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Modus-Gründerin: Berlinerin mit Sil

Inez Franksen hat 1964 eine verrückte Idee: Sie eröffnet den ersten Laden für Designmöbel in West-Berlin – und prägt bis heute den Geschmack der Stadt. Porträt einer Jubilarin.

West-Berlin, Ende der 80er Jahre. Die olle hölzerne Pfeffermühle ist kaputt. In der Studenten-WG in Neukölln gehen Gerüchte um, dass es jetzt auch so angesagte, sachliche Fabrikate aus Metall gäbe. Designerpfeffermühlen. Jemineh, was für ein affiges Wort. Damit will im Arbeiterbezirk keiner was zu tun haben.

Andererseits: mal anschauen kann ja nicht schaden. Auf die harmonische Einheit von Form und Funktion hat schließlich schon das Bauhaus gehalten. Wichtig sei, auf ein stabiles Mahlwerk zu achten, weiß eine in Küchendingen besser sortierte Charlottenburger Freundin. Erstmals erklingt das magische Wort – „Modus“. Der Laden in der Wielandstraße führe Mühlen solcher Art.

Er schüchtert ein wenig ein, in seinem distinguierten, sparsam möblierten Weiß. Selbstredend trägt die Verkäuferin Schwarz. Die Pfeffermühle da vorne, die könnte, nein, die muss es sein! Ein schwarzer Metallzylinder, am Kopf drehbar, das ist das Mahlgerät, das ein paar Tage später als puristischer Botschafter der guten Form in der bunt bemalten WG-Küche steht.

Berlin-Charlottenburg, dritte Novemberwoche 2014. „Das muss eine Stelton gewesen sein.“ Inez Franksen erinnert sich an die Pfeffermühle. Inzwischen führt sie keine mehr, und das Geschäft wirkt beim zweiten Besuch Jahrzehnte später geradezu behaglich. Die einstmals studentische Scheu quittiert die Gründerin des ältesten Designmöbelgeschäfts Berlins mit einem Lächeln. Sie weiß, dass der Laden, den sie 1964 – beseelt von avantgardistischen Aufbruchsideen – eröffnete, weit mehr als die Summe der dort angebotenen Produkte ist.

Sonst spräche sie nicht Sätze wie diesen: „Wir verkaufen keine Möbel, wir leben eine Haltung, die des Purismus, der Reduktion, der Nachhaltigkeit.“ Sonst stünden nicht Namen wie die des Designers Axel Kufus oder des Architekten Jan Kleihues auf der Gratulantenliste, die im aktuellen Katalog anlässlich des 50. Jahrestags abgedruckt ist. Sonst hätte die sich von Anfang an auch als Galeristin verstehende Inez Franksen außer Designern wie Le Corbusier oder Alvar Aalto, nicht 1965 schon Künstler wie Otto Piene oder Günther Uecker ausgestellt.

Inez Franksen saß in den Vorständen von Bauhaus-Archiv, Internationalem Design Zentrum und im künstlerischen Beirat der KPM. Sie zeigt als Jubiläumsausstellung gemeinsam mit ihrem alten Bekannten Klaus Wagenbach, dessen Verlag dieses Jahr ebenfalls 50 wurde, sein Buchprogramm im Laden. Und das, obwohl „Modus“ im Gegensatz zu anderen Geschäften nie die Möbel „dekoriert“. Die bräuchten schließlich Raum zum Atmen, findet die Besitzerin und streicht mit der Hand über die Platte des langen, schwarzen Esstischs, an dem sie sitzt. Die poröse Oberfläche fasst sich warm an – obwohl der Tisch aus Blech ist.

„Wir wollten was für den Kopf machen, nicht Produkte aus 50 Jahren zeigen.“ Die gibt es hier in Gestalt von Marcel-Breuer-Freischwingern, Corbusier-Liegen, Charles-Eames-Sesseln, Ulmer Hockern oder der blütenblättrigen Ssymmank-Leuchte eh alle Tage zu sehen. So langlebig, ästhetisch und funktional überzeugend, wie die sind, vererben die Eltern der ersten „Modus“-Kundengeneration sie längst an ihre Kinder. Für ihr Ego sei das toll, freut sich die offensichtlich nicht in erster Linie am Jahresumsatz (3,5 Millionen Euro) interessierte Patronin von zwei Geschäftsführern und zwölf Mitarbeitern. „Geschmack fällt nicht vom Himmel. Der kommt von Wissen. Die Gegenstände wollen verstanden werden, ihre Materialität, die Entstehungsgeschichte.“ Üppige Produktvielfalt und Wegwerfmentalität sind ihr ein Greuel.

Auch mit 80 Jahren erscheint die „große Dame der deutschen Designszene“, wie sie das „Zeit-Magazin“ nennt, fast täglich im Laden. Ein eisgrauer Charakterschädel mit klarer ästhetischer Haltung und ausgesprochen entspanntem Auftreten. Nein, reiche Russen verirrten sich nicht vom Ku’damm her. „Eher die intelligenten Leute – früher die Lehrer, heute auch Werber.“

Inez Franksen ist gebürtige Charlottenburgerin. Aus großbürgerlichem, liberalen Haus. Gesegnet mit dem Mutterwitz, dem Pragmatismus und der Bodenständigkeit eines Kriegskinds, das 1945 am ersten Schultag nach dem Krieg erst mal mithalf, den Schutt aus seiner Friedenauer Schule zu räumen.

