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Ein Kutschpferd in New York.

© Reuters

Kutschen in New York: Am Hudson gehen die Pferde durch

Auf New Yorks Straßen wird gestritten: Dürfen Kutscher weiter ihre Dienste anbieten oder verstößt das gegen den Tierschutz? Ein Verbot könnte weltweit Nachahmer finden.

Es ist Sonntagnachmittag in New York. Am Columbus Circle kämpfen Taxis um die beste Position an der nächsten Ampel, der Wind bläst noch mal kalte Luft in die Stadt, und in die mischt sich hier kräftiger Geruch – er weht vom Südrand des Central Parks herüber, direkt von den sechs Pferdekutschen, die dort auf Touristen warten.

„We love horseshit!“, steht auf einem Plakat: „Wir lieben Pferdescheiße!“ Ein bebrillter Mann Anfang 40 hält das Banner hoch, auf einer Verkehrsinsel vor der Kolumbusstatue. Ein Fußgänger raunzt ihn an: „Wenn Sie die so sehr lieben, warum ziehen Sie die Karren nicht selbst?“ Der Mann bleibt ruhig. „Thank you, Sir“, sagt er.

Die New Yorker und die Pferdekutschen, das ist ein brisantes Thema dieser Tage. Eine Auseinandersetzung, die demnächst vielleicht auch das ferne Europa, möglicherweise sogar Berlin erreichen wird.

Was bisher geschah: Der im November gewählte Bürgermeister Bill de Blasio, der vorher Stadtrat in der Bronx war, hatte bereits im Wahlkampf erklärt, seine erste Amtshandlung werde die Verbannung der Pferdekutschen aus Manhattan sein. Das Vorhaben unterstützte insbesondere eine Lobbygruppe namens NYClass und spendete 1,3 Millionen Dollar für den Wahlkampf. Ihr Vorwurf lautet, die Pferdekutschen seien Tierquälerei. Als der Demokrat de Blasio am 1. Januar sein Amt antrat, bekräftigte er seinen Plan. Er wusste einflussreiche Prominente hinter sich: Schauspieler Alec Baldwin, Popstar Pink, Modedesigner Calvin Klein. Eine Allianz des Glamour. Bis Actionstar Liam Neeson auftrat. Er erklärte im Februar, er werde den Kutschern beistehen, die ihre Tiere sehr wohl vernünftig behandelten. Auch die „New York Times“ fragte sich, ob der Bürgermeister nichts Besseres zu tun habe, als an einer der beliebtesten Traditionen der Stadt zu rütteln.

Ein Verbot könnte zum Präzedenzfall werden und weltweit Nachahmer finden. Eine Delegation kanadischer Kutscherinnen war gerade schon zu einem Solidaritätsbesuch am Central Park. Und ein Stadtrat in Chicago hat angekündigt, gegen die Kutschen in seiner Stadt vorzugehen, sollte New York sich zu einem Verbot durchringen.

Stephen Malone sagt: „Das ist ein Klassenkampf: Es geht um sehr vermögende Leute, die Menschen aus der Mittelschicht wie mich verdrängen wollen.“ Der 45-Jährige ist Kutscher, sein Händedruck ist fest, man kann sich gut vorstellen, wie er anpackt, wenn die Kutschen raus aus dem Stallgebäude in West Manhattan müssen, und wie er die Zügel in der Hand hält, wenn seine Pferde das Gefährt eine halbe Stunde lang Richtung Central Park ziehen. Worauf Malone anspielt: Hinter den Pferdekutschenkritikern von NYClass steht unter anderem der Geschäftsmann Steve Nislick, er besitzt Immobilien an der 11. Avenue, gleich um die Ecke von den Ställen an der 52. Straße. Noch stehen auf Nislicks Grundstücken Werkstätten, Parkplätze und Lagerhäuser. Für Wolkenkratzer ist diese Gegend New Yorks nicht freigegeben, dafür müsste sie neu klassifiziert werden, „rezoning“ heißt das. Und genau darum geht es, glaubt Stephen Malone, der dagegen kämpfen will.

Eine Frau in wattierter Jacke stürmt in den Stall. „Can I help you?“, fragt Malone. Die Angesprochene entpuppt sich als Fotografin, sie möchte den Kutscher unterstützen, dafür ein paar Bilder im Stall machen, die Fotos dann ausstellen – und so die Nachbarschaft, in der auch sie wohnt, dokumentieren. Die Veränderung, die womöglich kurz bevorsteht. Vorn an der 11. Avenue sitzen die Fernsehstudios, aus der Jon Stewart seine beliebte „Daily Show“ moderiert. Am anderen Ende der 52. lockt Larry Hustlers Club unterhaltungssüchtige und zahlungswillige Gentlemen an. Gleich dahinter landen die Kreuzfahrtschiffe an.

