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Linken-Chefin Katja Kipping mag Fahrradhelme nicht so gern - die zerstören die Frisur.

© dpa

Linke-Chefin Katja Kipping im Interview: „Ich war hippiemäßig drauf – mit Tuch im Haar“

Sie hatte Indianer als Helden und wünscht sich einen Airbag anstelle eines Fahrradhelms, der Frisur zuliebe. Linken-Chefin Katja Kipping spricht über linke Macht und verrät ihren Trick für maximale Energie.

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Frau Kipping, die Linke präsentiert sich gern als einzig wahre Kraft für den Weltfrieden. Aber der Umgang Ihrer Parteifreunde miteinander erinnert eher an Bürgerkrieg.

Das ist Unsinn. In einer Partei kann es Freundschaften, Liebschaften und eben auch Auseinandersetzungen geben. Selbst in einer guten Ehe kommt es mal zu Streit. Wir haben 64 000 Mitglieder, da bleibt das nicht aus.

In einem internen Papier – Sie behaupten, erst aus der Presse davon erfahren zu haben –, wurden unliebsame Mitarbeiter und Abgeordnete als „personelle No-Gos“ und „Versorgungsfälle“ bezeichnet, auch von einer „Resterampe“ war die Rede.

Die Begriffe, die da verwendet wurden, sind inakzeptabel. Der Parteivorstand hat sich davon klar distanziert. Mittlerweile ist es dem „Spiegel“ gerichtlich untersagt worden, den Eindruck zu erwecken, dieses Papier sei in meinem Auftrag oder mit meinem Wissen erstellt worden oder es gebe meine Auffassung wieder. Unser Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn hat sich um die Aufklärung gekümmert. Über die Ergebnisse hat er am vergangenen Wochenende den Vorstand informiert. In einer respektvollen Debatte haben wir seinen Bericht aufgenommen. Alle haben deutlich gemacht: Wir wollen solche Formen der innerparteilichen Auseinandersetzung nicht.

Stimmt es, dass man den Bundesgeschäftsführer in der Partei schon als „Sherlock Höhn“ verspottet?

Matthias Höhn genießt größten Respekt über alle Lager hinweg.

Jetzt haben Sie einen Ehrenkodex erlassen, der verhindern soll, dass Interna nach außen dringen. Fürchten Sie sich vor Transparenz?

Das wurde auch verzerrt dargestellt. Der Kodex soll vor allem sicherstellen, dass bei Papieren keine verletzenden oder herabwürdigenden Bezeichnungen verwendet werden. Und dass Personalpapiere zukünftig nur im ausdrücklichen Auftrag von Geschäftsführer und Vorsitzenden verfasst werden dürfen.

Die Affäre bestätigt Ihren Ruf als gewiefte Machtpolitikerin.

Als Frau gilt man immer entweder als machtbesessen oder als machtlos. Dazwischen scheint es nichts zu geben.

Sie waren oft die Jüngste, etwa als Landtagsabgeordnete in Dresden, als Ausschussvorsitzende im Bundestag und dann auch 2012, als Sie zur Vorsitzenden der Linkspartei gewählt wurden. Seltsam, die älteren Genossen alle zu duzen?

Nein. Ich komme aus der Umweltbewegung, da herrschte auch kein distanziert-kühler Ton. In meiner Jugend war ich hippiemäßig drauf, mit Glöckchen am Fuß, langen Röcken und farbigen Tüchern im Haar.

Warum sind Sie nicht bei den Grünen, sondern bei der damaligen PDS gelandet?

Ein Teil meiner Politisierung lief über den Dresdner Jugendverein „Roter Baum“, da ging ich hin, um zu erfahren: Wo ist das nächste Konzert, wo die nächste Anti-Nazi-Demo? Der Verein traf sich in dem Haus, wo die PDS ihr Büro hatte. Dadurch hatte ich Kontakt zur Partei. Außerdem war die PDS in Dresden stark engagiert in verkehrspolitischen Debatten, die mich interessierten. Obwohl sie im Stadtrat in der Minderheit waren, haben sie es geschafft, über Bürgerbegehren zum Beispiel den Erhalt von Straßenbahnlinien durchzusetzen. Das hat mich beeindruckt. Und zum Hippiesken gehörte auch der Pazifismus, das war ein starkes Argument für die PDS.

