zum Hauptinhalt
Johannes Vogel, Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde. Im Hintergrund das Skelett eines Allosaurus Foto: Gregor Fischer/dpa

© Gregor Fischer/ picture alliance / dpa

Spinosaurus in Berlin angekommen: „Die Wissenschaft ist der neue Sex!“

Er weiß, warum am Nordbahnhof Tomaten wachsen, und wie man einen T. rex verzollt. Johannes Vogel, Generaldirektor des Naturkundemuseums, machte die Neugier zum Beruf.

Von

Johannes Vogel, 52, ist Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde, Professor für Biodiversität an der Humboldt Universität und stellvertretender Vorsitzender im Bioökonomierat der Bundesregierung. Er ist mit Sarah Darwin verheiratet, der Ururenkelin von Charles Darwin, und hat zwei Söhne mit ihr.

Herr Vogel, Sie sind zwangsläufig zum Experten für Dinosaurier geworden…

Versuchen Sie mal eine Einfuhrgenehmigung für einen T. rex zu bekommen!

Das Prunkstück des Naturkundemuseums. Seit der Eröffnung des Saals im Dezember brauchen Sie Gitter für die Besucherschlangen vor dem Haus.

Bei so einem wertvollen Stück guckt der Zoll schon genau hin. Als Tristans Kopf im Juli in Köln ankam, haben wir zuerst eine Rechnung über mehrere hunderttausend Euro bekommen. Wir mussten in längeren Schreiben darlegen, dass es sich hier nicht um ein kommerzielles Objekt handelt, sondern um Kultur und Wissenschaft.

Am Montag wird die nächste Sensation vorgestellt: ein Spinosaurus.

Als man den vor sechs Jahren fand, wurde er gehypt. Größer als der T. rex sollte er sein. Wir hatten die Spino-Schau schon festgezurrt, lange bevor wir wussten, dass es jemanden gibt, der einen Ausstellungsort für einen T. rex sucht. Ein Glücksfall. Wir sind der erste und wahrscheinlich für lange Zeit einzige Ort, wo man direkte Vergleiche anstellen kann. Die beiden Saurier haben ja auch in „Jurassic Park 3“ miteinander gekämpft.

Tyrannosaurus Rex im Kampf gegen einen Spinosaurus.
Tyrannosaurus Rex im Kampf gegen einen Spinosaurus.

© imago/United Archives

Gibt es eigentlich Fehler in „Jurassic Park“?

Als Experte für das Sexualleben von Farnen in der Neuzeit werde ich mich hier nicht mit Äußerungen zur Biomechanik von Dinosauriern desavouieren.

Schon gut. Woher kommt überhaupt diese Faszination für Dinosaurier?

Dinos sind ja gewaltig, die flößen Ehrfurcht ein. Dadurch, dass sie tot sind, werden sie wieder beherrschbar. Und wir sind zum Beobachten der Natur geboren. Wir haben bestimmte Proportionen, Ideen in unseren Köpfen – die auf etwas Ausgestorbenes zu projizieren, ist spannend.

Heißt das, wir erdenken uns die Dinos selbst?

Wir sehen vom Dinosaurier nur das Skelett und können uns quasi alles dazu vorstellen. Das macht wahrscheinlich den Charme von Spielbergs Filmen aus. Wenn Sie T. rex googeln, finden Sie eine gewaltige Bandbreite – von Leuten, die mit Gummistiefeln Dinosaurierkämpfe imitieren, bis hin zur modernsten 3-D-Grafik. Gerade war in den Nachrichten, dass man davon ausgeht, Dinosaurier hätten wie die Hühner miteinander gebalzt. Das Tolle an der Paläontologie ist ja, dass man so wunderschön seine Fantasie spielen lassen kann.

Ein ganz unwissenschaftlicher Gedanke.

Nein! Wer keine Fantasie hat, kann kein guter Wissenschaftler werden. Man muss sich zuerst Sachen vorstellen. Aufgabe von Wissenschaft ist es zu sehen, ob man sie beweisen kann oder nicht. Die Dinosaurier verbinden Wissenschaft und Forschung mit Spiellust und Kreativität. Ich glaube, das macht Natur sowieso mit dem Menschen.

Der Stadtmensch hat jedoch kaum noch eine Gelegenheit, Natur wahrzunehmen.