Niedrige Häuser, drei, vier Geschosse, ein eingezäunter Spielplatz – schick sieht anders aus. Vielleicht so wie nur eine Avenue weiter. Dort wird für Luxusmietwohnungen geworben, und Mercedes Benz verkauft seine Autos in einem gigantischen Showroom. Hell’s Kitchen ist nur fünf Minuten zu Fuß entfernt, in den 60er Jahren als gefährliche Gegend durch die „West Side Story“ weltberühmt geworden, seit zehn Jahren eine sehr beliebte Ecke bei gut verdienenden New Yorkern.

Malone ist irischer Herkunft, in zweiter Generation Amerikaner und Pferdekutscher. Sein Vater hat das Geschäft 1964 gegründet. Seit Stephen Malone sechs war, sitzt er auf dem Bock, mit 18 Jahren machte er den Kutscherschein. Er kann es sich nicht leisten, in Manhattan zu wohnen. Mit Frau und Kindern lebt er auf Long Island, in den letzten sechs Jahren hat er zweimal Urlaub gehabt. Die Kutschen kennen keine Feiertage, nur wenn es unter minus sieben und über 32 Grad sind, bleiben die Pferde im Stall. Jeden Tag fährt Malone 45 Minuten mit dem Auto in die 52. Straße nahe dem Hudson River – wo die Ställe für seine zwei Pferde stehen.

Steve Nislick hat auf Nachfragen stets geantwortet, er sei an diesem Gebäude mit den knallroten Feuerleitern nicht interessiert. Das mag sogar stimmen. Nur wenn die Pferdekutschen verboten werden, sind die Ställe überflüssig, einer Neuklassifizierung stünde nichts im Weg. Stephen Malone glaubt, „von ein paar Millionen kann er seinen Gewinn schnell auf ein paar Milliarden“ steigern. Angesichts der hohen Grundstückspreise ist das kein unglaubwürdiges Szenario. In dem Stall haben 68 Tiere auf zwei Etagen Platz, jedes Pferd hat eine Box. Mehr als sechs Quadratmeter groß, so wie es das Gesetz verlangt. Ist das nun Tierquälerei, wie die Lobbygruppe NYClass behauptet? Sie listet sieben Unfälle in den vergangenen drei Jahren auf, zwei davon mit Todesfolgen.

Oder wird hier ein Nebenkriegsschauplatz aufgemacht, um von dringenden Problemen wie anhaltender Arbeitslosigkeit und steigenden Mieten abzulenken? Das denken die Gewerkschaften. Sie haben dem Bürgermeister Mitte März geraten, sein Vorhaben aufzugeben. Sollte er seinen Plan tatsächlich umsetzen, würden sie dagegen kämpfen. Ein Demokrat, der sich gegen die einflussreichen Gewerkschaften stellt? Das geht eigentlich nicht. Und auch die New Yorker wollen ihre Kutschen behalten. Beinahe zwei Drittel, 61 Prozent, haben sich in einer Umfrage kürzlich für ihren Erhalt ausgesprochen. „Ganz offensichtlich“, schreibt Peter Richter in der „Süddeutschen Zeitung“ über diese seltsame Auseinandersetzung, „ist der modernste Trend, der von New York für die Zukunft ausgeht, das 19. Jahrhundert.“

Tierschützer prangern die Haltung an

Ein Kutschpferd in New York.
Ein Kutschpferd in New York.

© Reuters

Das scheint die ganze Welt zu verblüffen. Wieder steckt jemand den Kopf durch die Stalltür. Ein junger Mann, mit einem Kameragestell auf dem Rücken. „Al Jazeera“, sagt Stephen Malone. Der arabische Fernsehsender dreht, während in dem kleinen Durchgangsbüro die Uhr für die Stempelkarten geräuschvoll umspringt, alle fünf Minuten rattert es wie in einer alten Kuckucksuhr.

Ein Mann in einem dicken Overall kommt herein, stempelt seine Karte. „Dimitri, wo kommst du noch mal her? Bolivien oder Bulgarien?“, fragt Malone. Dimitri dreht sich um, er lächelt schwach wie jemand, der schon oft erklären musste, woher er stamme. „Bulgarien.“ Malone entschuldigt sich: „Ich wusste, es war was mit B, und es war nicht Brasilien. So wie Dimitri sind viele Kutscher in zweiter Generation Amerikaner – Italiener, Iren, Türken, Israelis, Chinesen, Russen.“

Stephen Malone steigt die Rampe zur ersten Etage hinauf, wo schon der Duft verrät, dass wir nun in das Reich der Pferde hineintreten. Malone zählt auf, was sie alles in den vergangenen Jahren durchgesetzt haben. Dass die Pferde nicht länger als neun Stunden draußen bleiben dürfen, dass sie Sprinklerleitungen für jede Box haben, dass acht Stallburschen im Schichtbetrieb darauf aufpassen, wie es den 68 Tieren auf den zwei Etagen geht, dass sie viermal pro Tag das Stroh wechseln.

