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Neue Ausstellung in Berlin: Jimmy Nelsons "Before They Part II"

Jimmy Nelson fotografiert abgeschieden lebende Völker und Kulturen. Uns verriet der Engländer die Geschichten hinter seinen Aufnahmen.

BASHA

Provinz Guizhou, China 2016

China hat sich in den vergangenen 14 Jahren, in denen ich das Land immer wieder bereist habe, unglaublich rasant gewandelt. Inzwischen gibt es kaum noch ursprüngliche Kultur zu erfahren. Die Miao jedoch leben relativ abgeschieden in den Hügeln der Provinz Guizhou in Südchina und halten an ihren Traditionen fest. Dafür werden sie inzwischen sogar vom Staat unterstützt, der erkannt hat, welchen kulturellen – aber auch touristischen – Wert überlieferte Kultur haben kann. Die Miao selbst sind sich ihrer Rolle, die sie dabei spielen, durchaus bewusst. Sie besitzen Smartphones und wissen, was in der Welt geschieht.

Die Waffen auf dem Bild sind alte Musketen, die zur Jagd auf Affen benutzt werden. Die Tiere werden gegessen.

UA POU

Marquesas-Inseln, Französisch-Polynesien 2016

Es gibt zwei Arten, jemanden fotografisch zu porträtieren: so wie für das Cover des „Time Magazine“ – respektvoll, inszeniert, ikonografisch – oder wie ein Paparazzi heimlich und ohne Inszenierung. Beide Herangehensweisen produzieren ein authentisches Ergebnis, aber ich wähle für mein Projekt die erste Methode. Ich bin kein Journalist, kein Ethnologe. Ich bin Geschichtenerzähler. Mein Ansatz ist ein künstlerischer, subjektiver und romantischer. Ich sage meinen Modellen: „Zeigt euch in eurem stolzesten Moment.“ Ich möchte ihnen mit meinen Bildern eine Bühne schaffen. Für dieses Porträt kam der Mann von der Insel Ua Pau im Südpazifik mit einem zeremoniellen Kopfschmuck. Die Materialien dafür stammen aus der Natur: Muscheln, Pflanzen. Eine Respektsbezeugung an den Lebensraum. Sein Gesicht ist bemalt, nicht tätowiert. Tätowierungen muss man sich in dieser Kultur erst durch aufrechten Lebenswandel verdienen.

TANNA

Vanuatu 2016

Die Bäume auf der Insel Tanna, der südlichsten der 83, die den Inselstaat Vanuatu bilden, gehören zu den gewaltigsten, die ich je gesehen habe. 30 Meter breit und 40 Meter hoch wachsen sie aus dem mineralreichen Vulkanboden und bieten den Raum für die Baumhäuser der Yakel. Für das Foto hat sich ein komplettes Dorf vor einem typischen Wohnhaus versammelt. Die Yakel, deren Männer zwei Ehefrauen haben dürfen, leben freiwillig ein zurückgezogenes Leben. Auf den anderen Inseln Vanuatus gibt es bereits zahlreiche Resorts und Touristen. Vielleicht ist die Nähe zu dem Vulkan auf ihrer Insel die Ursache für ihre Entscheidung. Die stetige Gefahr eines Ausbruchs lehrt Demut und verankert einen sehr im Hier und Jetzt. Auch als ich das Foto aufnahm, rumpelte der Vulkan.

Von China in den Südpazifik

SUO JIA

Provinz Guizhou / China / 2016

Dieses Foto von einer Mutter und ihrer Tochter aus Südchina ist eine der letzten Aufnahmen, die ich mit analogem Film gemacht habe. Inzwischen arbeite ich digital. Die Arbeit mit klassischem Film gefällt mir zwar besser, ich mag die Ästhetik, und man arbeitet mit größerer Sorgfalt, aber es ist einfach zu teuer. Die Reisen und mein Team von sieben bis acht Leuten müssen ja finanziert werden. Die Frisuren auf dem Bild sind typisch für die Langhorn-Miao und erinnern an die Hörner von Wasserbüffeln. Früher wurden sie komplett aus Haaren geflochten. Inzwischen benutzt man auch Tücher. Trotzdem hat das Drapieren für das Foto drei Stunden gedauert.

UA POU

Marquesas-Inseln, Französisch-Polynesien 2016

Pferde sind das Haupttransportmittel der Menschen auf Ua Pou, einer der acht Marquesas-Inseln, auf der jeweils rund 1500 Menschen leben. Für meine Projekte suche ich aber nicht unbedingt die bedrohtesten Völker aus. Ich möchte einfach zeigen, wie vielfältig die Welt ist und was verloren gehen würde ohne diese alten Kulturen. Ohne sie würden wir den Bezug zu unseren Wurzeln verlieren, unsere Authentizität. Die drei Männer sind ganz normale Leute, die als Bauern und Fischer arbeiten. Hinter mir standen bei der Aufnahme übringens 50 ihrer Nachbarn – die Hälfte von ihnen in T-Shirts.

UA POU

Marquesas-Inseln, Französisch-Polynesien 2016

Ich arbeite ohne künstliche Beleuchtung. Deshalb klappt eine Aufnahme nicht immer beim ersten Mal. Auch für dieses Bild mussten wir zweimal mit den rituellen Waffen auf den etwa 300 Meter hohen Berg klettern. Und dann wurde ich auf meinem gegenüberliegenden Felsvorsprung fast vom Wind in den Abgrund gepustet. Drei Wochen hatte ich davor mit den Menschen auf Ua Pou gelebt, gegessen und getanzt. Ich komme immer unangekündigt, nur mit einer Assistentin, und erkläre mein Projekt. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Menschen mir vertrauen – dafür braucht es Zeit.

Jimmy Nelson wurde 1967 in England geboren und wuchs in Afrika, Asien und Südamerika auf. Mit 19 reiste er mit einer Kamera durch Tibet und arbeitete danach als Fotojournalist und für die Werbung. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Ausstellung „Before They Part II“ läuft ab sofort bis zum 19. November in der Galerie Camera Work in der Kantstraße 149, 10623 Berlin. Der Eintritt ist frei.

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