70 bis 90 Prozent der Menschen leben heute in Städten und machen dort ihre Naturerfahrungen. Als ich vor vier Jahren aus London kam, wohnten wir hier um die Ecke am Nordbahnhof. Wir schliefen bei offenem Fenster, und mit einem Mal wurde es so laut, dass wir aufgewacht sind. Natürlich hatte ich schon vorher Nachtigallen gehört, aber noch nie so, direkt unter dem Fenster. Ich habe ihre Stimmen mit dem Handy aufgenommen... Moment.

Da ist nur ein Fiepsen zu hören.

Die singen die ganze Nacht über sehr laut. Wenn die Straßenbahnen am Nordbahnhof den Betrieb einstellen, übernehmen die Nachtigallen. Das Tolle an ihnen sind ihre ständig wechselnden Melodien. Übrigens wachsen auch Tomaten in den Straßenritzen der Chausseestraße.

Im Ernst?

Natürlich. Tomaten keimen am besten, wenn sie durch einen Darm gegangen sind. Wenn sie also einmal verdaut wurden. Auf den Galapagos-Inseln erledigen das die Schildkröten, und in Berlin machen das…

Nein!

… die Bürger.

Sie meinen das menschliche Exkrement…?

Mit Sicherheit.

Tomaten als Folge der Partylaune und der Junggesellenabschiede?

Das kann ich mir an dieser versteckten, dunklen Ecke durchaus vorstellen.

"Der Sex der Farne ist ein Resultat vom Klimawandel"

Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin.
Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin.

© Mike Wolff

Die Expertin für diese Früchte ist Ihre Frau, Sarah Darwin, Ururenkelin von Charles Darwin, die auf den Galapagos-Inseln Tomaten erforscht hat.

Jetzt ist sie auch in Berlin und kümmert sich um die Erziehung unserer beiden Söhne.

Es gibt nicht viele Biologen, die es wie Sie geschafft haben, ihre eigenen Gene mit denen von Charles Darwin zu kreuzen.

Naja, heute gibt es über 500 lebende Nachfahren… Sarah und ich, wir haben uns in Großbritannien, wie es sich für Naturwissenschaftler gehört, in der Linnean Society kennengelernt. Ich habe einen Vortrag gehalten, da saß eine sehr attraktive große Frau im Publikum, und ich dachte mir, es gibt ja gleich Tee, da kannst du sie mal ansprechen.

Ein Hoch auf den englischen Tee.

Es wurde schwierig. Als Vortragender war ich gleich von einer Horde älterer Damen umringt, die mir klarmachten, dass wir jetzt zum Abendessen gehen müssen. Ein paar Wochen später habe ich Sarah in einer anderen britischen Institution wiedergetroffen, im Pub. Dort erzählte sie mir von ihrem neuen Vertrag im Natural History Museum.

Sarah Darwin, Ururenkelin von Charles Darwin und Frau des Naturkundemuseumsdirektors Johannes Vogel.
Sarah Darwin, Ururenkelin von Charles Darwin und Frau des Naturkundemuseumsdirektors Johannes Vogel.

© Thilo Rückeis

Sie waren dort Leiter der Abteilung für blütenlose Pflanzen und hatten über das Sexualleben von Farnen promoviert. Was ist das Besondere an denen?

Ist doch ganz einfach. Nehmen wir diese drei Spekulatiuskekse, die ich hier auf dem Tisch verteile. Da gibt es folgende Möglichkeiten: Zwei Kekse, die nicht verwandt sind, haben Sex miteinander, oder zwei Kekse, die Bruder und Schwester sind, haben Sex miteinander, oder man ist nur ein Keks und hat Sex mit sich selbst.

Kann man als Farn im Laufe des Lebens seine sexuelle Orientierung ändern?

Der Farn als solcher eher nicht, aber die Art oder die verschiedenen Populationen durchaus. Ich habe über die letzten zwei, drei Millionen Jahre gearbeitet, in dieser Zeit hat es sieben starke Klimaschwankungen gegeben. Der Sex der Farne ist ein Resultat von Klimawandel. Der hat Auswirkungen auf die genetischen Signale, die sich in ihnen akkumulieren. Am nachhaltigsten ist es, wenn es zwei miteinander machen, die nicht verwandt sind.

Wenn wir Sie so anschauen, fällt auf, dass Ihr Bart an den Spitzen eingerollt ist, als wäre er den Farnen nachempfunden.

Erst war der Schnurrbart und dann die Beschäftigung mit den Farnen. Möglicherweise habe ich die gesehen und dachte, über die musst du arbeiten.

