zum Hauptinhalt
Pablo Picasso umkränzt Angela Rosengart, eine Begegnung in den 1960er Jahren.

© Museum Sammlung Rosengart Luzern

Sammlung Rosengart: Von Picasso gebannt

Die Galeristentochter war seine Schweizer Muse: Angela Rosengart saß dem Maler wieder und wieder Modell. Eine Begegnung in ihrem Luzerner Museum.

Angela Rosengart, 1,65 Meter groß, zierliche Gestalt und federleicht, ist das Schwergewicht der Luzerner Kunstszene. Als Tochter des Galeristen Siegfried Rosengart lernte sie in jungen Jahren Pablo Picasso, Marc Chagall und Henri Matisse kennen. Jahrelang hat sie in ihrem Wohnzimmer unter einem riesigen Picasso-Gemälde gesessen, „weil das damals niemand haben wollte“. Fünf Mal hat der berühmte spanische Maler sie gezeichnet, was lange Zeit kaum jemand wusste. Und nun hat sie die Kunst aus dem Privatbesitz der Familie – Klee, Matisse, Miró, Monet, Cézanne, Picasso – in einem der besten Museen der Stadt zusammengetragen: in der Sammlung Rosengart gleich neben dem Luzerner Hauptbahnhof.

Wer Angela Rosengart trifft, sieht sofort, dass die 84-Jährige kein bisschen nach ihrem Alter aussieht, höchstens, aber keinen Monat mehr, nach einer fitten 65-Jährigen. Es mag an den auferlegten Routinen liegen. Jedes Jahr fliegt sie zwei Mal zu den großen Auktionen, nach London und New York, um sich darüber zu informieren, was auf dem Kunstmarkt passiert. Jeden Morgen macht sie 20 Minuten Gymnastik, „nie abstützen, immer selbst wieder auf die Beine kommen“, um den Körper in Schwung zu halten. Jeden Tag geht sie 20 Minuten von ihrer Wohnung auf der anderen Seite des Vierwaldstätter Sees hinüber zum Gebäude der Sammlung, um an der frischen Luft zu sein. Vorbei an den Uhrengeschäften am Schwanenplatz, wo die asiatischen Touristen tütenweise einkaufen, wo an jedem Fachgeschäft ein chinesisches Begrüßungsschild hängt, und die Wehrbefestigung der Kapellbrücke entlang, aus der ein überdachter Steg mit hunderten Blumentöpfen geworden ist.

Im Eingangssaal der Sammlung, die sie mit ihrem Vater Siegfried aufgebaut hat, setzt sie sich auf ein Sofa. Hinter ihr fünf großformatige Picasso-Gemälde, gemalte Augenpaare, die gleichzeitig an- und wegblicken. Besucher murmeln „Das ist sie!“, während Angela Rosengart über das Verhältnis der Luzerner zur Kunst spricht. Das war keine Liebesbeziehung auf den ersten Blick. Die Stadt im Schatten des Pilatus-Berges ist durch den Tourismus, nicht durch Kultur groß geworden.

Wo Geld aus den Taschen quillt, bleibt etwas für die Kunst hängen

Als Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Alpenwanderer kamen, boomte der verschlafene Ort. Bettenburgen entstanden, ein Grand Hotel neben dem anderen eröffnete, Queen Victoria verbrachte einen Sommer hier, Wagner blieb gleich ein paar Jahre, und die Luzerner erzählen noch heute stolz davon, dass es Direktzüge nach Paris und Oostende gab, wo die Kanalfähren aus England anlandeten. Heute ist der Interregio zum Zürcher Flughafen die wichtigste Verbindung.

Wo Geld aus den Taschen quillt, bleibt etwas für die Kunst hängen. Siegfried Rosengart, den Picasso „Rosong-gaard“ nannte, eröffnete in den 1920er Jahren seine Galerie, in der er für die begüterten Sommerfrischler die Meister der klassischen Moderne verkaufte. „Mein Vater hat immer gesagt: Wenn ich von den Luzernern hätte leben müssen, wäre ich verhungert“, erinnert sich seine Tochter.

In der Galerie gleich gegenüber dem Hotel National kehrten früher die amerikanischen und deutschen Sammler ein, es kamen ein paar Studenten aus der örtlichen Kunstgewerbeschule – aber ein breites Lokalpublikum? Das fehlte. Des Alten Devise: „Ich mache keine Vernissage, weil die Leute dann nur kommen, um ihren Champagner zu trinken.“ Man kann schon sagen, dass die Stadt und die Galerie sich ein paar Jahrzehnte erfolgreich ignoriert haben.

