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Im beschaulichen Ankershagen erinnert ein Nachbau des mythischen Pferdes an den berühmtesten Sohn des Dorfes.

© Bernt Hoffmann

Schliemann-Museum in Ankershagen: Ein Pferd auf der Flur: Ausflug in Homers Mythenwelt

Troja liegt in Ankershagen nahe der Müritz. So kommt es jedenfalls Wanderern vor, wenn sie Heinrich Schliemanns Heimat entdecken.

Von Andreas Austilat

Was ihren Schmuck angeht, ist Sybille Galka ein wenig speziell. Die Ringe an der linken Hand zum Beispiel, ganz ähnliche flochten sich einst Trojas Frauen in die Haare. Also bat sie einen Goldschmied, ihr auch solche zu machen. Und während man noch auf die spiralförmigen Ornamente starrt, zieht sie einen Anhänger aus dem Ausschnitt: „Die Maske des Agamemnon, Sie wissen doch, der König von Mykene.“ Sybille Galka trägt nur Schmuck nach altgriechischen Vorlagen.

Das klingt nach einem echten Spleen.

Vielleicht ist ihre Leidenschaft aber auch vollkommen normal, wenn man wie sie vor 66 Jahren in Ankershagen geboren wurde und heute jeden Tag an einem Trojanischen Pferd vorbeikommt – fünf Meter hoch, aus Holz gezimmert.

Der kleine Heinrich glaubte an die Troja-Geschichte

Im antiken Vorbild schmuggelten sich vor 3300 Jahren griechische Krieger in die Stadt der Trojaner. Eine sagenhafte List, um die Entführung der schönen Helena zu rächen. Immer noch graben die Archäologen im türkischen Hissarlik nahe der Dardanellen nach Zeugnissen des mythischen Epos. In diesem Sommer eröffnen sie dort mit großem Tamtam ein neues Museum. Doch Hissarlik ist weit, Ankershagen liegt am Rand des Müritz-Nationalparks nur 120 Kilometer nördlich von Berlin, und dieses Holzpferd steht gleich neben dem alten Pfarrhaus.

Hier wuchs er vor beinahe 200 Jahren auf: Heinrich Schliemann, Pfarrerssohn, später reicher Kaufmann und Selfmade-Archäologe. In diesem roten Backsteinbau mit dem freigelegten Fachwerk hat der kleine Heinrich zum ersten Mal von Achill gehört, von Paris und Hektor und wie die Helden alle hießen. Und während die meisten das für eine Erfindung Homers hielten, war er überzeugt, da ist etwas dran, die Geschichte würde ihn zu den Schätzen Trojas und Mykenes führen .

„Das ist ein Erbe, das müssen wir pflegen“, sagt Sybille Galka. Mag sein, doch Schliemann, 1822 geboren, war acht, als er das mecklenburgische Dorf verließ und beinahe 50, als er Troja entdeckte.

Das Diadem ist nur eine Kopie

Frau Galka führt ins Pfarrhaus, wo sie selbst einst auf den Konfirmandenunterricht vorbereitet wurde. Die Schulbänke sind längst verschwunden, das Gebäude ist seit 1980 Museum. In der Raummitte steht eine gläserne Vitrine, darin schimmert ein Diadem. Der Schatz des Priamos, König von Troja!

Ein legendäres Stück. Bis zum Zweiten Weltkrieg lag das Geschmeide und mit ihm der gesamte Schatz im alten Berliner Völkerkundemuseum. Um die Kostbarkeiten vor den Bomben zu schützen, brachte man sie in den Zoobunker. Dort verlor sich 1945 ihre Spur. Bis der Schatz in Moskau auftauchte, inzwischen wird er im Puschkin-Museum ausgestellt. Die Russen betrachten die Beute als Teil der legitimen Entschädigung für die im Weltkrieg erlittenen Opfer.

Und deshalb ist dieses Diadem hier nur eine Kopie. Allerdings eine sehr schöne, vielleicht sogar ein bisschen schöner als jenes Duplikat, das im Berliner Neuen Museum gezeigt wird, wie Frau Galka ein wenig trotzig hinzufügt. Natürlich kennt sie das Moskauer Original.

Woher hatte Schliemann seinen Traum?

Das filigrane Stück aus lauter einzelnen Goldplättchen ist das Werk eines Erfurter Goldschmiedes, der auch Sybille Galkas Ringe gefertigt hat. Ein paar Meter weiter liegt die goldene Totenmaske des Agamemnon, auch er ein trojanischer Held, und eigentlich muss man nach Athen, will man das Original bewundern. Für die Kopie reicht die Reise ins Mecklenburgische.

Vor allem aber ist das hier ein Schliemann-Museum, seine fantastische Geschichte wird erzählt. Wie er das Gymnasium verlassen musste, weil der Vater kein Geld mehr hatte. Wie er in die Welt segelte und vor Holland Schiffbruch erlitt. Wie er in Russland mit 25 Jahren ein unfassbar reicher Kaufmann wurde, in Amerika unter kalifornischen Goldgräbern eine Bank gründete und noch reicher wurde. Wie er endlich das Geld hatte, sich seinen wahren Traum zu erfüllen.