"Zeit ist der eigentliche Wohlstand"

Katja Kipping, 36, Chefin der Linkspartei
Katja Kipping, 36, Chefin der Linkspartei

© Thilo Rückeis

Die Vergangenheit der Partei hat Sie offenbar nicht abgeschreckt.

Du musst Leuten, die 40 Jahre in dem System gelebt haben, das Recht einräumen, sich zu verändern. In der PDS gab es ein klares Eingeständnis der Fehler und Verbrechen, die begangen wurden. Das war ausschlaggebend für mich.

Sie haben mal gesagt, 40 000 Euro im Monat sei die Grenze, ab der man keine Steigerung der Lebensqualität mehr erreichen kann.

Unterhalb der Armutsgrenze gilt: Je weniger die Menschen haben, desto unzufriedener sind sie mit ihrem Leben. Das wissen wir aus der Glücksforschung. Auch oberhalb der Armutsgrenze hat man Leute befragt: Manche haben das Zehnfache des Durchschnittseinkommens, aber sie sind nicht zehnmal so glücklich. Ich habe gesagt, es muss eine Grenze geben, unter die niemand fallen darf. Die habe ich bei tausend Euro angesetzt. Die 40 000 Euro sind davon das Vierzigfache. Natürlich sind solche Grenzen immer auch ein wenig willkürlich. Aber ich konnte eine Debatte anfachen. Es geht nicht darum, Luxus moralisch zu verurteilen. Sondern darum, dass sich etwas strukturell ändern muss.

Was ist Luxus für Sie? Und sagen Sie jetzt bitte nicht: ein freier Nachmittag!

Ich finde schon, dass Zeit der eigentliche Wohlstand ist. Ich bin großer Fan der Vier-in-eins-Perspektive. Die besagt, dass das Leben von Männern und Frauen gleichermaßen aus vier Teilen bestehen sollte: ein Viertel Erwerbsarbeit, ein Viertel politisches Engagement, ein Viertel Familienarbeit und ein Viertel Muße und Arbeit für sich selbst. Das schaffe ich nicht ganz, das Viertel Muße ist maximal ein Achtel.

Das klingt schrecklich durchorganisiert.

Mit einem kleinen Kind ergibt sich der Tagesablauf oft von selbst: Irgendwann ist die Kita zu, und dann muss ich meine Tochter abholen. In Berlin ist es eher so, dass ich am Nachmittag der Kleinen gehöre. Wenn ich in Sachsen bin und sie dabeihabe, suche ich mir ein Zeitfenster aus am Tag, wo ich ein paar Stunden nur mit ihr verbringe.

Ihr Mann stammt aus Westdeutschland. Hatten Sie unterschiedliche Vorstellungen darüber, ab welchem Alter ein Kind in die Kita sollte?

Nein, in meiner Generation verwischen die Unterschiede sowieso. Dadurch, dass ich unverhofft Vorsitzende wurde, war schon die Frage, als sie acht Monate alt war, ob sie jeden Tag ein paar Stunden in die Einrichtung kann. Und offensichtlich war sie da in einem Alter, in dem sie sich leichter an jemand Neues gewöhnt. Sie hat die ersten paar Tage geweint, aber danach war es in Ordnung. Probleme gab’s eigentlich nur, wenn sie krank wurde – zum Beispiel am Tag vor Unterzeichnung des Koalitionsvertrags. Da bekam sie nachts Husten, mein Mann war gerade beruflich in einer anderen Stadt. Am nächsten Tag musste ich um 13 Uhr auf der Pressekonferenz ein Statement abgeben. Da bin ich halt unausgeschlafen hingegangen.

Der ultimative Trick für mehr Energie?

Sich selbst die Ohren massieren, bis es wehtut.

Zurück zum Thema Luxus. Was ist Muße für Sie?

Zum Beispiel die Lektüre guter und kritischer Texte, als Inspiration des Geistes. Wenn ich an der Uni einen Vortrag zur Aktualität von Antonio Gramsci halten soll ...

... der italienische marxistische Philosoph ...

... dann nehme ich mir vorher einen Tag und lese Gramsci noch mal ganz in Ruhe. Was total gut ist als Technik: Erst eine Stunde lesen, dann eine halbe Stunde schwimmen gehen, da bekommt man die besten Ideen.