Norman Rockefeller kaufte hier einen Paul Klee

Angela Rosengart leitete ab 1957 die Galerie mit, gemeinsam mit ihrem Vater besuchte sie die Künstler. Im nicht so geschäftigen Winterhalbjahr reisten sie hinunter nach Südfrankreich, wo viele ihrer Künstler lebten, oder nach Paris, was damals als die Kunsthauptstadt galt. Und nach Luzern? Kam mal Chagall, auch Oskar Kokoschka, Picasso nie. Man ging mit den Besuchern ins Konzert ins Festspielhaus, durch die Kopfsteingassen der Altstadt, und natürlich: „Gut essen, das war immer sehr wichtig.“ Im „Old Swiss House“, das heute noch existiert, gab es die feinsten Wiener Schnitzel der Stadt.

Der Vater verstarb 1985, drei Jahre später organisierte die Tochter eine Ausstellung, auf der sie Bilder zeigte, die von der Galerie vermittelt worden waren. Plötzlich bemerkten die Luzerner: Moment mal, da gibt es in unserer Mitte eine Kunst-Connection von Weltrang! Norman Rockefeller kaufte hier einen Paul Klee, den er dem Museum of Modern Art in New York spendierte. Peter Ludwig baute unter anderem mit Werken aus der Galerie Rosengart das berühmte Museum in Köln auf.

Dann gab es noch die Sammlung der Familie. Das mag man sich gar nicht vorstellen, aber 1969 lief eine Picasso-Ausstellung so mies, dass die Rosengarts auf den Bildern sitzen blieben und sie mangels Alternativen in die eigene Wohnung hängten. 30 Jahre später flatterten millionenschwere Kaufangebote ins Haus, doch Angela Rosengart reagierte mit eisernem Stolz. Was sie einmal in die Sammlung aufnahm, wurde nicht mehr veräußert. Galeristenehrenwort.

Kurios, wie klein der große Künstler war

Aus dieser Sammlung, für die nun die Wohnung zu klein wurde, entstand die Idee des Museums. Im ehemaligen Regionalsitz der Schweizer Nationalbank, einem weiß getünchten Kasten des Neoklassizismus, eröffnete sie im März 2002 die Ausstellung. Sie ist chronologisch sortiert: In der ersten Etage gibt es Werke des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, im Erdgeschoss hängen über 40 Werke Picassos und im ehemaligen Tresorraum im Keller 125 Arbeiten von Paul Klee. „Für mich war klar, dass die Sammlung in Luzern zu sehen sein musste“, sagt Angela Rosengart. Bei aller Provinzialität war die Stadt ihr Lebensmittelpunkt, der Ort, an dem ihre Schaffenskraft und Leidenschaft wuchsen.

Frau Rosengart trägt an diesem Morgen einen rosafarbenen Rollkragenpullover, schwarze Jeans und eine auffällige große Kette, die auf den ersten Blick aussieht, als hätte sich jemand im Werkunterricht an Spiralverschlüssen versucht, und erst auf den zweiten wie ein filigranes Kunstwerk. Picasso hätte den Schmuck gemocht, glaubt Angela Rosengart. Ihn faszinierten Spiralen, einmal hat er sogar versucht, aus einem Metallgürtel von Frau Rosengart ein Kunstwerk zu machen, hat probiert, Figuren darauf einzuätzen, ohne Erfolg. Das Material entpuppte sich als zu widerspenstig. Ein kurzer neidischer Gedanke: Wer kann sonst noch von sich behaupten, dass Picasso daran gescheitert ist, den eigenen Gürtel zum Kunstwerk zu erheben?

Rosengart wie sie heute mit 84 Jahren aussieht.
Rosengart wie sie heute mit 84 Jahren aussieht.

© Picture-Alliance/KEYSTONE

In der ersten Etage der Stiftung hängen persönliche Fotografien der Familie Picasso. Kurios, wie klein von Wuchs der große Künstler war. 1,55 Meter, sagt Angela Rosengart. Gegen diesen Glatzkopf erscheint sie auf einem Bild wie eine lachende Riesin.

Sie kommentiert Picasso-Bilder aus den 40er Jahren, die im Erdgeschoss hängen. „Was er mit Grau an Farbe herausholt“, sagt sie bewundernd. Als sie ein Gemälde von 1953 erblickt, eine Frau mit einem spielenden Hund, fällt ihr auf, wie aggressiv diese Szene doch aussieht, überhaupt nicht nach einem häuslichen Frieden mit der Lebensgefährtin Françoise Gilot. „Das war kurz vor der Trennung, das spürt man richtig.“

Kommen Sie morgen vorbei, ich mache ein Porträt von Ihnen!

Im Keller erzählt sie von der ersten Ausstellung, an der sie als 16-Jährige mitarbeitete: eine Nachkriegsschau von Paul Klee. Selbst die günstigen Großformate für 6000 Franken konnten die Rosengarts nicht verkaufen. Vor fünf Jahren wechselte in London ein Klee-Gemälde für 4,5 Millionen Pfund den Besitzer. „Die Farben, die Poesie, der Witz, diese entzückenden Titel“, schwärmt die alte Dame wie ein junges Mädchen über den Schweizer Maler. Ihr erstes selbsterworbenes Bild war seine Zeichnung „X-chen“, ein lustiges Strichmännchen, mit 16 Jahren eben 1948 gekauft, vom ersten Gehalt als Lehrling beim Vater. Es ist im Untergeschoss zu sehen und als Souvenir-Postkarte bei Besuchern unheimlich beliebt.

