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Geldautomaten in Antalya.

© REUTERS

Moritz Rinkes Erinnerungen an die Gegenwart: Mein Leben im Gegenputsch

Unser Kolumnist trifft Putsch-Veteranen und wird selber weggeputscht.

Man hört, dass die Gefangenen in Istanbul mittlerweile in Schichten schlafen. Die Gefängnisse sind seit dem Putschversuch vor einem Monat so voll geworden, dass man den Eindruck haben könnte, die halbe Türkei habe geputscht, und nun zählen sogar schon die Theaterleute, Dichter und Journalisten zu den Putschisten.

Ich war während der ganzen Zeit bei meiner türkischen Familie in Antalya. Oft wachte ich in der Nacht auf, hörte Geräusche und dachte, nun würde ich auch verhaftet werden, als Kolumnist und Putschist sowie Gülen-Anhänger. Ich muss zwar jedes Mal nachschauen, ob man den Prediger Fethullah Gülen mit einem oder Doppel-L schreibt, aber damit kann man sich in der Türkei nun auch nicht mehr hinausreden.

Ich hatte eigentlich ganz andere Pläne, als in die Putschfolgen mit hineingezogen zu werden. Meine türkische Frau sollte mit ihrer Schwester und den Kindern auf der Farm des Großvaters Avocados ernten und spielen, während ich in Schreibklausur in einem kleinen Hotel in der Altstadt an meinem Stück über den Prediger Martin Luther schreiben wollte.

Das Telefon klingelte: Putsch!

Ich schrieb gerade die Szene, in der sich die Prediger der Reformation gegenseitig bis aufs Blut bekämpfen, weil sie sich nicht einigen können, ob im Abendmahl der Sohn Gottes leibhaftig anwesend ist, da klingelte das Telefon: „Putsch!“, rief die Familie. „Renn schnell zum Geldautomaten und kauf alles, was du kriegen kannst!“

Ich stand in einer Schlange vor dem Automaten, fast nur mit alten Türken. Einer war im Nachtgewand mit Hausschuhen, die aussahen, als habe er damit schon alle Putsche der Türkei durchgestanden. „Wenn morgen das Militär regiert“, sagte er, „dann gibt es kein Brot und die Gefängnisse sind voll.“

Zurück im Hotel mit Geld, Gemüse, Brot, Wasser und Kerzen schrieb ich weiter am Lutherstück, angefeuert von den Allahu-akbar-Rufen der Straße, die immer lauter wurden.

Am nächsten Tag war auch meine Schreibklausur weggeputscht: Die Schwester meiner Frau musste zurück nach Ankara, wo sie in einer Universität arbeitete, in der nun jeder auf Verbindungen zu Gülen untersucht werden sollte; gleichzeitig war der Kindergarten ihres Sohnes bei den Bombardements beschädigt worden.

Vögel schissen auf den Präsidenten

Auf ein Parlament kann man in der Türkei in Zukunft vermutlich verzichten, nicht aber auf die Kita, also musste die Schwiegermutter zum Aufpassen mit nach Ankara. Und wer durfte die führerscheinlose Schwiegermutter mit Kind und Kegel in die Hauptstadt chauffieren? Statt Lutherklausur also acht Stunden Autofahrt quer durch die Türkei. Ich hasste mittlerweile den Putsch, aber auch den Gegenputsch, denn dass meine Schwägerin definitiv keine Verbindungen zu Gülen hat, hätte ich dem Präsidenten am liebsten persönlich mitgeteilt.

Während der Fahrt dachte ich an die Hausschuhe des Alten. Was er jetzt denken mochte? Der Putsch vereitelt, doch die Gefängnisse trotzdem so voll wie nie.

In Ankara las die Oma eine Gute- Nacht-Geschichte des atheistischen Erzählers Aziz Nesin vor, in der ein König von den Vögeln gewählt wurde, indem sie auf ihn niederschissen. Nicht die denkenden Menschen wählten, sondern die Vögel. Da der Präsident wiedergewählt werden wollte, tat er nichts mehr für die denkenden Menschen, sondern nur noch für die Vögel, die immer größer wurden – bis sie eines Wahltages wieder so gigantisch auf ihn hinunterschissen, dass der Präsident unter ihrem gigantischen Pup ums Leben kam.

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