Sie studierte freie Malerei an der Hochschule der Künste, wo sie sich mit Künstlern und besonders mit Architekten anfreundete. Die Zusammenarbeit mit ihnen sollte später eine tragende Säule ihres Geschäfts werden. Im Auftrag von Architekten wie Jan Kleihues oder Axel Schultes liefert „Modus“ Möbel für Räume im Roten Rathaus, im Bundeskanzleramt und in der Philharmonie.

Zu den Möbeln kam die Malerin, weil sie Geld verdienen musste, eine 30-Jährige, frisch von einem Augenarzt geschieden. Und, weil 1964 die Lust am Risiko, der Geist des Aufbruchs, der sich ’68 endgültig Bahn brach, schon in der Luft lag. „Da war so ein Glücksgefühl, überlebt zu haben“, erzählt Inez Franksen. „Wir wollten einfach was aufbauen.“

Ohne Geld, das hat sie sich zusammengepumpt. Ohne kaufmännische Kenntnisse, die hat sie quasi nebenher erworben. Ohne Konzept, „ästhetisch sollte es sein, und ich brannte für Design“. Die Möbelhersteller in Deutschland und Italien staunten, als diese Frau bei ihnen vorsprach. „Für die war ich ein Papagei mit bunter Feder im Hintern.“ Doch Inez Franksen überzeugte sie, gelegentlich wurden Lebensfreundschaften daraus.

Ein Hausbesuch in Zehlendorf

An der APO-Revolte in West-Berlin hat sie auch ihren Anteil. Indirekt. Mitdemonstrieren ging nicht. „Ich musste ja immer im Geschäft stehen.“ Gleich dahinter hat sie 30 Jahre lang mit Hinterhofblick gewohnt. Aber über dem Laden traf sich regelmäßig der „Republikanische Club“. Den haben auch Klaus Wagenbach und ihr zweiter Ehemann, der Filmemacher Jan Franksen, frequentiert. Sie lacht, wenn sie von dieser turbulenten Zeit erzählt. „Die Genossen haben ordentlich geklaut.“ Aus ihrem Laden. Alle möglichen Sachen. „Umverteilung durch arme Studenten“, sagt sie, „muss man irgendwie auch verstehen.“

Zehlendorf, letzte Novemberwoche. Ein Hausbesuch? Inez Franksen zögert. Sie saß mal in der Redaktion der Werkbund-Zeitschrift „Werk und Zeit“. Schöner-Wohnen-Magazine musste sie damals keine reinlassen. Doch sie sagt zu und empfängt in der Reihenhaus gewordenen Reformarchitektur von Bruno Taut. Ein Dackel knurrt aus der offenen Haustür. Der Züchter hat ihn Yasu getauft, sagt Frauchen und rollt die Augen. „Wir sagen Schnulli zu ihr – oder Moppel.“

Lackrote Dielen, blaue Wände, der Flur trägt Taut’sche Farben. Seit 15 Jahren lebt Inez Franksen hier. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten Michael Müller-Schwarz, 57, den sie kennt, seit er Anfang der 80er Jahre anfing, bei „Modus“ als Monteur zu jobben. Eine Vorkämpferin des modernen Designs in einem Denkmal des Neuen Bauens? Das kann Konsequenz oder Klischee sein. „Ist aber bloß Zufall“, sagt Inez Franksen. Sie wollte ins Grüne und hat auf ein Kaufangebot reagiert. Tauts einfacher, sachlicher Grundriss hat sie fasziniert. „Der hat eine bleibende Qualität und Rechtfertigung.“ Die alten Leitungen von 1928 mussten allerdings raus. Das dauerte anderthalb Jahre. „Danach waren wir pleite.“

Esszimmer, Küche, Flur – fertig ist das Erdgeschoss. Wohnraum, Büro, Bad sind die erste Etage, Schlafzimmer, Gästezimmer, Bad die zweite. Biedermeier-Erbstücke, Dieter Rams strenge Regalsysteme und Meret Oppenheims verspielter Tisch mit Vogelfüßen bemöbeln still und stilvoll die kleinen Räume.

Ihr Mann fährt los ins Geschäft. Inez Franksen kocht Tee. Kann das sein, dass gleich sechs der für ihre geometrische Reduktion auf Kreis, Quadrat und Linie berühmten Schliephacke-Leuchten im Haus stehen? Sie nickt. Mit diesem Architekten der 60er Jahre war sie eng befreundet. Auch bei Minimalisten sammeln sich Stücke an, wenn die gute Form das Lebensthema ist.

Nur mit Sesseln und Sofas hat es die kleine Frau nicht. „Ich bin Stuhlsitzer.“ Weiche Wohnlandschaften – fürchterlich! Sie mag es fest und rechtwinklig. Einziges Zugeständnis an mehr Bequemlichkeit ist die schwarz-rote Récamiere von Cassina, die in die winzige Wohnküche passt. Nicht, dass Inez Franksen kein Verständnis für ein Bedürfnis nach Gemütlichkeit, nach persönlichen Altären mit Nippes oder Fotos hat. Ihrer besteht aus einem langen, niedrigen Stahlrohrtisch, auf dem sie ungelesene Bücher aufbahrt.

Was sie jedoch wirklich quält, ist, dass die Menschen in Bildern versinken, ohne zu sehen. Gegen diese Abstumpfung zu arbeiten, die Menschen zu lehren, ihre tägliche Umgehung wahrzunehmen, die alltagsprägende Bedeutung von Straßenverläufen oder Straßenmöblierungen zu erkennen und durch den Respekt vor den Dingen auch das Leben wortwörtlich besser zu begreifen, das ist ein Lebenstraum von Inez Franksen. Ein ebenso unerfüllter wie erfüllter, wie ihr gerade noch rechtzeitig einfällt: „Der Laden, das ist meine Schule des Sehens.“

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