Welcher materielle Wunsch reizt Sie?

Es gibt eine Anschaffung, über die ich gerade ernsthaft nachdenke. Ich fahre viel Fahrrad. Als Mutter hat man Vorbildfunktion, also habe ich mir einen Fahrradhelm zugelegt – was dazu führt, dass meine Haare permanent zur Helmfrisur werden und ich fünf Minuten Bearbeiten mit einem Fönstab einplanen muss, bevor ich vor eine Kamera gehen kann. Jetzt gibt es einen Airbag, den man wie einen Schal um den Hals trägt, eben statt eines Helms. Kostet 300 Euro. Bisher habe ich den nur in Magazinen gesehen.

Der größte Luxus, den Sie sich je geleistet haben?

Reisen – wohl wissend, dass in Sachsen, wo ich herkomme, 25 Prozent der Leute keine Urlaubsreisen machen können. Es gibt leider einen Konflikt zwischen meinem Mann und mir: Er ist begeisterter Europäer, ich liebe Fernreisen. Wir lösen das mit einem Kompromiss, dass wir nur alle zwei Jahre außerhalb von Europa Urlaub machen. Diesen Sommer fahren wir nach Frankreich. Die letzten großen Reiseziele waren Peru, wo wir gewandert sind, und die USA. Meinen Bruder hat es nach Kalifornien verschlagen, wir haben ihn dort besucht und dann eine Rundreise durch den amerikanischen Westen unternommen, mit dem Auto.

"Vor den Debatten steht fest, wer wie abstimmt"

Katja Kipping, 36, Chefin der Linkspartei
Katja Kipping, 36, Chefin der Linkspartei

© Thilo Rückeis

Ökologisch zweifelhaft, das Ganze.

Die Entfernungen sind da ein bisschen zu groß fürs Fahrrad. Das Berührendste waren die Native Americans, die Helden meiner Kindheit. „Die Söhne der großen Bärin“ von Liselotte Welskopf-Henrich war früher eines meiner Lieblingsbücher, ein Indianerzelt hatte ich auch. Mein Mann und ich haben einen Abstecher gemacht in ein Hopi-Reservat und in einem Kulturzentrum übernachtet. Das war in einem der angeblich ältesten Dörfer, in der Nähe des Grand Canyon.

Die Realität in den Reservaten hat wenig zu tun mit Indianerromantik. Waren Sie enttäuscht?

Welskopf-Henrich hat später ja „Das Blut der Adler“ geschrieben, dieses Buch handelt vom Leben in den Reservaten, das ist ein sehr ernüchternder Blick. Die Gegend ist karg, die Leute dort haben keine guten Zukunftsaussichten. Man sieht schon, was für Verbrechen an denen begangen wurden.

Eigentlich hat es Sie doch eher in Richtung Osten gezogen. Nach dem Abitur haben Sie ein freiwilliges soziales Jahr in Sankt Petersburg verbracht.

Meine offizielle Bezeichnung war Erzieherin. Ich habe in einem Wohnheim gearbeitet für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, die waren dort in einer Ausbildung in der Druckerei oder zur Buchhalterin. Meine Chefs, italienische Mönche, wollten, dass ich für Sauberkeit, Ordnung und Moral sorge. Ich habe mit den Jugendlichen Tanz- und Musikshows einstudiert, damit sind wir dann in Krankenhäuser für behinderte Kinder gegangen. Als ich zurück nach Deutschland kam, wollte ich gleich wieder zurück.

Was hat Sie so begeistert?

Das war eine ziemlich irrationale Sympathie. Politisch bin ich die ganze Zeit auf Dinge gestoßen, die mir nicht gefallen haben. Nehmen wir die Ökologie. Ich bin mal mit der Jugendgruppe, für die ich zuständig war, durch die Krim gewandert. Die haben ihren Abfall irgendwohin geworfen, das gab permanente Kämpfe. Auch als Feministin hat man es da nicht immer leicht. Was mich begeistert hat, war zum Beispiel die Fähigkeit, zu feiern ...

... und die hat mit viel, viel Wodka zu tun?

Die Feiern, die ich mitgemacht habe – das war gar nicht dieses Klischee. Ich meine eher die Fähigkeit, sich einen kargen Raum schön herzurichten, oder die Leidenschaft, mit der getanzt wird. Diese Fähigkeit, zu improvisieren: wenn der Kassettenrecorder kaputtgeht, ihn mithilfe eines Toaster-Steckers schnell wieder herzuzimmern.

