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Wilder Ritt. Ein junger Tico, so nennen sich die Einheimischen, fährt sein Rad über die Schotterpisten.

© Christian Vooren

Mittelamerika: Was Costa Rica zum Paradies für Auswanderer macht

Die Menschen sind glücklich, schön, werden uralt. Und der Staat macht es Ausländern leicht, sich hier niederzulassen.

Lebensmüde machen hier Stand-up-Paddling. Dort, wo der Rio Nosara aus Costa Ricas Hochland ins Meer mündet, wo sich Salz- und Süßwasser treffen. Der Ozean spült die Haie in die Mündung, der Fluss die Krokodile. Dazwischen die Wellen, die einem leicht das Brett unter den Füßen wegziehen können.

„Da bleiben wir doch lieber im Kajak“, sagt Hans Werner Klossek. „HW“ nennen ihn alle, was mit spanischem Zungenschlag nach Havier klingt und damit schon ziemlich einheimisch. Und weil er bereits seit 17 Jahren in Costa Rica lebt, ist er das im Grunde auch.

600 000 Menschen sind 2001 aus Deutschland fortgezogen. Im vergangenen Jahr war die Zahl fast doppelt so hoch. Das mag an der Fülle von Instagram-Bildern liegen, die einem die Schönheit der Welt an jedem noch so tristen Novembermontag gehässig vor Augen führen, und an unzähligen „Abenteuer Ausland“-Dokus im Nachmittagsprogramm von Vox und Kabel eins. Auswandern liegt jedenfalls im Trend.

Auswanderer aus Zufall

HW, Anfang 50, streichelt sein Pferd namens Aladin, wirft die schulterlangen Haare zurück und lacht. Seine Frau Beate, fast im selben Alter, macht das Gleiche, man weiß nicht so genau, worüber sie lachen, beide lachen sehr viel, das steckt an. Sie mit ihrer heiseren Stimme, er mit seinem Ruhrpott-Dialekt, sie wären die perfekte Besetzung für jede dieser Nachmittagsshows. Haben sich eine Art Ranch zugelegt im Surferparadies Nosara, direkt an eben jener Mündung. Das Meer und der Fluss nach vorne raus, im Rücken das dichte Grün. Geführte Kajaktouren kann man bei ihnen buchen oder Reittouren.

Von ihrem Kennenlernen haben die beiden schon so oft erzählt, dass daraus eine Art Choreografie wurde, bei der sie sich Satzenden zuwerfen wie Kinder einen Ball. Das Reiten am Strand, das war Beates Idee, HW hatte es bis dahin nicht so mit Pferden. Er war eher Auswanderer aus Zufall. War ursprünglich bloß zum Urlaub in San José, hatte als Sozialarbeiter einen guten Job in Deutschland. Traf auf Beate, die schon vier Jahre hier lebte. In Deutschland war sie Beamtin bei der Deutschen Bahn. Lange her, wie gesagt. Beate liebte anders als HW schon immer Pferde und das Reiten. Verliebte sich in Costa Rica, blieb, traf HW, verliebte sich in ihn, er sich in sie und schließlich auch in das Land, blieb dann auch. Routinierte Pointen.

So glattgeschliffen, fast zu schön, um wahr zu sein. Aber das gilt ja für so vieles in Costa Rica.

Spinnen, Schlangen, Vögel

Es ist leicht, sich hier wohlzufühlen. Wegen der Strände etwa, palmenbewachsen, weiß und breit, die wenigen Menschen hier sind praktisch ausnahmslos gerade so hübsch, dass man sich selbst noch nicht hässlich fühlt. Costa Rica liegt zwischen zwei Meeren, im Osten die Karibik, im Westen der Pazifik. Dazwischen 23 Vulkane, Hochland, Regenwald.

