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Vom Ruhm kosten. Das geht, wenn man einen Musiker als Freund hat oder Groupie ist – wie Kate Hudson in „Almost Famous“.

© pa/dpa

Liebe zu Gitarristen: An seiner Saite

Unsere Autorin liebt nur Männer, die Gitarre spielen. Ist das psycho? Eine Selbstanalyse.

Erst neulich, bei einem harmlosen Spaziergang im Park, war es wieder so weit. Meine Freundin bekam auf einmal ganz große Augen: „Was, du spielst Gitarre in einer Band? Das wusste ich ja gar nicht!“ Die Frage war nicht an mich gerichtet, sondern an meinen Freund. Was dann kam, war unvermeidlich: Vorsingen, Gitarrenriffs nachträllern, Liedtexte zitieren, Konzert-Anekdoten erzählen.

Ich schlenderte nebenher und lächelte gönnerhaft. Immerhin war es mein Freund, der da – von einem Moment auf den anderen – zum Star erklärt wurde. Dass ich in diesen Situationen, in denen mein Partner zum begehrten Objekt Dritter wird, einigermaßen souverän bleibe, hat seine Gründe. Ich bin Profi. Profi darin, die Freundin von Gitarristen zu sein.

Der Grat zwischen ehrlicher Begeisterung und haltlosem Anhimmeln ist jedoch schmal, nicht jeder kleidet seine Faszination so charmant in musikalisches Interesse. Nicht selten wird man auf Partys beispielsweise mit folgender Frage angesprochen: „Sag mal, bist du nicht die Freundin von …?“ Um dann ohne Umschweifen zum Punkt zu kommen: „Kommt der nachher noch? Ich würde den gerne mal kennenlernen.“

Dass Männer mit Mikro oder Gitarre in der Hand einen ganz besonderen Reiz auf Frauen ausüben, wissen wir bereits seit den Beatles. Der Mann an meiner Seite hat keinen braven Pilzkopf, sondern wilde Slash-Locken. Ich nenne ihn hier Mr. Punk, weil er in einer Punkband Gitarre spielt, die in einschlägigen Kreisen Kultstatus genießt.

Angefangen hat alles vor etwa 20 Jahren mit Mr. Pop. Mit 14 lernten wir uns kennen, damals spielte Mr. Pop in der Schulband, eine weiße Fender Stratocaster, die er sich vom Eisverkaufen in den Sommerferien zusammengespart hatte. Mr. Pop, der später mit seiner Band „The Chamberlains“ in weißem Flatterhemd die Bühnen Norddeutschlands beehrte, eröffnete mir schon wenige Tage, nachdem wir offiziell als Paar gesehen wurden: „Erst kommt meine Gitarre, dann kommt lange nichts, und dann kommt meine Freundin.“ Ein harter Anfang für jemanden, der sogar die Luftgitarre falsch herum hält.

Die weiße Fender war Mr. Pops ständige Begleiterin. Kaum zu Hause angekommen, sah man ihn nur noch mit Klampfe in der Hand. Aber als das Konto durch Studiokosten überschuldet war, und die gute Fender verkauft werden musste, war ich es, die Mr. Pops Hand hielt und seine Tränen trocknete. Und an dem Tag, als eines der Lieder auf unserem Regionalsender gespielt wurde, war ich auf einmal diejenige mit den feuchten Augen.

Ich habe mich über die Jahre daran gewöhnt, dass die bunten Plektren, bis sie zum Anschlagen der Saiten verwendet werden, liebevoll aufgereiht neben Haargel und Zahnpasta ihren Platz finden. Und dass sich diverse Kabel wie hässliche kleine Schlangen durchs Wohnzimmer ziehen, so als wären sie jederzeit bereit, die Konkurrentin zu Fall zu bringen.