Die Kuratoren der Ausstellung „Bart – zwischen Natur und Rasur“, die gerade im Neuen Museum läuft, halten den Bart „für ein äußerliches Zeichen für persönliche Eigenschaften seines Trägers“.

Ich philosophiere darüber nicht, ich habe seit meinem 16. Lebensjahr Haare im Gesicht und mir die Oberlippe seitdem nur zwei Mal rasiert. Einmal, weil eine Freundin das wollte. Sie hat dann gesagt: Lass' ihn sofort wieder wachsen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Solch ein Oberlippenbart! Da muss doch etwas vorgefallen sein.

Ich habe ein Bild von Salvador Dali gesehen, mir ein Lineal genommen, einen Dreisatz gemacht und mir gesagt: In zwölf Monaten hast du auch so ein Ding. Ich habe einen sehr starken Bartwuchs.

Verrutscht der nachts?

Der verrutscht. Sehen Sie, auf der Rückseite meines Handys kleben hautfreundliche Pflaster. Die kriegt der morgens für drei Minuten. Gerade nach dem Waschen hängt er runter. Dann wird er aufgezwirbelt, festgeklebt, geföhnt und hält den ganzen Tag. Nur Feuchtigkeit ist das Problem. Geräte zur Messung der Luftfeuchtigkeit arbeiten mit Rosshaar, weil Haare expandieren und kontrahieren.

Sie sind ein Barometer!

Genau das will ich nicht sein. Wenn ich durch den Regen laufe, muss ich mir den wieder hochföhnen. Bartwichse würde ihn noch anfälliger machen. Wenn man so ein dickes Ding hat, saugt es richtig Wasser auf und irgendwann macht es „plong“.

Hat dieser Bart einen Namen?

Ich habe mich nie mit der Taxonomie von Schnurrbärten beschäftigt.

Sie sind doch Experte für Bestimmung.

Das muss seine Grenzen haben! Es wird öfter gesagt, es sei eher ein osmanischer, also türkischer Schnurrbart als ein Kaiser-Wilhelm. In England habe ich schon einmal ein Kind schreiend zur Mutter laufen hören: Mama, ein Monster!

Vermissen Sie England? Immerhin haben Sie bis 2012 Ihr gesamtes Berufsleben dort verbracht.

In Deutschland wird Wissenschaft gefeiert, in London Geld. Anfangs hatte ich Sorge, es könnte mit der Integration in Netzwerke schwierig werden. Das war am Ende kein Problem. Wissenschaft hat in Berlin ein sehr ausgeklügeltes System, ist eine große, in sich ruhende Gesellschaft mit einer guten Willkommenskultur.

"Wie schafft es die Menschheit, das 21. Jahrhundert zu überleben"

Johannes Vogel, Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde. Im Hintergrund das Skelett eines Allosaurus Foto: Gregor Fischer/dpa
Johannes Vogel, Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde. Im Hintergrund das Skelett eines Allosaurus Foto: Gregor Fischer/dpa

© Gregor Fischer/ picture alliance / dpa

Lassen Sie sich etwas von der Insel mitbringen?

Es gibt da eine besondere Apfelsorte, Egremont Russet, wie Boskop, die Süße und die Säure sind besser ausgeglichen. Ich habe jetzt in Berlin Bäumchen angepflanzt, es wird noch ein paar Jahre dauern, bis die tragen. Wir besitzen auch einen Garten in England bei meinem Schwiegervater, mit Bohnen, Zucchini, Kartoffeln. Ansonsten sind viele unserer sozialen Kontakte noch in England.

Sie passen mit Ihren Schrullen auch hervorragend dahin. Würden Sie sich als Dandy bezeichnen?

Nein – damit assoziiere ich, dass man eigentlich keinen Sinn im Leben hat. Einfach nur hübsch zu sein, wäre mir zu wenig. Dafür bin ich nicht geschaffen. Da gibt’s besser Aussehende. Ich habe eine Mission – nämlich Gesellschaft, Wissenschaft und Natur zusammenzubringen, so dass wir nachhaltig leben können und der Natur genügend Raum zum Überleben lassen.

Schon mit 13 Jahren sind Sie im heimischen Bielefeld in den Naturwissenschaftlichen Verein eingetreten.

Zunächst hat mir mein Vater beigebracht, wie man Natur beobachtet. Man geht irgendwohin, guckt sich Fährten im Schnee an, im Schlamm. Gewölle. Knochenreste. Dann habe ich mich aber mehr für Pflanzen interessiert. Die haben den entscheidenden Vorteil, dass sie nicht weglaufen. In Thüringen gibt es zum Beispiel ganze Hänge voll mit Frauenschuhorchideen. Schon sehr attraktiv.

