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Noomi Rapace

© pa/Geisler-Fotopress

Schauspielerin Noomi Rapace: „Ich zeige stolz meine Narben“

Noomi Rapace war das Filmgesicht von Stieg Larssons Lisbeth Salander Für jede Rolle gibt sie alles: Sie hungert, wird asozial – und von Hunden gebissen. Nun kommt sie mit dem Thriller "The Drop - Bargeld" ins Kino.

Frau Rapace, vor sieben Jahren waren Sie zum ersten Mal beim Filmfestival von San Sebastián. Damals sprachen Sie kaum ein Wort Englisch, und kaum jemand nahm Notiz von Ihnen. Nun sind Sie mit dem Thriller „The Drop“ erneut hier, Ihr Englisch klingt nahezu perfekt, und alle reißen sich um Sie. Ihr Leben hat sich ganz schön verändert.

Stimmt. Meine ersten internationalen Pressekonferenzen waren wirklich peinlich: Ich verstand keine einzige Frage und fühlte mich wie ein zurückgebliebener Affe. Inzwischen träume ich sogar auf Englisch. Vor allem aber hat sich mein Leben verändert, weil ich seit dem Erfolg der „Millennium“-Trilogie Filmangebote aus aller Welt bekomme. So bin ich jetzt mal eine Weile in Los Angeles, mal in New York, Prag oder Paris. In meine schwedische Heimat komme ich nur noch ab und zu für zwei, drei Tage.

Wo haben Sie Ihr Basislager aufgeschlagen?

In London. Aber ich besitze dort kein Haus – die meisten meiner Sachen habe ich irgendwo eingelagert. Ich ziehe umher. Allerdings war ich schon immer eine rastlose Seele. Als ich ein Kind war, musste man mich ständig mit neuen Dingen bespaßen: „Ich bin fertig! Können wir was anderes machen?“ In dieser Hinsicht ist eigentlich alles noch wie früher.

Sind Sie ein anderer Mensch als vor sieben Jahren?

Ich hoffe nicht. Vor Kurzem habe ich tatsächlich meine alten Freunde in Stockholm gefragt, ob ich in Gefahr wäre, mich in eine Diva zu verwandeln. Sie sagten ganz entschieden: „Nein!“ Das liegt vielleicht daran, dass man mich mit Geld oder Ruhm nicht verführen kann. Ich habe noch nie eine Rolle wegen der Gage oder der Aussicht auf Erfolg angenommen. Und ich finde, Eitelkeit ist der Todfeind der Schauspielerei. Wer darauf bedacht ist, vor der Kamera möglichst gut auszusehen, hat schon verloren.

Immerhin sieht man Sie seit einiger Zeit auch in extravaganten Outfits auf dem roten Teppich.

Ich interessiere mich für Mode, und ich spiele das Teppich-Spiel gern mit, doch im Prinzip hat diese Facette meines Berufs überhaupt keine Bedeutung für mich. Wenn man sich wie ich richtig in die Arbeit stürzt, ist das alles andere als glamourös, sondern ein echter Knochenjob. Am Ende der Dreharbeiten ist mein Körper regelmäßig mit Blessuren übersät. Manchmal zeige ich stolz meine Narben: „Die hier ist von ,Dead Man Down’, die da habe ich von ,Child 44’, und die sind alle von ,Verblendung’!“

Haben Sie außer den Narben noch andere Erinnerungsstücke von Ihren Dreharbeiten behalten?

Nein. Ich bin völlig unsentimental und blicke nie zurück, sondern habe stets den Drang, Dinge abzuschließen und zu neuen Ufern aufzubrechen. Sogar meine Auszeichnungen will ich so schnell wie möglich wieder loswerden: „Danke, ich bin sehr gerührt, aber kann mir das Ding jetzt bitte mal jemand abnehmen?“ Zufriedenheit halte ich in meinem Beruf für äußerst gefährlich. Darum möchte ich mich unter keinen Umständen auf irgendwelchen Erfolgen ausruhen. Wobei ich selbst meine Erfolge sowieso nicht wahrnehme: Ich bin extrem selbstkritisch und sehe immer nur die Dinge, die ich hätte besser machen können.

Es fällt auf, dass Sie sich für Ihre Rollen oft sehr stark körperlich verwandeln. Hilft Ihnen das dabei, in die Psyche der jeweiligen Figur einzutauchen?