Er sagte: „Ich muss mich auf das Instrument konzentrieren.“

Vom Ruhm kosten. Das geht, wenn man einen Musiker als Freund hat oder Groupie ist – wie Kate Hudson in „Almost Famous“.
Vom Ruhm kosten. Das geht, wenn man einen Musiker als Freund hat oder Groupie ist – wie Kate Hudson in „Almost Famous“.

© pa/dpa

Ich erkläre es zum Teil der Ménage à trois, auf die man sich als Gitarristen-Freundin einlässt. Tatsächlich ist der Erotikfaktor nicht zu unterschätzen: Als ich das erste Mal sah, wie Mr. Punk bei einer Solo-Einlage mit solcher Geschwindigkeit die Saiten bearbeitete, dass seine einzelnen Finger gar nicht mehr zu erkennen waren, lief mir ein wohliger Schauer über den Rücken. Fingerfertigkeit ist jedenfalls nichts, was Männern schadet, finde ich.

Auch der von Mr. Pop später häufig zum Einsatz gekommene Bottleneck hat etwas von einem Sex Toy: Dem Flaschenhals nachempfunden, zieht man sich ihn über den Ringfinger der Greifhand und fährt damit sanft über die Saiten. Sliden nennt man das im Fachjargon. Das Fingerspiel kennt noch andere Varianten: Ein späterer Weggefährte, ich nenne ihn Mr. Classic, brachte mir beispielsweise bei, dass die Saiten auf seiner spanischen Gitarre nicht „angeschlagen, sondern lediglich gezupft“ werden. In stundenlangen Sessions spielte er mir zum Einschlafen beruhigende Weisen vor – und bediente sich dabei der Zupfmethode.

Wie bei den meisten Dreierbeziehungen ist einer am Ende immer der Verlierer. In den Übungsstunden war meine Anwesenheit jedenfalls nicht erwünscht: „Ich muss mich da ganz auf das Instrument konzentrieren.“ Nur, dass es diesmal nicht um einen Auftritt ging, für den geübt wurde – Mr. Classic war nämlich reiner Hobby-Gitarrist.

Ich weiß nicht, ob es am Ende am Zupfen lag oder eher daran, dass genau das fehlte, was Mr. Pop und Mr. Punk mitbrachten: Erst die Performance vor Dritten macht wirklich sexy. Egal, ob bei einem Spaziergang im Park mit einem Zuschauer oder auf der Bühne vor Hunderten. Daneben stehen und zugucken, wie der Freund von anderen bewundert wird – wer würde sich nicht geschmeichelt fühlen? Das funktioniert natürlich nur, wenn der begehrte Mann am Ende des Abends auch wirklich mit einem nach Hause geht.

Das angenehme Gefühl, etwas vom Ruhm des anderen abzugreifen, währt allerdings nur so lange, bis das feministische Über-Ich einen mit der Lautstärke eines wummernden Basses in die Knie zwingt. Denn der Platz vor der Bühne als „Freundin von XY“ entspricht auf geradezu beunruhigende Weise dem Bild einer Frau, die im Hintergrund des gefeierten und sich selbst darstellenden Mannes bleibt. Ganz getreu dem Spruch: „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau.“

Während ich mir Linda McCartney als Vorbild nehme und ein paar Fotos im Backstageraum schieße, überlege ich, was ich noch tun kann, um meinen Platz abseits des Scheinwerferlichts zu finden. Als selbst produzierende Musikerin mache ich keine gute Figur. Mittelmäßig musikalisch, tummle ich mich lieber auf Festivals, wo ich möglichst viele Konzerte auf einmal geboten bekomme, als mit Mischpult und Mikro bewaffnet ins Aufnahmestudio zu ziehen. Auch wenn die selbstbestimmten Musikerinnen der Riot-Grrrl-Bewegung seit den 90er Jahren propagieren „Selbst Musik machen statt den Männern dabei zugucken!“ – ich konsumiere lieber. Mir macht es Spaß, den Jungs einen Besuch im Proberaum abzustatten und ihnen beim Jammen zuzuschauen.

