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Ein Propangasbrenner erhitzt die Luft auf gut 100 Grad Celsius.

© TVB Tannheimer Tal / Meurer Achi

Reise im Heißluftballon: Ab ins Körbchen

Was der Kick beim Ballonfahren ist, das können nur Anfänger fragen. Über das Glück, sich treiben zu lassen.

Schau an, die Autobahn! Lächerlich klein und vollgestopft mit buntem Blech, im alltäglichen Dauerstau kurz vor Füssen, wo die A 7 in die Bundesstraße 17 übergeht. Österreichische Pendler auf dem Weg ins Allgäu und deutsche Pendler auf dem Weg nach Tirol, dazu Busladungen von Touristen im Stop-and- Go-Tempo zu König Ludwigs Märchenschloss Neuschwanstein. Aber wer mag sich schon mit irdischen Problemen aufhalten, unter einem riesigen Ballon im sanften Wind hoch über dem verschneiten Alpenvorland?

Oben summt einer Reinhard Meys „Über den Wolken“, was ein bisschen irreführend ist, denn hier oben gibt es keine Wolken. Grenzüberschreitend dominiert das Blau des Himmels, links geht die Sonne unter und rechts der Mond auf. „Zeit zum Landen“, sagt Bernhard Langhans, denn langsam geht das Gas aus, und irgendwann muss auch mal Schluss sein. Kurzer Blick auf das GPS, es zeigt 15 Stundenkilometer an, passt perfekt für den Abschluss eines perfektes Fluges im Heißluftballon. „Moment mal!“, sagt Langhans, und jetzt wird es grundsätzlich: „Wir fliegen nicht, wir fahren, das merkst du dir gefälligst!“ Bei einem Anfänger lässt er das als Pilot noch mal durchgehen, aber nur dieses eine Mal.

Ballonfahrer sind ein Völkchen für sich. Um die 4000 Piloten gibt es weltweit, in Japan, Frankreich, Großbritannien, den USA oder der Türkei, aber die meisten kommen aus Deutschland. „So um die 1000“, schätzt Rudi Höfer, er selbst wohnt in Baden-Württemberg, Schwäbisch Hall, und war in seinem früheren Leben Polizist, bis er 1990 zum ersten Mal in einen Ballon stieg. Mittlerweile geht Höfer auf die 70 zu und will doch nichts wissen vom Ruhestand, denn zu Hause warten sechs Ballons und drei Piloten, die bei Laune und in Bewegung gehalten werden wollen.

Dieses Gefühl, eins mit dem Wind zu sein, ist einmalig

Höfer hat seinen Ballon schon über die chinesische Mauer und durch die Feenkamine Kappadokiens navigiert, aber sein liebstes Revier liegt vor der Haustür in Tirol. Seit 17 Jahren organisiert er das Ballonfestival im Tannheimer Tal, 1100 Meter über dem Meeresspiegel, eingebettet zwischen schroffen Gipfeln mit so schönen Namen wie Rote Flüh, Kühgundkopf oder Schartschrofen. Ein Familienidyll, in dem sogar das kleine Holzkraftwerk am Ortseingang wie eine Jausenhütte daherkommt.

Das Tannheimer Tal hat keine spektakulären Skiabfahrten und liegt zu weit abseits der großen Verkehrswege, als dass es den Massentourismus anziehen würde. Dafür genießt es mit seiner stabilen Wetterlage und den zuverlässig wehenden Westwinden unter Europas Ballonfahrern einen einzigartigen Ruf. „Ich vergleiche das oft mit dem Autofahren“, erzählt Rudi Höfer. „Ich fahre gern VW, aber viel lieber Porsche“, und damit sei eigentlich alles gesagt über die Ausnahmestellung des abgelegenen Hochtals im Westen Tirols.

Immer wieder im Januar kommen sie für drei Wochen zusammen. 70 Piloten aus ganz Europa sind es in diesem Jahr. Jan aus den Niederlanden, Heini aus der Schweiz, Gerard aus Frankreich, Kerry aus England und natürlich Langhans, der Lokalmatador aus Tannheim. Mit seinem Ballon „Aggenstein“, benannt nach einem Gipfel in den Allgäuer Alpen, hat er selbige schon um die 40 Mal Richtung Neuschwanstein überquert, aber jede Fahrt entfaltet ihren eigenen Zauber.

Was ist der Kick am Ballonfahren? Rudi Höfer lächelt milde. Anfängerfrage. „Einfach alles. Der einmalige Ausblick. Das unvergleichbare Gefühl, diese Stille, wenn Sie eins mit dem Wind sind. Und natürlich die Ungewissheit. Kein Pilot kann beim Start hundertprozentig voraussagen, wohin die Reise geht.“ The answer my friend, is blowin’ in the wind. Das klingt zufallsergebener, als es sich die Ballonfahrer je erlauben würden. „Sicherheit geht über alles“, sagt Rudi Höfer, und selbstverständlich könne er während des Festivals nicht selbst in den Ballon steigen. Als Organisator steht er in ständigem Funkkontakt mit den Piloten und dem alpinen Wetterdienst. Einer muss ja den Überblick behalten.

Das Altimeter zeigt 2300 Meter an

Buntes Völkchen. Gerade einmal 4000 Ballonpiloten gibt es weltweit, die meisten davon kommen aus Deutschland.
Buntes Völkchen. Gerade einmal 4000 Ballonpiloten gibt es weltweit, die meisten davon kommen aus Deutschland.