Ja, sicher. Aber meine Vorbereitung ändert sich von Film zu Film. Manchmal geht es bloß darum, sich gewisse Fähigkeiten anzueignen, zum Beispiel Motorradfahren, Reiten oder Schießen. Für „Prometheus“ habe ich wochenlang hart trainiert, um fokussiert und bereit für jede Herausforderung zu sein. Bei „Alive Alone“ hatte ich hingegen das Gefühl, besonders verletzlich sein zu müssen: Da sollte ich eine drogensüchtige Hure spielen. Dafür habe ich mich auf ein Minimalgewicht heruntergehungert und viel Zeit mit Prostituierten und Drogenabhängigen verbracht, um wirklich zu fühlen, wie sie leben. Ich wollte so tief wie möglich in menschliche Abgründe hinabsteigen und mich sechs Wochen lang aus der realen Welt ausklinken. Leider ist dieses Filmprojekt kurz vor Drehbeginn geplatzt.

In „The Drop“ spielen Sie eine seelisch verwundete Frau, die ihrem Nachbarn hilft, einen Hundewelpen gesund zu pflegen. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

"Ich möchte so wenig wie möglich vortäuschen"

Noomi Rapace
Noomi Rapace

© pa/Geisler-Fotopress

Unter anderem habe ich in einem Tierheim gearbeitet. Die Leute dort hatten offenbar eine wichtigtuerische Hollywood-Diva erwartet, die bloß blöd rumsteht und nervt – sie waren ganz verblüfft, als ich auf dem Boden herumrobbte, Pisse aufwischte, Hundekacke entsorgte und wilde Hunde wusch, die mich zur Belohnung fleißig kratzten und bissen.

Das heißt, Sie verbeißen sich völlig in Ihre Rollen?

Diesen Teil meines Jobs liebe ich am meisten. Ich möchte so wenig wie möglich vortäuschen. Also versuche ich, viele verschiedene Informationen so zu verknüpfen, dass ich die Welt, in der meine Filmfigur lebt, umfassend begreife. Wenn ich genügend weiß, verschmelze ich mit der Figur. Ich schätze, ich bin eine Art Chamäleon. Bereits in meiner Kindheit hatte ich permanent das Bedürfnis, mich zu verwandeln.

Haben Sie sich schon damals gern verkleidet?

Ich war kein Klassenclown. Aber ich erinnere mich noch genau, dass ich nie das Gefühl hatte, irgendwo dazuzugehören, und dass ich mich ständig in andere Situationen hineinträumte. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, und es gab kein Geld für irgendwelche Urlaube – doch in meiner Fantasie bin ich sehr weit gereist. Ich habe viele Filme gesehen, bei denen ich dachte: Das könnte ich sein! Als ich beispielsweise „Taxi Driver“ sah, fand ich mich vollständig im Hirn des besessenen Titelhelden wieder. Oft habe ich mich mehr mit männlichen Filmfiguren identifiziert als mit weiblichen.

Ist es nicht riskant, so extrem in Filmfiguren aufzugehen, wie Sie das offenbar tun?

Vielleicht. Während der Dreharbeiten zu dem Psychothriller „Babycall“, in dem ich eine traumatisierte Mutter spiele, wurde ich dauernd von schier unerträglichen Schmerzen geplagt – so schlimm, dass ich oft nicht mehr laufen konnte und mich auf Knien zur Toilette schleppen musste. Die Ärzte, zu denen man mich schickte, konnten nichts finden – kein Wunder, denn alles lief nur in meinem Kopf ab: Nach Drehschluss waren die Schmerzen plötzlich wie weggeblasen. Noch heftiger war es bei der „Millennium“-Trilogie, wo mich die Figur der Lisbeth Salander anderthalb Jahre im Würgegriff hatte: Ich verwandelte mich in ein total asoziales, wütendes Wesen. Als die Produzenten am letzten Drehtag die Champagnerkorken knallen ließen, verschwand ich aufs Klo, wo ich mich 40 Minuten lang übergeben musste. Es war, als hätte ich Lisbeth einfach ausgekotzt.

Das klingt alles nicht sonderlich gesund. Hätten Sie keine Lust, statt der vielen abgründigen Charaktere mal ein paar heitere Figuren zu verkörpern?

