teilt das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg mit, das maßgeblich an der online im Fachblatt „Lancet Oncology“ veröffentlichten Untersuchung beteiligt war. Ganz vorn dabei ist Deutschland. Für fast alle Krebsarten liegen die Überlebenswerte in der Spitzengruppe. Das gilt erfreulicherweise auch für Krebskrankheiten bei Kindern.

Verglichen mit den anderen Regionen des Kontinents sind die Chancen vor allem für die Osteuropäer schlechter. Allerdings holen die östlichen Nationen mehr und mehr auf, die Kluft wird geringer. Ein wesentlicher Grund für Unterschiede beim Krebsüberleben ist die finanzielle Situation der Länder, stellt das Krebsforschungszentrum wenig überraschend fest. Je besser die wirtschaftliche Lage, umso besser auch die medizinische Versorgung und die Lebenserwartung. Aber auch der Lebensstil, etwa das Rauchverhalten, und Angebote zur Früherkennung nehmen Einfluss.

Im Vergleich der Fünf-Jahres-Überlebensraten zwischen 1999 und 2007 war vor allem bei Krebs im Bereich des Enddarms (Verbesserung des Überlebens von 52 auf 58 Prozent) und beim Non-Hodgkin-Lymphom, einer Form von Lymphknotenkrebs (Verbesserung von 54 auf 60 Prozent), ein Trend zu deutlich besseren Überlebenschancen festzustellen. Beim Enddarm- oder Rektumkrebs dürfte das auf bessere chirurgische Technik und beim Lymphknotenkrebs auf wirksamere Medikamente zurückzuführen sein, vermutet die Studienleiterin Roberta De Angelis vom Nationalen Zentrum für Epidemiologie in Rom.

Ansonsten fällt der Anstieg der Überlebensraten über die Jahre im Allgemeinen eher bescheiden aus. Bei Tumoren der Lunge und der Eierstöcke herrscht sogar Stagnation. Zwar ist es beruhigend zu sehen, dass es eine allgemeine Tendenz zum Besseren gibt und keine verborgene Krebsepidemie im Gang ist. Aber mehr Fortschritt darf schon noch sein.

Unser Kolumnist leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegels. Haben Sie eine Frage zu seiner guten Nachricht?

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