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Der Flugplatz Schönhagen, etwa eine Stunde von Berlin entfernt, ist beliebt bei Geschäftsleuten.

© Toni Passig

Sicherheitslücken an Flugplätzen: Reiche werden nicht kontrolliert

Wer mit dem Privatjet einreist, muss weder sein Gepäck prüfen noch seine Daten registrieren lassen. Eine Praxis, die zu erheblichen Sicherheitslücken an europäischen Flugplätzen führt.

Das Schwarzgeld überbrachte der Chef gern persönlich. Mehrmals pro Jahr steuerte er dafür mit seinem Privatjet den kleinen Flugplatz von Cascais an, einem Vorort an der Küste bei Lissabon. Sein Mitarbeiter übernahm die wertvolle Fracht dann gleich am Flugfeld, um sie später auf die Konten der Organisation bei verschiedenen Banken einzuzahlen.

Auf diesem Weg soll der Brasilianer Edir Macedo, Gründer und „Bischof“ der Sekte „Universalkirche des Gottesreiches“, über Jahre bis zu fünf Millionen Dollar jährlich von Angola nach Europa geschafft haben, um damit seine europäischen Unternehmungen zu finanzieren. Das berichtete im März 2018 sein früherer Statthalter in Europa.

Macedo, 73, predigt eine „Theologie des Wohlstands“, wonach Reichtum Ausdruck eines gottgefälligen Lebens sei. Dafür kassiert seine „Universalkirche“ von mehr als sechs Millionen Anhängern hohe Tribute, das machte ihn zum Milliardär. Seine Organisation steht seit Jahren im Verdacht, illegale Geldgeschäfte zu betreiben. Macedos Anwälte bestreiten das, aber sowohl in Brasilien als auch in Portugal ermitteln die Behörden.

Für die Reisen des selbst ernannten Bischofs nach Europa war das kein Problem. Am Flughafen Cascais sind keine Grenzpolizisten stationiert. Passagiere, die mit dem eigenen Flieger kommen, können in der Regel unkontrolliert einreisen.

Auch in Deutschland sind fehlende Kontrollen gängige Praxis

Keine Kontrollen? Einreisen ohne Prüfung des Gepäcks, Datenabgleich mit den Fahndungslisten und Eintrag ins Fluggastdatenregister? Das scheint in Zeiten der EU-weit geschürten Angst vor Terroristen, Mafiosi und illegalen Migranten bestenfalls ein Versehen.

Doch genau das ist in zahlreichen weiteren EU-Ländern gängige Praxis, auch in Deutschland. Für die gut betuchten Nutzer von privaten Flugzeugen, das ergeben Recherchen von „Investigate Europe“, gilt europaweit ein Sonderrecht: Nicht nur können sie mit ihren Business-Jets, Hubschraubern und Sportflugzeugen hunderte kleinere Flughäfen ansteuern, wo sie nur oberflächlich oder gar nicht kontrolliert werden. Zugleich werden auch – anders als bei gewöhnlichen Flugpassagieren – ihre persönlichen Daten nicht in den Datenbanken gespeichert, mit denen die EU-Staaten die Reisen aller übrigen Bürger überwachen.

Dieser laxe Umgang mit den Privatfliegern sei „grob fahrlässig“ und berge „ein Sicherheitsrisiko“, warnt Arndt Krummen, Fachmann der für die Grenzsicherung zuständigen Bundespolizei bei der Gewerkschaft der Polizei.

Wie anfällig diese Praxis für kriminellen Missbrauch ist, belegt etwa der Drogen-Lieferdienst von vier Franzosen, der als „Air Cocaine“ Schlagzeilen machte. Sie brachten ihre Ware mit einem Jet vom Typ Dassault Falcon regelmäßig nach Frankreich und Belgien. Verhaftet wurden sie im März 2013 aber nicht etwa an ihrem Ziel, dem Flugplatz von St. Tropez, wo sie erwarten konnten, unkontrolliert zu passieren. Vielmehr gingen sie vor dem Start in Punta Cana der Polizei der Dominikanischen Republik ins Netz.