Nein. Wenn ich mich schon monatelang mit einer Rolle auseinandersetze, dann muss ich das Gefühl haben, dass sich das auch lohnt. Es würde mich zu Tode langweilen, wenn ich in einer romantischen Komödie das süße Mädchen von nebenan mimen müsste. Die Psyche gebrochener Charaktere zu erforschen, befriedigt mich und gibt mir eine Menge Energie zurück. Wenn ich solchen Figuren Leben einhauchen darf, fühle ich mich wie im Paradies. Wer mich kennt, der weiß, dass ich selbst ein heiterer, gelöster, glücklicher Mensch bin.

Was verbindet Sie dann mit jenen finsteren Figuren?

Sie haben alle mit bestimmten Schwierigkeiten zu kämpfen. Und sie suchen wie ich den Kontakt mit anderen Menschen. Ich hasse es, allein zu sein. Ständig verspüre ich den Wunsch, aus meiner Schutzhülle auszubrechen und eine Verbindung mit anderen einzugehen. Auch die Filmfiguren, zu denen ich mich hingezogen fühle, sind in irgendetwas gefangen und wollen raus. So ist das Leben. So bin ich. Das ist Noomi!

Wenn Sie so eine rastlose Seele sind, wie Sie sagen, dann müsste es Sie eigentlich auch langweilen, immer wieder mit denselben Leuten zu drehen. Doch Sie haben im Laufe Ihrer Karriere mit zahlreichen Menschen mehrmals zusammengearbeitet.

Nun, mir fallen durchaus einige Leute ein, mit denen ich am liebsten nie wieder etwas zu tun haben möchte! Aber manchmal gibt es eben Begegnungen, bei denen ich sofort das Gefühl habe: Hier kann ich mich fallen lassen, hier werde ich aufgefangen. Schon als kleines Mädchen ging es mir so – wenn ich jemanden mochte und eine Verbindung spürte, dachte ich: Mit dir gehe ich überall hin. In meinem Beruf finde ich das besonders wichtig, denn die Arbeit ist für mich stets etwas sehr Persönliches. Damit ich mich vor der Kamera vollständig öffnen kann, muss ich meinen Partnern am Set bedingungslos vertrauen können. Tom Hardy, mit dem ich „The Drop“ und „Child 44“ gedreht habe, ist hierfür ein Paradebeispiel.

Inwiefern?

Abgesehen davon, dass er ein unglaublich guter Schauspieler ist und ich mit ihm sehr viel lachen kann, fühle ich mich an seiner Seite sicher. Mit ihm kann ich mich in eine Szene stürzen, ohne zu wissen, wie es enden wird. Ich kann mein Schutzschild weglegen und denken: Lass es uns einfach ausprobieren. Mag sein, dass es total beschissen wird, macht nichts – wir bauen uns wieder auf. Nur so kann man im Zusammenspiel eine Form von Ehrlichkeit erreichen, die sich nicht planen lässt. Nur so kann man Grenzen überschreiten und möglicherweise etwas Magisches kreieren.

"Manchmal spüre ich diese Aggressivität immer noch in mir"

Noomi Rapace
Noomi Rapace

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„The Drop“ ist auch der letzte Film mit dem „Sopranos“-Star James Gandolfini, der im Juni 2013 an einem Herzinfarkt starb. Wie haben Sie ihn am Set erlebt?

Als zauberhaften Kollegen: sehr authentisch, sehr herzlich, sehr lustig. Und als Darsteller-Giganten. Ich habe jede Gelegenheit genutzt, ihm heimlich bei der Arbeit zuzusehen – das fand ich faszinierender als jeden Schauspielkurs. Dass dieser Kerl trotzdem so bescheiden und bodenständig geblieben war und jedem Teammitglied mit großem Respekt begegnete, hat mich tief berührt. Viele meiner Kollegen haben sich leider durch die Dummheit und Arroganz infizieren lassen, die in unserer Branche grassiert. James war offenbar immun dagegen. Das hatte fast schon etwas Skandinavisches.

Wie meinen Sie das?

Wir Skandinavier sind ähnlich bodenständig. Und wir arbeiten auch härter als andere. Man darf nicht vergessen, dass es bei uns im Norden sechs Monate im Jahr bitterkalt, dunkel und einsam ist. Da kann man nicht einfach wie im Süden draußen vor dem Haus abhängen – da wird man geradezu gezwungen, kreativ zu werden.

Erklären Sie sich so den Erfolg des skandinavischen Kinos in jüngster Zeit?

