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Wie Rockstars. Jürgen Dahlmanns vom Label Rug Star in Mitte (u.).

© Spiekermann-Klaas/ Kleist-Heinrich

Kuscheliges Wohnen: Der Teppich liegt wieder im Trend

Bloß keinen Orientteppich! Der galt lange als spießig. Doch nun setzt die Renaissance ein: Designer mischen ihn mit grellen Farben und Motiven auf.

Von Maris Hubschmid

Wer Anfang des 21. Jahrhunderts die erste eigene Wohnung einrichtete, dem war ein Orientteppich in der Regel zweimal im Leben begegnet: Erstens beim Videoabend mit Disneys Version von „Aladin und die Wunderlampe“, zweitens zu Hause bei Oma, diesem nicht minder wundersamen Ort, wo überall Deckchen herumlagen und Teppiche auf Teppichen, schlichtweg alles in einem Bedürfnis nach Materie und Geborgenheit gut gepolstert war. Orientteppich, das klang nach Hausstaub, Fransenkamm und Spießigkeit. Hätte man einem jungen Paar einen schenken wollen, es hätte wohl ohne zu zögern abgelehnt.

Irgendwer muss kräftig die Lampe gerieben haben. Allein in Berlin-Mitte gibt es nun ein halbes Dutzend eifrig besuchter Teppichläden, die Handgeknüpftes aus Nepal, Tibet, Indien oder Marokko bieten. Der Teppich, heißt es in Einrichtungsforen einhellig, ist zurück. Was ist passiert?

Die Revolution beginnt in Bochum. Dort geht in den frühen 90er Jahren der abenteuerhungrige Jan Kath, Sohn und Enkel eines Teppichhändlers, 19-jährig auf Weltreise. In Kathmandu bleibt er hängen, trifft zufällig einen Geschäftsfreund seiner Familie, der ihm einen Job verschafft und die Geschäftsführung seiner Teppich-Manufaktur in Nepal übergibt. Gestaltung hat Kath nicht gelernt, sondern eine Kaufmannslehre hinter sich. Vielleicht spart er deshalb erst mal den Designer ein. Er entwirft selbst.

Teppiche auf Reisen entdeckt

Seine Werke sind Interpretationen klassischer Muster, kombiniert mit modernen Elementen oder aufwendig verfremdet. Manche Teppiche sehen aus wie mit dem Degen zerschnitten. Andere, als sei Kath ihnen mit dem Bunsenbrenner zu Leibe gerückt.

Anfangs sei es ihm darum gegangen, die Manufaktur mit 600 Beschäftigten am Laufen zu halten, sagt der 42-Jährige, der längst vom Pott aus die Geschäfte lenkt, mit Vorliebe Turnschuhe trägt, zwei Kinder hat und recht bodenständig wirkt. Seine Teppiche dagegen hoben richtig ab. Ein Designpreis knüpfte sich an den nächsten, Bruce Willis und die Red Hot Chilli Peppers kauften bei ihm ein, das Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt stellt seine Teppiche aus. Acht eigene Läden, 2500 Mitarbeiter – in der Branche nennen sie ihn „Herr der Knoten“.

Auch der Berliner Jürgen Dahlmanns musste erst weit reisen, um seine Leidenschaft für Teppiche zu entwickeln. Sein erster war ein Tibeter, ein Khaden. Dahlmanns war fasziniert von dem Handwerk. „Für mich ist ein Teppich ein zweidimensionales Haus“, sagt er. Dahlmanns hat Architektur studiert, sieht die architektonische Dimension – und Meisterleistung. Nach 3000 Arbeitsstunden ist ein handgeknüpfter Orientteppich fertig. Wochenlange Konzentration von vier Männern oder fünf Frauen. „Das hat was mit der Schulterbreite zu tun“, erklärt Dahlmanns. Hinter ihm, im Showroom in der Torstraße 35, hängt ein 2,50 Meter mal drei Meter großes Prachtexemplar mit zwei grau-blauen Papageien. Die Motiv-Teppiche sind charakteristisch für Rug Star – das Label, das Dahlmanns vor 14 Jahren als Ich-AG in der Mulackstraße gründete und das heute sechs Läden und 1600 Mitarbeiter zählt.

Teppiche teilen Räume ein

Sein Sortiment teilt sich in zwei Linien: Tibetteppiche, handgemacht in Nepal, und Perserteppiche, gefertigt in Indien. Letztere sind bis zu 20 Prozent dicker, weil sie enger geknüpft sind – bis zu 300 000 Knoten pro Quadratmeter. Wie Jan Kath verwendet Dahlmanns nur natürliche Materialien: tibetische Hochlandwolle, chinesische Seide und Brennesselfasern. Die Anzahl der Knoten und der Anteil an Seide bestimmen den Preis, der bei den Großen der Branche zwischen 10 000 und 20 000 Euro liegt.

Wohnungen haben immer weniger Wände, sie weichen zugunsten von Loftatmosphäre und Fensterglasfronten. Naheliegend, dass man sich die Kunst auf den Boden legt? „Die Grundrisse lösen sich auf, Raumfunktionen fließen ineinander“, bestätigt Dahlmanns. Der Teppich kennzeichnet verschiedene Wohnbereiche, bindet die Einrichtungsfragmente in ein Konzept. Im Interieur-Design gilt daher: Der Teppich kommt zum Schluss hinein und nicht, wie man vermuten mag, als Grundlage jeder Gestaltung.

Oft interessieren sich deshalb die Kunden zunächst für auffallende Motive, mit Koi-Karpfen oder Blüten etwa, und entscheiden sich letztlich für ein weniger extravagantes Modell, erzählt Dahlmanns. Eintönig ist in den Rug-Star-Räumen trotzdem nichts. Weniger als sechs Farben werden in keinem der Teppiche verwoben, die der 47-Jährige entwirft. In manchen sind es 76. Grau ist niemals einfach nur grau, immer läuft ein feiner blauer, türkis- oder orangefarbener Faden mit.