Natürlich kommen viele der Gäste aus Singapur, den USA, Deutschland und, ja, aus Luzern hierher, um die fünf Bilder zu sehen, die Picasso von Angela Rosengart gemacht hat. Es begann 1954, als sie mal wieder mit ihrem Vater in Südfrankreich war, durch das Dorf Vallauris spazierte, vorbei an den Töpfereien, wo auch Picasso gern arbeitete. Ein Geplänkel mit dem Vater, dann ein Angebot, das wie eine Anweisung klang: Kommen Sie morgen vorbei, ich mache ein Porträt von Ihnen! „Das lehnt man nicht ab“, sagt Angela Rosengart.

Die erste Sitzung dauerte 20 Minuten, heraus kam eine feine Bleistiftzeichnung. „Der sieht man an, dass sie schnell gemacht wurde“, gibt das Modell zu. Die Zeichnung hängt in einem Raum in der ersten Etage, gleich neben den anderen Bildern, „pour Angela“, wie Picasso gewidmet hat – die alle bis 1968 entstanden.

Den Mini-Dutt, ihren "chignon", trägt sie bis heute

Vor allem die Sitzung von 1964 ist ihr in Erinnerung geblieben. Da wollte der Meister eine große Lithographie von ihr machen, zwei Stunden saß sie Modell, durfte sich nicht rühren. Es war totenstill im Raum, keine Gespräche, keine Musik, Angela Rosengart suchte mit ihren Augen das chaotische Atelier ab: die Zeichnungen, Keramiken, Bücher, Kataloge. „Ich hatte das Gefühl, ich werde langsam zu einem Holzblock. Und dann diese Blicke – als wenn ich direkt aufgefressen würde von ihnen.“

Bis auf die erste Zeichnung, wo sie eine Dauerwelle trug, sieht man auf den Bildern die Konstante eines Berufslebens: den streng zurückgesteckten Mini-Dutt. Ihren „chignon“, wie sie die Frisur nennt, trägt sie bis heute. Manchmal erkennen sie Menschen daran und nicken ihr freundlich zu: auf der Straße, im Bus, im Restaurant. Auch im „Old Swiss House“? Da wird sie plötzlich zur sparsamen Schweizerin: „Nein, zu teuer. Das Wiener Schnitzel kostet irgendwas um die 60 Franken.“ Das muss man sich mal vorstellen: Eine Frau, die Millionenwerte an Bildern hat, wird beim Essen knauserig. Lieber geht sie in den „Rebstock“ oder den „Luzerner Hof“, im letzteren übrigens hat sie neulich ein „köstliches Hirschragout“ gegessen.

Nach 90 Minuten kommt Angela Rosengart zu den Fotos in der ersten Etage, die Besuche beim spanischen Künstler dokumentieren. Der letzte im Herbst 1972, Pablo Picasso trägt einen gelben Pullover. „Er wirkte so lebhaft, dass wir natürlich ‚Auf Wiedersehen’ sagten und glaubten, uns im Frühjahr wieder zu sehen“, erzählt Rosengart. Picasso bekam im März 1973 eine Grippe, er starb als Hochleistungskünstler mit 91 Jahren. Einen Teil seines Lebens hat Angela Rosengart in Luzern konserviert.

Reisetipps für Luzern

ANREISE

Von Berlin nach Zürich fliegen – zum Beispiel mit der Swiss, die fünf Mal täglich ab Tegel verkehrt – und vom Flughafen in den Interregio-Zug nach Luzern einsteigen. Die Fahrt dauert etwas länger als eine Stunde.

ÜBERNACHTEN

Ein altes Hotel mit rückseitigem Blick auf das Wasser ist das Hotel des Balances am historischen Weinmarkt. Das Doppelzimmer im Vier-Sterne-Haus kostet ab 160 Euro, mehr Infos gibt es unter balances.ch

MUSEUM
Die Sammlung Rosengart ist im ehemaligen Gebäude der Schweizerischen Nationalbank untergebracht (Pilatusstraße 10), fünf Minuten Fußweg vom Hauptbahnhof entfernt. Im Winterhalbjahr öffnet das Museum täglich von 11 bis 17 Uhr. Der Eintritt kostet 18 Franken, das entspricht etwa 17 Euro. Mehr unter rosengart.ch.

KULTUR
Neben der Sammlung gibt es noch andere sehenswerte Museen: das Kunstmuseum Luzern, ein Neubau des renommierten Architekten Jean Nouvel, oder das Bourbaki-Panorama, ein 360 Grad-Rundbild aus dem 19. Jahrhundert, das eine Szene aus dem Deutsch-Französischen Krieg zeigt. Alle Infos unter luzern.com.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false