"Der private Flugverkehr ist die Achillesferse der inneren Sicherheit"

„Der private Flugverkehr ist die Achillesferse der inneren Sicherheit“, mahnt David Weinberger, Experte des staatlichen Instituts für Sicherheitsstudien in Frankreich. Das Privileg für die Reichen, so erklärt Weinberger, habe allerdings „eine politische Seite: Leute mit Privatjets haben in der Regel gute Verbindungen zur Regierung. Kein lokaler Polizeichef würde seine Karriere riskieren, um sich mit denen anzulegen.“

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Tatsächlich genießen die Privatflieger einen besonderen politischen Schutz. Das erfuhren auch Abgeordnete des Europaparlaments, als sie vor zwei Jahren über die Einführung des EU-weiten Fluggastdatenregisters verhandelten. Die zugehörige Richtlinie (Passenger Names Record, PNR), schreibt vor, dass alle Fluggesellschaften die Daten ihrer Passagiere auf internationalen Flügen bei der Buchung und dann noch einmal nach dem Einstieg an Polizeibehörden übermitteln müssen. Erfasst werden nicht nur Reiseroute, sondern auch Meldeadresse, Zahlungsweise und mitgeführte Gepäckstücke.

Wegen der massenhaften Speicherung persönlicher Daten war das Projekt lange Zeit umstritten. Es berge „ernste Probleme für Datenschutz und Transparenz“ und sei „ein Schritt in die Überwachungsgesellschaft“, warnte der EU-Datenschutzbeauftragte Giovanni Buttarelli im September 2015. Der Justizausschuss des Parlaments lehnte darum das ganze Projekt zunächst ab.

Stimmung drehte nach Terroranschlägen in Paris

Nach den Terroranschlägen in Paris drehte sich die Stimmung. Der damalige französische Innenminister Bernard Cazeneuve geißelte die Kritiker als „unverantwortlich“, weil sie verhindern würden, „dass wir Europa vor dem Terrorrisiko schützen“. Und die Parlamentarier gaben nach.

Der Gesetzestext enthielt jedoch eine erstaunliche Lücke: Nur die regulären Fluggesellschaften wurden zur Übermittlung von Daten verpflichtet. Die Passagiere von Privatfliegern und Miet-Jets für Geschäftsleute waren ausdrücklich nicht erfasst. „Es ist notwendig, die Passagierdaten aller Flugzeugbetreiber zu sammeln, um die Existenz von ausnutzbaren Lücken zu vermeiden“, forderte daraufhin der Auswärtige Ausschuss.

Auch die sozialistische Abgeordnete Ana Gomes aus Portugal machte die Ausnahme misstrauisch. Darum verfasste sie gemeinsam mit Kollegen aller Fraktionen einen Änderungsantrag, um die Lücke zu schließen. Dieser fand auch Eingang in den Beschluss, den das Parlament an den Ministerrat und die EU-Kommission schickte.

Ausnahmen für Flugzeuge mit bis zu 19 Passagieren

Doch dann geschah etwas Merkwürdiges: Der zuständige Kommissar Dimitris Avramopoulos pries das PNR-Register zwar als „Schlüsselelement, um reisende Terroristen zu identifizieren und kriminelle Netzwerke aufzuspüren“. Doch den Antrag des Parlaments wies er zurück. Auch die Regierungen der Mitgliedsländer mochten „keine Gefahren mit den privaten Jets erkennen“, berichtet ein beteiligter Beamter.

Stattdessen machten sie „technische Probleme“ für die Geschäftsflieger geltend. Genauso hatte zuvor die „European Business Aviation Association“ argumentiert. Ihre Mitglieder seien „kleine Betriebe, die keine elektronischen Buchungssysteme haben, mit denen die Datenübermittlung durchzuführen wäre“, erklärten die Lobbyisten. Darum seien „kleine Flugzeuge mit bis zu 19 Passagieren“ auszunehmen, forderten sie.

Genauso kam es. Die Parlamentarier fügten sich, und die Lücke blieb. Privatflieger genießen seither speziellen Datenschutz. Das zeigt nach Meinung der EU-Abgeordneten Ana Gomes, „dass die Regierungen es nicht ernst meinen, wenn sie behaupten, sie machen ein Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus und dann bauen sie ein solches Schlupfloch ein“.

Der Blick auf den Flughafen aus der Zentrale.
Der Blick auf den Flughafen aus der Zentrale.