Die Renaissance des klassischen Teppichs

Peter Kaiser hat mit Pink angefangen. Farbe ist Programm bei Capooi.
Peter Kaiser hat mit Pink angefangen. Farbe ist Programm bei Capooi.

© Spiekermann-Klaas/ Kleist-Heinrich

Peter Kaiser hat mit Pink angefangen. Farbe ist Programm bei Capooi, unweit von Rug Star in der Torstraße 145 und nur wenige Meter entfernt von der Berliner Niederlassung von Jan Kath. Auf den Teppich kam Kaiser eher unfreiwillig: Als er sein Auto verkaufen wollte, war der einzige Interessent ein Teppichhändler. „Der bestand darauf, bei der Bezahlung einen Teppich zu verrechnen.“ Kaiser ließ sich einwickeln. Seinen neuen Mitbewohner färbte er in einer Manufaktur in Hamburg rosa. So entstand ein Geschäftsmodell: Seit 2013 bietet er in einem vergleichsweise kleinen Laden ausschließlich Orientteppiche an, die gebleicht, gewaschen und in neue Knallfarben getaucht wurden. In sattem Violett, Orange oder Königsblau leuchten sie im Schaufenster – die Punks unter den Persern.

Die Originalmaserung bleibt bei dieser Prozedur erhalten. Mit rund 300 Euro pro Quadratmeter sind die Teppiche bei Peter Kaiser deutlich leichter zu schultern als die von Dahlmanns und Kath. Günstiger wird es für den, der einen Teppich aus eigenem Bestand färben lässt. Aus 25 Farben wählen Kunden. „Je nach Fadenmaterial kann der Ton dabei leicht variieren.“ Wie findet man den richtigen? Der Teppich muss zu den Augenbrauen passen, hat Salvador Dali gesagt. Das wird bei Capooi zugegeben schwierig.

Das Drehkreuz für die Unterleger Europas

Die Teppiche bezieht der Berliner Geschäftsmann in Hamburg, im größten Teppichlager der Welt – der Speicherstadt. Drehkreuz für die Unterleger Europas. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat dort mancher Händler aufgeben müssen. Der Bundesverband des Teppich- und Gardinenhandels löste sich 2002 auf, nachdem er kaum mehr Mitglieder hatte. „Unvorstellbare Änderungen in der Handelslandschaft“ machten die Verbliebenen auf ihrer letzten Sitzung als Grund für den Niedergang aus. Berichte über Kinderarbeit hatten dem Image des Teppichs in den 90er Jahren zusätzlich zugesetzt. Heute zertifiziert das Goodweave-Siegel Produkte, die garantiert ohne die Ausbeutung von Kindern produziert worden sein sollen.

Und dank der von Kath und Co. ausgelösten Revolution erleben auch klassische Teppiche eine Renaissance. Davon profitiert in Berlin zum Beispiel Thomas Wild, der in den Sophie-Gips-Höfen erlesene alte Teppiche aus aller Welt handelt. Er stattete unter anderem das Schwesterrestaurant des Grill Royal, den Pauly Saal in der Auguststraße aus, auch bei Tim Raue liegen Perser mit Patina unter dem Tisch.

Der Teppich, er hat etwas Heilsames

Damit diese Rolle rückwärts gelingen konnte, musste der Mensch freilich erst hart auf den Boden der Tatsachen geholt werden: Hätten wir Auslegware – schon der Begriff klingt nach Analogkäse –, Linoleum und Laminat nicht in stundenlanger Kleinstarbeit aus unseren Leben gerissen, der Teppich wäre vielleicht nie wieder entdeckt worden. So aber stand der Mensch schließlich auf nacktem Beton, Dielen oder Parkett – und merkte plötzlich, dass sich im Purismus des dritten Jahrtausends nicht nur die Füße etwas unterkühlt anfühlen.

Welch Glück: Die Hochglanzböden bieten dem Einzelteppich die ideale Bühne. Erst sie verhelfen ihm zum großen Auftritt. Der Teppich, er hat etwas Heilsames. Weil er kuschelig ist, die Temperatur verändert. Die Lautstärke dämmt. Aber auch, weil er Substanz gibt. Und ein wenig zaubern kann: „Man stelle sich ein Berliner Esszimmer vor“, sagt Jürgen Dahlmanns. „Ein enges, seelenloses Durchgangszimmer, in das sich keiner setzen mag. Dann legst du einen frischen, grasgrünen Teppich unter Tisch und Stühle, und plötzlich wollen alle da hin.“

Eine weitere prominente Adressen für Teppiche in Berlin  ist Reuber Henning in der Schöneberger Apostel-Paulus-Straße, wo neben Streifen in etlichen Varianten auch Kinderzeichnungen auf den Teppich kommen. Ein paar Preiskategorien tiefer bietet das junge Unternehmen Urbanara im Showroom in der Gipsstraße indische Jute- und Wollteppiche mit grafischen Mustern in vielen Farben und Größen an. Produkte der Kölner Designerin Michaela Schleypen, die mit Teppichen in Wellenform oder Mooswiesenoptik unter dem Label Floor to Heaven auf sich aufmerksam machte, vertreibt zum Beispiel der Fachhändler Nyhues in seiner Filiale im Stilwerk in Charlottenburg. Nahezu alle deutschen Teppichdesigner stellen sich auf der weltgrößten Fachmesse für Teppiche, der Domotex, vor: Die findet in Hannover statt, das nächste Mal vom bis 17. Bis 20. Januar 2015

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