Aloe Vera, Kochbananen, Mangos und Palmen als Lebenswelt für Brüll- und Kapuzineraffen, Spinnen, Schlangen, Vögel. Costa Rica beherbergt eine halbe Million Tier- und Insektenarten – etwa vier Prozent aller auf der Erde vermuteten Spezies, auf einer Fläche so groß wie die Slowakei. Allenthalben begegnet man der Goldenen Seidenspinne, die Fäden ihres Netzes sind so fest, dass Forscher sie zu kopieren versuchen. Unter einem Spinnennetz rollt sich eine Boa Constrictor zum Nickerchen zusammen. Und dann wären da ja noch die Krokodile, die man an diesem Morgen vom Kajak aus im Rio Nosara beobachten kann.

Die Ufer des Flusses sind dicht bewachsen und dünn besiedelt. Lediglich ein paar Krabbenfischer winken von dort. Wenn im Pazifik gerade Ebbe ist, steht das Wasser stellenweise bloß kniehoch im Fluss. Man fürchtet, die Krokodile versehentlich mit dem Paddel zu erwischen. Nach einer Weile hält man jedes Treibholz für ein potenzielles Raubtier, was meist nicht stimmt. Bis man dann, wieder fast an Land, tatsächlich noch ein Riesenexemplar entdeckt, groß genug, dass man gar nicht böse drum ist, angemessen weit weg zu sein. HW lacht, wenn die Gäste solche Sorgen mit ihm teilen. Hat er schon oft gehört. Die Bullenhaie immerhin sind für einen Augenblick vergessen.

Auf der Halbinsel Nicoya herrscht „Pura Vida“

Die Pazifikküste Costa Ricas ist weltweit beliebt bei Surfern.
Die Pazifikküste Costa Ricas ist weltweit beliebt bei Surfern.

© Christian Vooren

Die Gegend rund um Nosara ist sogar für costa-ricanische Verhältnisse ein recht abgelegener Teil des Landes. Sie liegt auf der Halbinsel Nicoya. Hier laufen sonnengebräunte Surfer am Strand in die Wogen, die so ruhig und gleichmäßig rüber schwappen, dass Anfänger kaum einen besseren Ort auf der Welt finden, um Wellenreiten zu lernen. Im Schatten der Palmen döst ein älterer Tico – so nennen sich die Einheimischen – auf einem Stuhl, den Strohhut ins Gesicht gezogen. Auf der Halbinsel Nicoya werden die Menschen überdurchschnittlich alt. 100-Jährige sind keine Besonderheit. Niemand weiß genau, woran das liegt. Zumindest leiden sie hier nicht an Stress oder Industrieabgasen. Ein Dutzend Kinder im Grundschulalter spielt eine ruppige Form von Fußball im heißen Sand, während man selbst – als Kontrastprogramm zur Krokosafari – eher gemächlich auf dem Rücken von Pferd Aladin vorbei in die Nachmittagssonne trottet. Das ist Costa Ricas Postkartenmotiv. „Pura Vida“ nennen das die Costa-Ricaner, das pure Leben. Sie sagen das oft und zu den verschiedensten Gelegenheiten. Beate und HW begrüßen damit ihre Gäste. Weil’s so schön klingt, wie es hier ist.

Wer durchs Inland fährt, sieht dagegen vor allem Obst- und Kaffeeplantagen. Was man nicht gleich bemerkt, ist der hohe Einsatz von Pestiziden, von denen die Arbeiter krank werden. Man bekommt nichts mit von den Arbeitsbedingungen derer, die auf den Farmen arbeiten, zu schlechten Löhnen, während der Profit an die Großunternehmer geht. Knochenjobs für Hungerlöhne. In Costa Rica wurde der Begriff Bananenrepublik geprägt. Für die Plantagen wurde einst fast der gesamte Regenwald des Landes abgeholzt.

Nur noch Arabica darf angebaut werden

Andererseits hat Costa Rica einen der höchsten Lebensstandards in Lateinamerika, auch deshalb sind HW und Beate hiergeblieben. Zumal die Regierung es Ausländern relativ leicht macht, sich niederzulassen. Sie brauchten nur ein paar Formulare auszufüllen. Das Land hat ein vorbildliches Sozialsystem und die Menschen leben in Frieden. Mittlerweile ist der Dschungel wieder gut aufgeforstet, ein Drittel des Landes steht in der Form von Nationalparks unter Schutz.