© Toni Passig

Das gilt auch für die Bundesregierung. „Der Privatflugverkehr würde sich nicht in die technische Systematik des EU-PNR-Systems einfügen“, erklärte eine Sprecherin von Innenminister Horst Seehofer auf die Frage, warum das Ministerium dabei mitmachte. Ohnehin werde „das Risiko, dass auf diesem Wege potenzielle Terroristen ins Land gelangen, derzeit als eher gering eingeschätzt“, erläuterte sie zur Begründung.

Diese Einschätzung ist gewagt. Denn die Sicherheitsbehörden haben dafür keine Datengrundlage. „Die kleineren Flugplätze sind eine Grauzone für die Einreise aus dem Ausland“, berichtet ein Bundespolizist, der seit mehr als 20 Jahren in der Grenzkontrolle an Flughäfen arbeitet. Auf diesen sogenannten Verkehrslandeplätzen seien meist keine ausgebildeten Grenzbeamten im Einsatz. Vielmehr seien die Kontrollen an private Sicherheitskräfte „ausgelagert“ worden, „die meistens keine Ahnung haben, wie man gefälschte Dokumente erkennt“. Für „reiche Kriminelle und Terroristen mit genug Geld“ sei es „kein Problem, dort nach Deutschland einzureisen“, warnt er. Aber „weil keine Kontrollen stattfinden“, gebe es auch keine Fälle.

88 Flugplätze sind in Deutschland als Grenzübergänge zugelassen

Der Flugplatz Schönhagen, etwa eine Stunde von Berlin entfernt, ist beliebt bei Geschäftsleuten.
Der Flugplatz Schönhagen, etwa eine Stunde von Berlin entfernt, ist beliebt bei Geschäftsleuten.

© Toni Passig

Das klingt abenteuerlich – und ist doch wahr. Derzeit sind in Deutschland 88 kleinere Flugplätze als Grenzübergangsstellen zugelassen. Dort reisten allein im Jahr 2017 mehr als 11 000 Passagiere aus Ländern ein, die nicht zur kontrollfreien Schengenzone der EU gehören.

Trotzdem wurden weder die Dokumente noch das Gepäck der meisten dieser Besucher von Zollbeamten kontrolliert. Stattdessen werden „Hilfspolizeibeamte“ bestellt, „wenn der Einsatz von Polizeivollzugsbeamten unwirtschaftlich wäre und eine Schließung der Grenzübergangsstelle nicht in Betracht kommt“, bestätigt die Bundespolizei.

Dabei handele es sich in der Regel um „Mitglieder der örtlichen Flugleitung“, die allerdings keinen Zugang zu den Fahndungsdatenbanken haben und lediglich einen Blick in die Pässe werfen können. „In Zweifelsfällen“ sei aber „stets Rücksprache mit der Grenzbehörde zu halten“.

So läuft es zum Beispiel in Schönhagen bei Trebbin. Der dortige Flugplatz, eine Autostunde von Berlin entfernt, „ist bei Geschäftsleuten sehr beliebt“, erzählt ein Grenzer, und „für Business Aviation optimal ausgebaut“, wie die Werbung der Flughafengesellschaft verspricht.

Röntgenapparate und Metalldetektoren, wie sie an den großen Flughäfen üblich sind, gibt es hier nicht. Wer das kleine Terminal betritt, steht sofort am Schalter, der aussieht wie der Empfangstresen eines Hotels. Der freundliche Flugleiter ist gleichzeitig auch für die Abfertigung zuständig. Wenn eine Maschine aus einem Land ankommt, in dem das Schengen-Abkommen nicht gilt, ist er es, der die Pässe der Passagiere kontrolliert. Diese Art zu reisen werde vielfach als „Luxus abgestempelt“, erklärt Geschäftsführer Klaus-Jürgen Schwahn. Für viele Manager sei es „aber, vor dem Hintergrund der zunehmenden Globalisierung, die einzige Chance, einen engen Zeitplan an Terminen überall in Europa wahrzunehmen“.

Können das nicht auch reiche Kriminelle oder potenzielle Attentäter ausnutzen, die wie einst die Terrorbande von Osama bin Laden über viel Geld verfügen? Wenn bei einem Passagier etwas mit Pass, Aufenthaltstitel oder Visum unklar sei, „dann darf ihn der Hilfspolizeibeamte nicht einreisen lassen und muss ihn warten lassen, bis die Spezialisten der Bundespolizei eintreffen“, versichert der Flugplatzchef.