Edita Birnkrant von der Initiative „Friends of Animals“ hat öffentlich die Haltung der Pferde mit einem Gefängnis verglichen. „Sie brauchen die Möglichkeit, im Freien zu grasen und zu wandern.“ Stephen Malone betont, dass die Kutschfahrten die benötigte Bewegung ersetzen. Dass für jedes Tier tierärztliche Untersuchungen Pflicht sind, eine Generaluntersuchung einmal pro Jahr, dann noch eine, wenn die Pferde in den jährlichen fünfwöchigen Urlaub auf eine Farm im Norden des Bundesstaates gehen – und eine, wenn sie wieder zurück in die Stadt kommen. „Bürgermeister de Blasio kann jederzeit hier vorbeischauen, er hat es bisher nicht einmal getan.“

Trotzdem, die eine Frage muss er sich gefallen lassen: Braucht jemand diese Gefährte wirklich? „Die Kutschen gehören zum Charme der Stadt“, sagt Malone. „Sie halten die Geschwindigkeit und Hektik der Straßen auf.“ Er redet von Tradition, von Kunden, die jedes Jahr wiederkommen, um mit einer Runde durch den Central Park den Geburtstag der Kinder, den Hochzeitstag oder die Weihnachtszeit zu begehen. Sofort fallen einem Bilder von Carrie Bradshaw (Sarah Jessica Parker) in der Serie „Sex and the City“ ein, die ihrem Schwarm Mr. Big einen Abschiedsabend in Manhattan schenkt – inklusive Kutschfahrt. „Sehr kitschig“, sagt er. „Nein, sehr stilvoll“, entgegnet sie.

Die New Yorker Tierschutzverbände verweisen auf Großstädte wie London oder Paris. Dort seien Kutschfahrten verboten. Was nicht stimmt. Sie sind unter Auflagen erlaubt, ähnlich wie in New York. In Wien gehören die Fiaker zur k.u.k.-Folklore, ihre Abschaffung wird genauso regelmäßig gefordert wie ihr Bleiben verteidigt. In Berlin dürfen nur Pferde, die älter als fünf Jahre sind, eingesetzt werden – und das außerdem nicht mehr als neun Stunden täglich, zwei halbstündige Pausen inklusive. Steigt die Temperatur bereits um 10 Uhr auf 30 Grad, müssen die Kutscher jede zweite Stunde pausieren. Auch in der deutschen Hauptstadt darf sich nicht „Billy Bob aus Gottweißwo“, wie Stephen Malone es formuliert, auf den Kutschbock setzen. In Berlin und New York gilt: nur mit zulässigem Fahrtenschein!

Vor allem um das Brandenburger Tor und Unter den Linden konzentrieren sich die Berliner Pferdekutschen. Der Tierschutzbeauftragte des Bezirks Mitte, Ulrich Lindemann, erklärt auf Anfrage, dass den Pferden ihr Einsatz nach Auffassung des Veterinäramts zumutbar sei – „bei strikter Einhaltung der Berliner Leitlinien für Pferdefuhrwerksbetriebe und des Tierschutzgesetzes“.

Eine ähnliche Bewegung, die Kutschen ganz abschaffen wollte, macht er in Berlin nicht aus: „Es gab Stimmen von Tierschutzorganisationen, die jedoch nach dem Inkrafttreten der Berliner Leitlinien deutlich leiser wurden.“ Vor allem Peta Deutschland hat dafür gekämpft. Die Tierschutzorganisation schätzt, dass etwa 100 Pferde für rund 15 Betreiber in der Innenstadt unterwegs sind. Im April 2008 brach eine Stute vor dem Hotel „Adlon“ zusammen. Vor zwei Jahren forderte auch Frank Steffel ein Verbot der Kutschen in der Innenstadt. Allerdings störte sich der CDU-Politiker bloß an den verstopften Straßen. Kutschen im Tiergarten kann er sich durchaus vorstellen. Die größte Aufregung verursacht bisher die Frage, wer eigentlich den Pferdemist wegräumt. In New York und Wien sind sogenannte Poo-Bags längst Standard. In Berlin sperren sich – seltene Eintracht – Tierschutzverbände und das zuständige Bezirksamt Mitte dagegen: Die Pferdewindeln würden die Bewegungsfreiheit der Tiere einschränken.

In New York sieht es zwar nicht nach einer Einigung aus, aber plötzlich ist davon die Rede, dass die Ausarbeitung des Gesetzes mehr Zeit brauche. Auf keinen Fall will der Bürgermeister eine Pleite erleben wie sein Vorgänger Rudy Giuliani, der Pornoläden verbieten wollte – und damit vor Gericht scheiterte. Einen funktionierenden und gesetzestreuen Geschäftszweig zu verbannen, das wird ein jahrelanger Kampf vor den Gerichten der USA werden. Darauf stellen sich auch Stephen Malone und die anderen Kutscher ein.

Den Pferdehaltern spielt ein Umstand in die Hände. Offenbar gibt es in den umliegenden Bundesstaaten nicht genug Farmen, die über eine Lizenz verfügen, die New Yorker Tiere artgerecht zu halten. Veterinäre haben ausgerechnet: Setzen sich die Tierschützer mit dem Verbot der Kutschen durch, so finden mehr als die Hälfte der Pferde ihr neues Zuhause im Schlachthof.

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