Frau Kipping, Sie wurden bei den jüngsten Auseinandersetzungen in Ihrer Partei als „die Grobe“ bezeichnet. Wie wichtig ist Ihnen Macht?

Macht im Sinne von „Wenn du ein Amt hast, hast du Macht“ ist meiner Meinung nach eine völlige Fehleinschätzung. Mich inspiriert eher, was Gramsci geschrieben hat. Da gibt es einen beständigen Wechsel zwischen Lernenden und Lehrenden. Man ist nicht immer in der Ansagerposition, sondern muss auch die Willensbildung, die in einem Gremium stattfindet, aufgreifen.

Roger Willemsen, der Sie und die anderen Abgeordneten ein Jahr im Bundestag beobachtet hat, stellt dem Parlament kein gutes Zeugnis aus. Wenn da Reden gehalten werden, wird geschwatzt, sagt er, oft sind die Leute gar nicht anwesend.

In den Sitzungswochen gibt es auch parallel zum Plenum wichtige Termine, wie Besuchergruppen, Fachgespräche ... Und wenn ich eine Rede halte, dann nicht unbedingt für die, die da im Plenum vor mir sitzen, sondern eher für die Menschen vor dem Fernseh- oder Computerbildschirm. Die Regierungsfraktionen stimmen ja auf jeden Fall gegen unsere Anträge. Maximal kann man beim politischen Gegner ein Gefühl von Beschämung oder Zweifel voranbringen. Klar ist: Vor den Debatten steht fest, wer wie abstimmt. Die Messen sind zu diesem Zeitpunkt längst gelesen.

Ein großes Theater.

Die Debatten, die vorher hinter verschlossenen Türen in den Ausschüssen stattfinden, werden dort eben noch mal der Öffentlichkeit präsentiert.

Wenn Sie anreden gegen höhnisches Gelächter oder gegen Abgeordnete, die sich bewusst wegdrehen, denken Sie dann: Denen zeige ich es jetzt mal? Oder gucken Sie einfach nur zu Ihren Genossen?

Ich versuche schon, alle im Plenum anzuschauen. Das ist ja ein ziemlich durchsichtiges Manöver ihrerseits, gespieltes Desinteresse ist ein Mittel im rhetorischen Kampf.

Eines, das Sie auch beherrschen.

Weiß ich nicht. Ich war nie in der Situation, das praktizieren zu müssen.

Hat Sie mal jemand von der politischen Konkurrenz mit einer Rede beeindruckt? Eine, wo Sie gesagt haben: Ich teile zwar nicht dessen Ideen, aber das hat mich mitgerissen.

Vielleicht bin ich politisch zu verkopft, aber ich kann die B-Note nicht trennen vom Inhalt. Diese klassische, mackerhafte Rhetorik törnt mich eher ab. Das gehört zu einem überholten Politikerbild aus dem 20. Jahrhundert. Ich nenne jetzt keine Namen, da würde ich dem Einzelnen unrecht tun.

Sie träumen von einem Airbag fürs Fahrradfahren, lesen Gramsci zur Entspannung und Reden müssen für Sie vor allem inhaltlich überzeugen. Sie sind ja unerträglich vernünftig! Schon immer?

Ich glaube, ich war ein ganz schön freches Kind. Aber wenn mir etwas wichtig war, habe ich das verfolgt. Um meine schulischen Leistungen mussten sich meine Eltern nie Sorgen machen. Während der Abi-Zeit war ich mit einer Freundin trampen, da habe ich immer das Bio-Buch dabeigehabt, um für die Abschlussprüfung zu lernen.

Was haben Sie gemacht, als Sie das letzte Mal faul waren?

Auf der Couch gelegen und Fernsehserien geschaut. „Big Bang Theory“, oder die „Gilmore Girls“, die sind ja ein Evergreen. Ich glaube, das Schöne daran ist, dass es so harmlos ist und dass da die Illusion erweckt wird, man könne mit seinen Kindern auch noch in der Pubertät ganz gleichberechtigt reden. Aber nach vier Stunden habe ich dann auch genug davon. Das fühlt sich an, als hätte man zu viel Süßes gegessen.

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