Menschenhandel und Schmuggel

Dieses Verfahren sei „lächerlich“, meint dagegen Arndt Krummen von der Gewerkschaft der Polizei. „Was macht denn der Hilfspolizist, wenn er wirklich mal einen polizeilich relevanten Fall hat?“, fragt er. „Eine Vernehmung auf dem Rollfeld? Oder wendet er gar unmittelbare Gewalt an, um die Person festzuhalten?“ Die vermeintlichen Kontrollen seien nicht glaubwürdig, warnt er.

Diesen Eindruck erweckt nicht zuletzt die boomende Branche der Geschäftsflieger selbst, die inzwischen allein in Europa mehr als 3500 Maschinen angemeldet hat. Da wirbt etwa die Firma Jet Aviation ganz offen, dass der Kunde mit der Miete eines „executive private jet“ die üblichen „Sicherheitskontrollen überspringen und sogar direkt auf dem Rollfeld einsteigen kann“. Der Anbieter H-Bird Aviations verspricht, das „Fliegen mit uns“ sei „exklusiv und diskret“ – genau das, was auch Kriminelle brauchen.

Schon 2011 hatte die EU-Polizeibehörde Europol daher gewarnt, dass „der Einsatz von Leichtflugzeugen für den Drogenhandel deutlich gestiegen“ sei „und auch die Zahl der verdächtigen Flüge zwischen den EU-Mitgliedstaaten“ zunehme.

Klaus-Jürgen Schwahn ist Geschäftsführer des Flughafens Schoenhagen.
Klaus-Jürgen Schwahn ist Geschäftsführer des Flughafens Schoenhagen.

© Toni Passig

Diese würden auch genutzt, „um Opfer von Menschenhandel zu schmuggeln und Bargeld zur Geldwäsche zu transportieren“. Der wesentliche Schwachpunkt sei der „Mangel an Überwachung“, hieß es in dem Bericht. Nötig seien daher „koordinierte Operationen für die kleinen Flugplätze“ und „eine Überprüfung der Gesetzgebung“.

Doch auch sieben Jahre später konnte die Behörde keine praktischen Konsequenzen auf ihren Weckruf benennen. Und das, obwohl durch Zufall immer wieder spektakuläre Fälle aufgedeckt werden. Dazu zählt auch der illegale Transport von zahlungskräftigen Flüchtlingen in einem Privatflug von Thessaloniki nach Malmö, der 2015 publik wurde. Die polnische Grenzpolizei hatte den Funkverkehr des Piloten mitgehört, als dieser zum Auftanken den Flugplatz Jasionka ansteuerte. Weil der Pilot auch in Mazedonien zwischengelandet war, schickten die Grenzer ausnahmsweise einen Kontrolltrupp. Ähnliche Menschenschmuggel-Flüge seien dagegen lange unerkannt geblieben, weil die Passagiere als Geschäftsleute getarnt unter dem Kontroll-Radar blieben, berichtete die griechische Zeitung „Kathimerini“.

Innenministerium will "bessere Erkenntnisse" erlangen

Immerhin ist man im deutschen Innenministerium nicht mehr ganz so sicher, ob das Laissez-faire an den Flugplätzen der Reichen nicht doch ein Risiko birgt. Es sei „nicht auszuschließen, dass Kriminelle versuchen, gegebenenfalls weniger umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen auf kleinen Flugplätzen für illegale Zwecke auszunutzen“, gab Seehofers Sprecherin zu. Um „bessere Erkenntnisse zu erlangen“, werde darum „durch das Bundeskriminalamt ein Projekt durchgeführt, welches sich unter anderem mit dem Rauschgiftschmuggel in Kleinflugzeugen befasst“.

Da ist die belgische Regierung schon weiter. Ihr Gesetz schreibt die Erfassung sämtlicher Flugdaten vor. „Spätestens ab Ende 2019 werden wir die Informationen über die Passagiere aller Flüge bekommen“, versichert ein Sprecher des Innenministeriums, „ganz egal, ob sie mit dem Jumbojet oder ihrem Privatflugzeug anreisen.“

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