Das ist doch immerhin eine coole Theorie, oder? Jedenfalls habe ich festgestellt, dass die Skandinavier, die in Hollywood Karriere gemacht haben, allesamt nicht abgehoben sind. Ich denke zum Beispiel an meinen Landsmann Daniel Espinosa, der jetzt aufwendige Projekte wie „Child 44“ stemmt, oder an die norwegischen „Kon-Tiki“-Regisseure Joachim Rønning und Espen Sandberg, die demnächst das neue „Fluch der Karibik“-Spektakel inszenieren: Sie machen nicht auf dicke Hose, sondern einfach wie bisher ihren Job. Mittlerweile gibt es in Los Angeles eine richtige kleine Skandinavier-Clique. So oft es geht, schaue ich dort vorbei, denn mit denen ist es immer sehr lustig.

Gibt es etwas, das Sie auf Ihren Reisen immer begleitet? Eine Art Talisman?

Bis jetzt nicht. Aber ich habe beschlossen, das ab sofort zu ändern. Denn mein elfjähriger Sohn hat mir vor zwei Tagen ein selbst gebasteltes Kissen geschenkt. Mir kommt es fast so vor, als hätte ich auf dieses Kissen gewartet. Denn bis jetzt fühlte ich mich unterwegs häufig ein bisschen verloren.

Reist Ihr Sohn nicht mit Ihnen?

Nicht immer. Bei besonders heftigen Dreharbeiten kann er mich nicht begleiten. Doch so oft wie möglich ist er an meiner Seite. Manchmal freue ich mich schon, wenn er mit mir ins Kino geht: Dann kann er bei gruseligen Szenen meine Hand halten und mir sagen, wann ich wieder auf die Leinwand schauen soll. Ich bin auch froh, dass ich eine meiner besten Freundinnen dazu überreden konnte, mich als Stylistin auf diversen Touren zu begleiten. Sie ist eigentlich gar keine Stylistin, hat aber einen großartigen Geschmack. Jahrelang hatte ich mich dem Irrglauben hingegeben, ich bräuchte niemanden um mich herum. Und dann ertappte ich mich plötzlich dabei, wie ich traurig herumsaß und jammerte: „Allein sein ist doof!“

Sie haben mit berühmten Regisseuren wie Ridley Scott, Brian De Palma oder Guy Ritchie gearbeitet. Von wem haben Sie am meisten gelernt?

Von jedem etwas anderes. Ich glaube, dass sich das alles erst langsam in mir zusammenfügt. Mein alter Freund Daniel Espinosa, der mich schon sehr lange kennt, sagte neulich, nachdem er im Schnittraum unser „Child 44“-Material gesichtet hatte: „Noomi, du irrst dich, wenn du glaubst, dass Lisbeth Salander die Rolle deines Lebens war. Du stehst erst jetzt im Zenit deiner Kunst und wirst in den kommenden fünf Jahren deine besten Filme drehen.“

Hat er auch gesagt, warum?

Weil ich früher noch krampfhaft darauf bedacht war, mich zu schützen. Das stimmt: Anfangs war ich eine ängstliche, todernste Akteurin. Lachen kam überhaupt nicht infrage. Als ich einst in August Strindbergs Drama „Der Vater“ auf der Bühne stand, konnte ich nicht einmal nach den Vorstellungen loslassen: Während die Kollegen sich in der Kneipe amüsierten, hockte ich jeden Abend zwei Stunden heulend auf dem Klo. Bis vor wenigen Jahren war ich auch am Filmset ständig in meiner Rolle gefangen. Wenn ich einsam in meiner Ecke saß und mich jemand schräg von der Seite anquatschte, konnte ich durchaus mal explodieren.

Und heute?

Manchmal spüre ich diese Aggressivität immer noch in mir. Aber ich bin inzwischen viel gelassener geworden. Und ich habe gelernt, zu gegebener Zeit umzuschalten. Von meiner Kollegin Pernilla August habe ich erfahren, dass Ingmar Bergman am Set stets für eine extrem heitere Atmosphäre sorgte. Er drehte zwar düstere Psycho-Dramen, doch wenn die Kamera ausgeschaltet war, wurde viel gelacht. Das habe ich mir zum Vorbild genommen: Auch ich habe endlich erkannt, dass man ernsthafte Kunst betreiben und dabei trotzdem eine Menge Spaß haben kann!

Interview: Marco Schmidt

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