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Die poetischen Bilder der Fotografin Nidaa Badwan können Interessierte bisher nur in einer Galerie sehen: Al Hoash in Jerusalem.

© Nidaa Badwan

Palästinensische Künstlerin Nidaa Badwan: Gaza: Protest ohne Bewegung

Nidaa Badwan lebt im zerstörten Gaza und verlässt seit 20 Monaten ihr Zimmer nicht mehr – eine Kunstaktion gegen die Islamisten von der Hamas und die israelische Besatzung.

Im Gazastreifen fällt der Strom mehrmals am Tag aus. Die Künstlerin Nidaa Badwan ist dann meist nicht erreichbar, weil der Akku ihres Handys schnell verbraucht ist. Am Abend des Jahrestags des jüngsten Krieganfangs in Gaza funktioniert es doch. Das Freizeichen ertönt. Nidaa Badwan hat viel zu erzählen:

In Gaza bekommt man schnell Suizidgedanken. Ich habe auch öfters versucht, mir das Leben zu nehmen. Denn die Islamisten oder die Israelis sagen dir, du seist wie ein Tier. Ich bin kein Affe, kein Schaf! Ich bin ein Mensch. Ich brauche Freiheit, künstlerische Freiheit.

Deswegen habe ich am 19. November 2013 ein neues Kunstprojekt gestartet. Ich habe mir damals gesagt: Nidaa, du verlässt deine Wohnung einfach nie wieder. Ich habe beschlossen, dass ich in meinem drei mal drei Meter großen Kinderzimmer im kleinen Haus meiner Eltern verbleibe – für immer. Ein Gefängnis im Gefängnis. Ich nenne mein Projekt Isolation.

Ich werde nie wieder freiwillig auf die Straßen von Gaza gehen. Außer, mein Leben oder meine Kunst sind bedroht. Ich musste seit Beginn meines Projekts wenige Male zum Arzt, einmal zur Eröffnung einer Ausstellung mit meinen Bildern, aber ich habe ein ganzes Jahr am Stück meine Wohnung nicht verlassen. Hier bin ich frei. Ich bin bereit, in meinem Zimmer zu sterben.

Nidaa Badwans kleines Zimmer ist bunt. Sie streicht die Wand gegenüber des Fensters mal in Grün, mal in Orange, mal klebt sie bunte Eierkartons wie Kacheln an die Wand. Der Teppich auf dem Boden ist mit farbenfrohen Streifen geschmückt.

Die Eltern dachten, sie sei verrückt

In der einen Ecke, gegenüber vom schlichten Bett, liegt eine Gitarre, manchmal ist da ein Autoreifen, eine Holzkiste, ein Radio. Dinge, die ihre Freunde vorbeibringen und die sie in ihre Fotografien einbaut. In der anderen Ecke steht eine Doppelleiter. Einmal hat sie all ihre Kleidung, ihre Jeans, ihre Blusen daran befestigt. Ein anderes Mal knotete sie eine Schaukel an die Sprossen oder malte ein Selbstporträt mit Acrylfarbe unter der Leiter. Dann drückt sie auf den Auslöser ihrer Kamera. Sie und ihr Zimmer sind immer im Fokus.

Die Künstlerin wartet stundenlang auf das perfekte Licht.
Die Künstlerin wartet stundenlang auf das perfekte Licht.

© Nidaa Badwan

Meine Mama, mein Papa, meine zwei jüngeren Brüder, meine drei älteren Schwestern dachten, dass ich verrückt sei. Sie suchten nach psychologischer Hilfe für mich. In Gaza bekommt man selten psychologischen oder seelischen Beistand.

Dann haben sie verstanden, wie viel besser es so ist, wie es nun ist, was für ein schönes und wichtiges Kunstprojekt dabei entsteht, wie wichtig meine Kunst für mich ist. Es hilft mir sehr, dass sie mich unterstützt. Meine Mutter bringt mir Essen, sie erfüllt mir, so gut es in Gaza eben geht, jeden kulinarischen Wunsch.

Jeans sind für Frauen in Gaza verboten

Auf dem kleinen Schreibtisch von Nidaa Badwan steht eine kleine Propangasflasche. Damit macht sie sich Kaffee, dann muss sie ihre Mutter nicht immer fragen. Sie will so unabhängig wie möglich sein.

Am Tag vor meiner Entscheidung, das Projekt zu starten, es war ein Montag, wurde ich von der Polizei der Hamas auf der Straße beschimpft, geschubst. Sie haben mich geschlagen. Sie sagten zu mir, ich könne nur noch mit der Erlaubnis meines Vormundes, also meines Vaters, und gemäß den religiösen Gesetzen gekleidet auf die Straße gehen. Jeans seien in Gaza verboten. Wenn man widerspricht kommt man ins Gefängnis.

Deswegen trage ich nun Jeans – in meinem Zimmer. Ich bin 28 Jahre alt. Eine erwachsene Frau. Ich kann machen, was ich will. Es gibt viele in Gaza von meiner Sorte, viele junge Menschen, die nicht mehr mitmachen wollen.

Ich bin in erster Linie gegen das, was innerhalb des Gazastreifens passiert. Die Menschen hier haben ihre Kultur verloren. Die Islamisten haben sie ihnen genommen. Es gab vorher so viele Treffpunkte, Händler, Künstler, Denker, so viel Leben.