„Und woher hatte er diesen Traum?“, fragt Sybille Galka und zeigt auf eine Inschrift an der Wand: „Hacke und Schaufel für die späteren Ausgrabungen, sie wurden hier geschmiedet“, zitiert sie. Der Satz ist von ihm und natürlich unter Fachleuten umstritten, wie so vieles, was Schliemann gesagt und getan haben soll. Aber sie glaubt an einen wahren Kern, es passe einfach alles zu gut zusammen.

Ein Troja-Schild lockt Radfahrer in den Hof

Aus Schliemanns altem Kinderzimmerfenster im Obergeschoss blickt man in den weitläufigen Garten des Pfarrhauses. Wenn man also hier groß wird, zwischen mecklenburgischen Sagen von bösen Raubrittern, gespenstischen Jungfrauen und verborgenen Schätzen – Sybille Galka kennt sie alle –, dann sei doch der Schritt zu Homers Mythenwelt nicht mehr so groß, behauptet sie.

Auch Frau Galka hat das Abitur nicht machen dürfen, auch sie hat in Berufen gearbeitet, die sie nicht erfüllten, beim Kraftverkehr in Waren und für die Krankenkasse in Schwedt. Auch sie ist ihren Weg gegangen. Jenseits der 50 war sie, als sie an der Humboldt-Universität ein Studium der Geschichte aufnahm.

Heute ist sie Schatzmeisterin der internationalen Schliemann-Gesellschaft, die sich einmal im Jahr in Ankershagen trifft. Sie kennt die meisten Archäologen, die in den vergangenen 30 Jahren in Troja gegraben haben oder noch graben. Natürlich war sie dort und ebenso in Mykene.

Für die Zeit zwischen den Reisen auf Schliemanns Spuren hat sie hier ihr Refugium. Jedenfalls komme es vor, dass Radfahrer vom Radweg Berlin-Kopenhagen, der durch Ankershagen führt, zu ihrem Hof abbiegen, wenn sie das gelb-schwarze Ortsschild leuchten sehen: „Troja – Stadt und Land des Königs Priamos“. Im Garten steht eine Kopie der kopflosen Nike von Samothrake, im Wohnzimmer hängt natürlich ein Bild von Heinrich Schliemann, gleich hinter den Figuren von Apoll und Zeus.

Noch mehr Geheimnisse entdecken

Ob sie nicht mitkommen will, auf den Heinrich-Schliemann-Rundweg, der acht Kilometer lang vom Pfarrhaus wegführt? Vorbei an einer Burgruine, an Hügelgräbern und in die Einsamkeit der Wälder am Rand der Müritz. Vielleicht sind dort noch mehr Geheimnisse aus dem Leben Schliemanns zu entdecken.

Nein, sagt sie, sie sei nicht gut zu Fuß.

So sind Wanderer also auf sich allein angewiesen. Aber das macht nichts, im Pfarrhaus gibt es eine Karte, und der Weg ist mit den schwarzen Buchstaben „HS“ auf weißem Grund beschildert. Folgt man den Markierungstäfelchen, die ein goldenes Reh zeigen, sind es sogar nur fünfeinhalb Kilometer. Und noch ein Tipp: Schöner läuft man, wenn man zunächst die Richtung zum Gut Friedrichsfelde einschlägt.

Der dortige Park erinnert eher an eine Art botanische Lehrsammlung – wirklich jeder Baum, von der Walnuss bis zum Kentucky-Kaffeebaum, hat ein eigenes Namensschild, und alle zusammen ergeben kein gestaltetes Bild. Geht man jedoch außen um den eingezäunten Park herum, gelangt man an einem Feld entlang schnell in den schönen Nationalpark.

Der Weg verläuft erst durch alten Nadelwald, der bald durch Buchen und Birken aufgelockert wird, erreicht schließlich den Mühlensee. Am Ufer entlang führt eine hölzerne Brücke über den Mühlenbach und schließlich, am Ende des Sees, liegt es vor einem, ein weiteres Must-see für jeden Berliner.

Dort nämlich entspringt aus einer Art kreisrundem Taufbecken die Havel und verschwindet als Bach im Wald. 334 Kilometer braucht sie, durch Berlin und Brandenburg hindurch, bis sie schließlich hinter Havelberg in die Elbe mündet. Wer hier ein Holzfloß zu Wasser lässt, mag sich beim Picknick ausmalen, welche Odyssee vor seinem Schiffchen liegt.

Das Gold-Diadem aus dem sagenumwobenen "Schatz des Priamos" kann im Moskauer Puschkin-Museum bestaunt werden.
Das Gold-Diadem aus dem sagenumwobenen "Schatz des Priamos" kann im Moskauer Puschkin-Museum bestaunt werden.

© picture alliance

Reisetipps für Ankershagen

Hinkommen

Mit dem Auto auf der B 96 an Oranienburg vorbei, rund 130 Kilometer. Mit dem Zug nimmt man das Rad mit, der RE 5 braucht anderthalb Stunden bis Kratzeburg, von dort zehn Kilometer auf dem Radweg Berlin-Kopenhagen. Museum in Ankershagen: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr.

Unterkommen

Die Büdnerei Lehsten (zwölf Kilometer bis Ankershagen) ist ein altes Backsteinensemble mit Dorfcharakter und großem Garten. Zimmer ab 33 Euro, Apartment mit Küche um 100 Euro, Gästehaus für Gruppen. Im Sommer Veranstaltungen vom Flohmarkt bis zum Konzert. (buednerei-lehsten.de)

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