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Ein Nachttisch, der von geistiger Erbauung und kosmetischer Körperpflege zeugt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nachttische: Ganz schön daneben

Er wird vielleicht nicht geliebt, aber gebraucht: der Nachttisch – ein Platz für alles, was man im Bett gern in der Nähe weiß. Erfunden wurde er einst als diskretes Versteck.

Manche Menschen können angeblich nur dann einschlafen, wenn eine Waffe neben ihnen liegt, griffbereit in der Schublade ihres Nachttischs. Das ist in Deutschland selbstverständlich nicht erlaubt. Hier gehören in der Regel zwei Dinge auf die Kommode neben dem Bett: ein Wecker und eine Nachttischlampe. Was hier ansonsten rumliegen darf, hängt von den individuellen Bedürfnissen ab: Bücher, iPad, Kondome, Babyfon, für die Unverbesserlichen noch ein Aschenbecher – nur fehlt inzwischen das, wofür der Nachtschrank ursprünglich erfunden wurde: der Nachttopf.

Früher hatten viele Haushalte keine eigenen Toiletten in der Wohnung, sondern teilten sich ein WC im Treppenhaus oder im Hof. Daher wurde ein kleines Schränkchen neben das Bett gestellt und darin der Topf für die Notdurft versteckt. Die Töpfe sind zwar inzwischen verschwunden, das Tischchen aber ist geblieben. Schließlich will niemand gerne nachts durch die Wohnung tapern, um eine Packung Taschentücher oder das Nasenspray zu suchen. Nein, alles soll in der Entfernung von maximal einer Armlänge neben dem Bett liegen.

So ein Nachtschrank muss heute nicht mehr wie ein Schrank aussehen. Hauptsache, es gibt eine Ablagefläche. Die kann auch eine alte Kiste bieten, ein umgebauter Ofen (siehe Fotos linke Spalte) oder ganz einfach der Boden, der auf Höhe des Kopfkissens mit diversen Utensilien bestückt wird. Handcreme beispielsweise gehört für viele Frauen zur Grundausstattung, weil die Creme nachts besonders lange einziehen kann. Wer’s dunkel mag, legt seine Schlafmaske parat und dazu ein Paar Ohropax, wenn die Kinder von oben drüber mal wieder Ringkämpfe auf dem Dielenfußboden austragen.

Eine echte Herausforderung ist der Stapel an Büchern, Zeitschriften und Zeitungen, der garantiert gelesen wird. Und zwar ganz sicher ganz bald, weshalb sie alle auf dem Tischchen gestapelt werden wie ein futuristischer Bau, der Zaha Hadid Konkurrenz macht. Diese Konstruktion ist erst mal eine praktische Entscheidung. Denn ahnt man schon, dass einem spätestens nach 15 Minuten Hesse die Augen zuklappen, ist ein Magazin die bessere Wahl. Es ist quasi der One-Night-Stand der Nachtlektüre: Die Artikel haben eine absehbare Länge, sind also kurz genug, um sie noch bei vollem Bewusstsein zu Ende zu lesen, andererseits lang genug, um vom Tag abzuschalten.

Fast niemand hat nur ein Buch auf dem Nachtschrank liegen, mindestens drei sind es meist: Eines, das bereits ausgelesen ist, aber noch ein bisschen liegen bleiben darf, weil es so schön war. Dann, selbstverständlich, das Buch, in dem aktuell gelesen wird. Dazu liegt bereits das nächste parat, weil die Vorfreude darauf so groß ist. Manchmal gibt es noch ein viertes Buch, eines für das Gewissen. Die ersten Seiten sind vielleicht schon gelesen, dann wird es zur Seite gelegt, unter Magazinen begraben und fristet dort oft ein monatelanges, manchmal gar jahrelanges Dasein.

In vielen Hotelzimmern liegt übrigens immer noch die Bibel in der Nachttischschublade. Die Gideons, eine überkonfessionelle Gruppe von Christen, hat es sich nach Angaben des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands einst zur Aufgabe gemacht, sie in Krankenhäusern, Schulen und eben Hotels zu verteilen. Manche Häuser, wie beispielsweise skandinavische Ketten, würden darauf inzwischen verzichten und die Bibel, genauso wie den Koran und das Alte Testament an der Rezeption auf Nachfrage herausgeben. Viele US-amerikanische Ketten aber würden an dem Brauch festhalten. Kein Problem, solange es bei der Bibel bleibt. Hauptsache, es werden nicht am Ende auch noch Waffen bereitgelegt.

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