Jetzt dürfen wir nichts mehr unternehmen. Unsere Zivilisation ist dahin. Nur die Zivilisation in meinem Zimmer ist noch intakt. Bis jetzt hat sich die Hamas noch nicht wieder bei mir gemeldet. Sie sehen mich ja auch nicht. Ich bin immer in meinem Zimmer.

Gymnastik in der selbstgewählten Isolation

Nidaa Badwan weint wegen der Zwiebeln und freut sich über ihre Isolation.
Nidaa Badwan weint wegen der Zwiebeln und freut sich über ihre Isolation.

© Nidaa Badwan

Nidaa Badwan schaut nicht oft aus dem Fenster. Die Straßen von Gaza seien sowieso keinen Blick wert. Sie konzentriert sich lieber auf ihre Kunst. Sie schminkt sich, tippt auf ihrer alten Schreibmaschine, hilft ihrer Mutter beim Kochen, schneidet kiloweise Zwiebeln.

Auch dabei fotografiert sie sich. Die selbst gewählte Isolation bedeutet für sie, dass sie 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche Künstlerin und Kunstobjekt in einer Person ist. Selbst in Zeiten des Krieges kann sie nur daran denken.

Im Jahr 2008, da war ich mitten im ersten Semester meines Kunststudiums an der Universität von Gaza. Ich wollte meine erste Ausstellung organisieren. Ich hatte wirklich sehr schöne Bilder gemacht. Ich habe sie mir damals stundenlang angeschaut und war glücklich.

Das Internet ist das Fenster zur Welt

Dann kam der Krieg. Und ich musste die Träume von meiner Ausstellung begraben – unter dem Schutt und den Toten. Ich habe beim roten Halbmond angefangen, die Verwundeten und die Angehörigen der Opfer zu betreuen. Dann wurde das Krankenhaus bombardiert. Ich stand vor den Überresten und hatte plötzlich das Bedürfnis, meine Kunst zu zeigen. Etwas Schönes. Also karrte ich meine Bilder an und stellte sie aus. Vor der Ruine. Vor dem Schutt. Und das war gut.

Im letzten Krieg, im Sommer vor einem Jahr, schaute ich aus meinem Fenster. Es war hässlich. Es war ein verrückter Krieg. Die Israelis haben uns ohne Grund angegriffen, getötet, brutal war das. Ich habe zuerst gedacht: Ach, schon wieder ein Krieg. Und ich schaute aus dem anderen Fenster zur Welt – dem Internet. Seitdem chatte ich sehr viel mit Freunden aus dem Ausland.

Ich bin stolz auf mich. Ich, die kleine Künstlerin aus Gaza, bekomme Besuch aus New York, Berlin, Paris. Die Menschen versuchen, nach Gaza einzureisen, unter den widrigen Bedingungen der Hamas und der israelischen Einkesselung.

Sie besuchen mich in meinem Zimmer. Sie kommen freiwillig ins Gefängnis, um mich, um meine Kunst zu sehen. Das gibt mir Kraft. Für mich bedeutet meine Kunst, mein Zimmer, meine Isolation, meine Freiheit alles im Leben.

Für mich gibt es Krieg 1, Krieg 2 und Krieg 3

Wird man in der Isolation nicht verrückt? Vermisst man nicht die Sonne? Die Meeresluft auf der Haut? Den Kontakt zur – in Gaza sehr kleinen – Außenwelt? Nidaa Badwan antwortet mit einem „t“. Im Arabischen signalisiert man damit Widerspruch. Ihr ginge es gut. Sie könne gut schlafen, sie fühle sich wunderbar und mache in ihrem Zimmer genau das, was sie auch draußen machen würde.

Ich weiß genau, wann tagsüber die besten Sonnenstrahlen in mein kleines Atelier fallen. Manchmal dauert es Stunden, bis ich endlich auf den Auslöser drücken kann. Meine Bilder erzählen ja von meinem Leben auf drei mal drei Metern. Zum Beispiel, wie ich fit bleibe, meinen täglichen Sport treibe. Ich muss ja keinen Marathon dafür laufen, Dehnungsübungen und Gymnastik, das funktioniert auch auf wenig Raum.

Meine Bilder erzählen aber auch viel über das Leben in Gaza. Die Gazaner, sie leben unter der Diktatur der Hamas, sie leben unter der Bedrohung eines neuen Konflikts mit Israel, sie leben nur noch von Krieg zu Krieg.

Man sagt: Ich habe A, B und C vor dem Krieg gemacht – und das, das und das nach dem Krieg. Die Gewalt wird in Lebenskapitel aufgeteilt. Für mich gibt es: Krieg 1, Krieg 2 und Krieg 3. Der Krieg sitzt tief drin in mir.

Und immer wenn ein Flugzeug über das Haus fliegt, habe ich Angst. Todesangst. So geht es allen hier. Doch ich habe vor allem Angst, dass mein Zimmer zerstört wird. Es schützt mich. Es gibt mir Freiheit. Hier kann ich an meiner Kunst arbeiten. Hier kann ich mich selbst verwirklichen. Ich habe doch nur mein Zimmer. Mein Zimmer, das ist mein Habibi, meine einzige Liebe.

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