Beim Kaffee setzen die Bauern auf Qualität, seit weniger Fläche für Plantagen zur Verfügung steht. Im ganzen Land darf nur noch Arabica angebaut werden. Den wiederum können sich die meisten Ticos nicht leisten und kaufen stattdessen den importierten Robusta aus Guatemala. San José ist die drittteuerste Stadt, Costa Rica das teuerste Land in ganz Lateinamerika. Viele Einheimische wohnen auch im Erwachsenenalter noch mit Eltern oder Geschwistern unter einem Dach. Weil die Mieten sonst unbezahlbar würden, oder sie arbeiten manchmal monatelang am Stück ohne Pause. Oder beides.

Damit einhergehend steigt die Kriminalität, Drogenschmuggler aus Südamerika, vor allem Kolumbien, drängen durch den Flaschenhals Mittelamerika Richtung USA, Nicaragua im Norden durchlebt gerade eine schwere Regierungskrise, die Menschen von dort flüchten nach Costa Rica. Trotz solcher Herausforderungen belegt das Land regelmäßig einen der vordersten Plätze, wenn danach gefragt wird, wo die Menschen am glücklichsten sind.

Beate und HW brechen ihr Abenteuer ab

Der vermeintliche Widerspruch lässt sich vielleicht so erklären: Zwar sind in einem Land, das so klein ist, schon winzige Veränderungen deutlich spürbar. Doch ist es zwischen all dem Grün auch erstaunlich leicht, sich abseits der Städte vor Problemen zu verstecken. Beate und HW haben das perfektioniert und sich eine kleine isolierte Welt geschaffen.

Aber selbst für Auswanderer im Dschungel ist es nicht so, dass sie komplett abgeschottet wären von der Welt. Sie sind bald Anfang 50, bisher kamen die Eltern der beiden regelmäßig nach Nosara, um sie zu besuchen. Seit einigen Monaten geht das nicht mehr, das Alter macht die Reise zur Strapaze. Und auch Beate und HW mussten sich irgendwann fragen, ob eine Ranch zwischen Ozean und Dschungel der richtige Ruhesitz sein würde.

Nein, war nach langer Überlegung die Antwort. Sie wollen wieder näher bei ihren Eltern sein und brechen das Abenteuer Costa Rica demnächst ab. Die Ranch wird verkauft. Also zurück nach Deutschland, zurück in Beamtentum und Sozialarbeit, so wie früher? Nicht ganz, das wäre zu viel für die beiden, sagen sie. Gerade haben sie sich eine Finca in Spanien zugelegt.

Reisetipps für Costa Rica

Hinkommen

Flüge von Berlin über Frankfurt nach San José. Ab 15 Stunden Dauer. Zum Beispiel mit United Airlines oder Lufthansa, Hin und zurück ab 860 Euro.

Unterkommen

In Alajuela: Das Xandari Spa & Resort liegt am Hang mit toller Aussicht über das Tal. Hier wohnt man in überdimensioniert großen Appartments. Ab 250 Euro pro Nacht, xandari.com.

In Nosara: Das Harmony Hotel liegt nur wenige Gehminuten vom Strand, jedoch ohne Meerblick. Mit genug Moskitospray kann man auch auf der Terrasse übernachten - in der Hängematte. Nicht ganz billig allerdings:Doppelzimmer pro Nacht ab 350 Euro, harmonynosara.com.

Rumkommen

Bei Boca Nosara Tours kann man entweder Kajaks ausleihen und auf dem Rio Nosara mit Krokodilen paddeln, oder am Strand entlangreiten. Beides geht bei ungefähr 50 Euro los, bocanosaratours.com.

In San José unbedingt einen Pubcrawl mit Carpe Chepe buchen. Junge Einheimische führen in verschiedene Bars im Ausgehviertel Barrio Escalante und wissen Spannendes über die Stadt zu erzählen. carpechepe.com

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