Vielleicht kann Bettina Fritzsche mir mit ein bisschen Theorie weiterhelfen. Die Diplompädagogin hat sich in ihrer Dissertation mit weiblicher Fankultur und Geschlechteridentitäten auseinandergesetzt. Sie stellt fest: „Die intensive Beschäftigung von Fans mit ihren jeweiligen Fan-Objekten kann im Zeichen einer intensiven Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschlechtsidentität stehen. So repräsentieren Stars oft bestimmte Geschlechter-Inszenierungen, denen ihre Fans sich anzuähneln suchen.“ Will ich so sein wie Mr. Punk und seine Vorgänger? Kaum vorstellbar, dass ich mir die Männlichkeitsposen einer wütenden Punk-Performance oder einer verträumt dreinschauenden Popikone aneignen möchte. Fritzsche jedenfalls sieht den Akt der Identifikation mit dem Star als klassisches Gender Bending. Damit ist Selbstvergewisserung gemeint, dass jeder sowohl weibliche als auch männliche Anteile in sich trägt. Damit könnte ich mich zur Not arrangieren, nur fällt dieser Prozess meist in die Zeit der Pubertät – und die liegt nun schon etwas zurück.

Vielleicht bin ich ja ein Groupie wie die fiktive Penny Lane in dem Film „Almost Famous“ von Cameron Crowe (Foto links)? Laut Duden ist ein Groupie ein „weiblicher Fan, der immer wieder versucht, in möglichst engen Kontakt mit der von ihm bewunderten Person oder Gruppe zu kommen“. Von versuchen kann wirklich keine Rede sein, bin ich doch zum Groupie-Dasein gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Ich habe alle meine Freunde kennengelernt, ohne zu wissen, dass sie am Wochenende auf der Bühne stehen.

Trotzdem kann es nicht schaden, sich den geschichtlichen Abriss der amerikanischen Journalistin Rachel Rabbit White „Rock Groupies and Feminism“ genauer anzusehen. White beschreibt darin die Selbstbestimmtheit, mit der die Frauen aus dem Umkreis von Frank Zappa in den 60er Jahren ihr Leben als Groupie zu einer Subkultur stilisierten. Cynthia Plaster Caster stellte beispielsweise in einer Kunstperformance die Penis-Abdrücke ihrer Liebhaber aus. Pamela des Barres soll, als sie sich zu ihren Liasons mit zahlreichen Rockstars – darunter Jim Morrison und Mick Jagger – bekannte, selbstwusst gesagt haben: „Ich bin dem nachgegangen, was ich haben wollte, und ich habe es bekommen.“

Das ist nun endlich ein Satz, den ich voll und ganz unterschreibe. Ein Comeback der Groupies kann man Whites Ansicht nach seit den 90er Jahren wieder ausmachen. Frauen wie Pamela Anderson als Frau von Tommy Lee oder Carmen Electra, die als Muse von Prince bezeichnet wurde, nutzten ihre berühmten Männer als Sprungbrett für die eigene Karriere als Schauspielerin, Moderatorin oder Model. In den Nullerjahren wurde der bis dahin erschwerte Zugang zu berühmten Persönlichkeiten dann ohnehin vereinfacht. Via Facebook und Twitter gehört es heutzutage zur Aufgabe eines Stars, den Fankontakt über soziale Netzwerke permanent aufrechtzuerhalten.

Bis mir einfällt, wie ich den Star-Status von Mr. Punk am besten ausnutze, um selbst einmal von allen begehrt und bewundert im Rampenlicht zu stehen, stelle ich mich weiterhin meinem Dasein als Gitarristen-Freundin. Ende August bekomme ich dabei eine neue Herausforderung: Da feiert Mr. Punks Band „Jimmy Pistole“ ihr zehnjähriges Bestehen – vermutlich in einem ihrer Kreuzberger Stammläden. Meine Freundin aus dem Park wird übrigens auch da sein. Sie reist extra aus Süddeutschland an.

Cosima Grohmann

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