Es fällt auf: Sie haben über den Sex der Farne promoviert, die erste Vorlesung am Berliner Naturkundemuseum nach Kriegsende handelte vom Sexualleben der Schmetterlinge, und in Ihrem Tierstimmenarchiv führen Sie gerne die Töne des Kabeljaus beim Sex vor… Gilt in der Wissenschaft auch: „sex sells“?

Ich glaube sogar noch viel mehr: Die Wissenschaft ist der neue Sex. Es gibt nichts Spannenderes, als über Wissenschaft zu reden.

Wie meinen Sie das?

Wie schafft die Menschheit es, das 21. Jahrhundert zu überleben, mit genügend Wasser, Nahrungsmitteln und einigermaßen stabilem Klima? Dafür wird es technische Lösungen brauchen, und auch gesellschaftliche. Ich will Gesellschaft in Wissenschaft einbinden: Sobald die Forscher anfangen nachzudenken, wie sie mit dem Klima umgehen, ob wir die Ozeane düngen wollen, Spiegel in die Atmosphäre packen oder CO2 aus der Atmosphäre raushalten, braucht es Dialog. Naturkundemuseen können Diskussionsräume dafür sein.

Sie haben mal gesagt, Sie würden sich 20 Milliarden Euro für die Erforschung der Biodiversität wünschen. Sollte man das Geld nicht eher zur Rettung der Menschheit einsetzen?

Das ist eigentlich dasselbe. 60 Prozent der Ernährung aller Menschen kommen aus vier Gräsern: Weizen, Mais, Reis und Zuckerrohr. Sie haben gerade einen Keks gegessen, da sind mit Weizen und Zuckerrohr schon zwei davon enthalten. 90 Prozent aller Kalorien, die wir essen, kommen aus 16 Arten. Wir wissen aber, dass es 10 bis 30 Millionen gibt – die kennen wir kaum. Wir haben uns auf diese wenigen Arten kapriziert, um unseren Kalorienbedarf und unsere Kultur zu unterstützen.

Man könnte diese Milliarden für die Geflüchteten einsetzen.

Ich habe gerade wieder von einem Politiker gelesen, der Fluchtgründe aufzählte. Die Umwelt nannte er nicht, das finde ich kurzsichtig. Es gibt unheimlich viele Umweltflüchtlinge, die nämlich nicht genügend Wasser haben, nicht hinreichend Nahrung oder Ackerland, die aus Gebieten mit Naturkatastrophen kommen.

Krieg ist auch ein Fluchtgrund.

Das hängt zusammen. Die Welt sendet ihre Flotten zum Fischfang nach Afrika, weil es da keinen besonders aktiven Schutz der nationalen Gewässer gibt. Das Protein dieser dort gefangenen Fische wird in Europa oft an andere Tiere verfüttert. Das Protein, das früher über die Fische auf den afrikanischen Markt kam und vielen Fischern ein Broterwerb war, ist für ihre kleinen Schaluppen nicht mehr zugänglich.

Der offizielle Fluchtgrund lautet dann Armut.

In Wahrheit gelangt das Fischprotein wegen der schwindenden natürlichen Ressourcen nicht mehr so weit in den Kontinent hinein. Von einer wachsenden Bevölkerung wird immer mehr Buschfleisch verzehrt. So nimmt der Austausch von Krankheitserregern zwischen verschiedenen Tieren in Afrika und den Menschen zu. Das führt zu Ebola.

Herr Vogel – zu jeder lebenslangen Leidenschaft gehört ein Initiationserlebnis. Was war Ihres?

Als ich Kind war, wurde in unserer Nachbarschaft in Bielefeld eine Straße gebaut, und es wurden Einsaaten gemacht. Da waren interessante, exotische Pflanzen drin. Ich hatte alle bestimmt, bis auf eine. Eine Distel. Die sind mit den botanischen Bestimmungsschlüsseln unheimlich schwer auseinander zu halten. Im Naturwissenschaftlichen Verein wies man mir den Weg zur Uni, ich hab’ da angeklopft, und als ich die Distel, die größer war als ich, dem dortigen Experten, einem Herrn Lienenbecker, entgegenstreckte, rief er „Caduus defloratus“ – anstatt „Guten Tag“. Da dachte ich: Das willste auch mal können.

Zur Startseite