© TVB Tannheimer Tal / Meurer Achi

Ein Dienstag im Januar. Rudi Höfer steht lange vor Sonnenaufgang auf und bereitet sich auf das Briefing vor, die Instruktion der Piloten, was Windstärke, Drift und mögliche Widernisse betrifft. Schon bei der geringsten Aussicht auf Nebel, Schnee oder Regen lässt er niemanden aufsteigen, aber diese Gefahr besteht im Wetterloch des Tannheimer Tals eher selten. „Was glauben Sie, wie oft wir aus den Nachbartälern zu hören bekommen: ‚Was denn, ihr habt Sonne? Bei uns ist alles wolkenverhangen!‘“

Bernhard Langhans braucht eine halbe Stunde und sechs helfende Hände, um seinen orange leuchtenden Ballon aufzurichten. Ein Propangasbrenner erhitzt die Luft auf gut 100 Grad Celsius, und dann kommt über Funk auch schon Rudi Höfers Startgenehmigung. Schnell gewinnt der Aggenstein an Höhe. Mag sein, dass es draußen ungemütlich weht, aber weil sich der Ballon immer exakt im Tempo des Windes bewegt, zieht er seine himmlische Spur so ruhig wie ein Ruderboot auf einem stillen Waldsee. Draußen hat es Minusgrade, doch im Korb verbreitet die vom Brenner aufgeheizte Luft wohlige Wärme.

Ganz weit links ist der Bodensee zu erahnen, rechts schiebt sich kurz die Zugspitze ins felsige Panorama. Immer höher steigt der Ballon, schon nach einer halben Stunde zeigt das Altimeter 2300 Meter an. Wohlwollend nimmt Langhans zur Kenntnis, dass ihn der Wind ziemlich genau in Richtung Neuschwanstein treiben wird.

Der Einfluss des Piloten ist begrenzt und reduziert sich auf das Vertikale mittels Abkühlen oder Zufuhr heißer Luft durch den Propangasbrenner, womit er den Ballon dann doch indirekt lenkt, denn Tempo und Richtung des Windes variieren in unterschiedlichen Höhen. „Die Ballons stehen noch auf derselben Stufe wie die Schiffe vor der Erfindung des Dampfes. 6000 Jahre hat man gebraucht, um Schaufelräder und Schrauben zu ersinnen, wir können also noch eine gute Zeit warten.“ So hat es Jules Verne in seinem visionären Roman „Fünf Wochen im Ballon“ vor 150 Jahren formuliert.

Das Gottvertrauen in den Ballon wächst mit jeder Minute

Diese Erkenntnis gilt bis heute, und auch an der damals zusammenfantasierten Konstruktion des Gefährts hat sich wenig geändert. Vernes Helden überquerten Afrika von Sansibar bis nach Senegal in einem Weidenkorb, dem von Bernhard Langhans nicht unähnlich. Für die Ballonhülle wählte Verne Lyoner Seide, überzogen mit Guttapercha, dem getrockneten Milchsaft des gleichnamigen Baumes. Das war eine revolutionäre Eingebung zu Zeiten, da die Welt noch die flatternden Papierballons der Brüder Montgolfier bestaunte. Heute verwendet man eine mit Polyurethan luftdicht versiegelte Kunststofffaser. Auch ein Brenner war bei der Afrika-Querung schon an Bord, er füllte und erhitzte den Wasserstoffballon, was in der Realität doch ein bisschen zu gefährlich wäre.

Jules Vernes Abenteurer ließen sich über Afrika von Elefanten ziehen und wurden von Vögeln attackiert. Bei Bernhard Langhans kleiner Alpen-Passage wird die einheimische Fauna durch fünf, sechs versprengte Gämse repräsentiert, sie tapsen scheu durch den Schnee und sind ein gefragtes Fotomotiv. Bereitwillig lehnen sich die drei mitreisenden Passagiere auf die gut einen Meter hohe Wand des Korbes. Ja, das Gottvertrauen in den Ballon wächst mit jeder Minute. Anders ließe es sich auch nicht ertragen, dass der Pilot alle 20 Minuten eine neue Propangasflasche an den Brenner anschließen muss, wobei er einen schon mal unsanft zur Seite drückt. „Alles nicht böse gemeint“, sagt Langhans, aber er sei nun mal der Chef im Korb, und jeder Rempler liege nur im Interesse seiner Passagiere.

Ballonfahren ist eine hochkomplexe Angelegenheit und in seiner finalen Phase auch der Entschleunigung verpflichtet. In luftiger Höhe kann der Wind einen Ballon schon mal mit 150 Sachen über die Berge blasen, aber bei der Landung hat Ruhe zu herrschen. Gut 20 Stundenkilometer, Windstärke 4, sind kein Problem für einen erfahrenen Piloten. Ein letztes Mal röhrt der Brenner, und nach zwei viel zu kurzen Stunden über den Gipfeln sinkt der Aggenstein fast zärtlich auf eine verschneite Wiese.

Schön war’s: 25 Kilometer im himmlisch unkontrollierten Grenzverkehr von Österreich nach Deutschland, ganz ohne den Segen Horst Seehofers und seiner CSU.

Tipps für Ballonfahrten

Das Ballon-Festival im Tannheimer Tal findet jedes Jahr im Januar statt. Mit dem Auto geht es über die A 7 bis Oy-Mittelberg und weiter über die B 310 Richtung Oberjoch. Von den Bahnhöfen Sonthofen und Pfronten/Ried fahren Busse. Hotels sind reichlich vorhanden, etwa das „Goldene Kreuz“ in Tannheim (Einzelzimmer ab 56 Euro). Informationen über weitere Treffen gibt es im Internet auf ballonfestivals.de. Über Geschichte und Technik des Ballonfahrens sowie die Pilotenausbildung informieren die Berliner Ballonfahrer- und Luftschiffervereinigung BBLV (ballonfahren-berlin-brandenburg.com) und der Deutsche FreiballonSportverband DFSV (ballon.eu).

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