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Zwei vom selben Stern. Philipp Reiser (links) und Valentin Hofmann leben in dem Gebäude der Maximilian-Stiftung.

© Hannes Vollmuth

Studentenwohnheime: Minizimmer im Maximilianeum

München, im Zentrum. Ein Schloss an der Isar ist Sitz des Landtags. Was viele nicht wissen:  Es ist ein Wohnheim für Studenten. Ein Hausbesuch.

Ein 200 Mann starker Chor formiert sich auf dem Bauplatz. Es schüttet. Das Zelt, unter dem der bayerische König vor dem Wetter geschützt werden soll, haben sie gerade um zehn Uhr das erste Mal abgedeckt, das zweite Mal um elf Uhr, und nun müssen alle Honoratioren dem Chor bei Regensturm zuhören. An diesem Oktobertag 1857 begehen sie die Grundsteinlegung des Maximilianeums in München. „Auf den Höhen soll es ragen / Edler Bildung sich’rer Hort / Reiche Geistesfrucht zu tragen / Als ein stiller Musenort“, schmettern die Sänger.

150 Jahre später, der prachtvolle Renaissancebau an der Isar sieht mit den großen Fenstern und Torbögen wie ein Schloss aus. Tatsächlich regieren Männer und Frauen hier die Geschicke eines Bundeslandes, der Bayerische Landtag hat sich als Untermieter einquartiert in dem Gebäude, das eigentlich das Zuhause „talentvoller bayerischer Jünglinge“ werden sollte – das war der Wunsch von König Maximilian II. Kostenlos dürften sie im Maximilianeum wohnen, an den Münchner Universitäten studieren und so zu treuen Staatsdienern heranwachsen.

Zwei „talentvolle Jünglinge“ schlendern gerade durch die langen Gänge des dreistöckigen Gebäudes. Die Decken sind fast vier Meter hoch, die alten Holzdielen knarzen. Die Studenten tragen Jeans und Pulli, die Haare kurz und nach hinten gegelt. Sie gehen an dem Gemälde der Völkerschlacht bei Leipzig vorbei, so groß wie eine Tischtennisplatte. Einmal links um die Ecke, und sie stehen im Partyraum der Stiftung, die das Erbe Maximilians verwaltet.

Auf dem Tisch liegt eine offene Packung Zigarettentabak, Krümel sind kreuz und quer verstreut. Ein Feuerzeug, eine angebrochene Flasche Cola. Ein Musenort sieht anders aus. Neben dem durchgesessenen Sofa stehen zwei halb volle Kästen Augustiner-Bier, abgestandener Rauch hängt in der Luft. „Wie in einem ganz normalen Studentenwohnheim“, sagt Philipp Reiser, 20, VWL- und Jura-Student.

Normal? Ist höchstens die Zimmergröße: Die Stipendiaten wohnen auf 15 Quadratmetern. Valentin Hofmann, 20, studiert Slawistik und indogermanische Sprachwissenschaften. In seinem Zimmer steht ein kleines Bett, ein Schreibtisch, ein Schrank und ein Regal, das eigentlich zu klein ist für seine Büchersammlung. An der Wand hängt eine Rubbel-Weltkarte, auf der er die Länder frei kratzt, die er schon besucht hat. Valentin erzählt, dass er demnächst nach Russland will. Für ein Bad ist hier kein Platz. Einige Zimmer haben eines – es ist so groß wie eine Zugtoilette. Valentin duscht lieber im Gemeinschaftsbad.

Ansonsten versüßt die Stiftung ihren Studenten das Leben. Philipp und Valentin müssen nicht putzen, einkaufen oder kochen. Nicht einmal ihre Hemden und Hosen waschen sie selbst – das erledigen Hausangestellte. Sie konzentrieren sich, so wollte es Stifter Maximilian II., voll auf ihr Studium. Und residieren mitten in der Münchner Innenstadt, mietfrei in einem der teuersten Viertel Deutschlands, Tür an Tür mit den Parlamentariern.

Wenn Philipp und Valentin von der Uni nach Hause kommen, gehen sie durch den Seiteneingang, vorbei an der Pforte mit den Sicherheitsbeamten, die Ausweise der Landtagsbesucher kontrollieren. Kommen Gäste, erzählen die beiden, führen sie diese schon mal durchs Parlament, zeigen ihnen den majestätischen Ausblick über die Maximilianstraße im Foyer und die bequemen Stühle der Abgeordneten im Plenarsaal.

Philipp und Valentin sind Maximilianeer. In Bayern ist das wie ein Ritterschlag. Nur sieben Abiturienten werden pro Jahr aufgenommen, insgesamt 50 Zimmer hat das Wohnheim. Ursprünglich wohnten nur Männer im Maximilianeum, seit 1980 dürfen auch Frauen einziehen. Wer aufgenommen werden will, muss aus Bayern oder der linksrheinischen Pfalz kommen, die gehörte, als die Stiftung gegründet wurde, noch zum bayerischen Königreich. Weitere Bedingungen: ein Abitur von 1,0 und zwei bestandene Auswahltests.

Das Wort „Elite“ hören Philipp und Valentin trotzdem nicht gern. Als „überdurchschnittlich interessiert“ bezeichnen sie sich, als „besonders leistungsbereit“. Wie jeder andere Student besuchen sie reguläre Vorlesungen an der Universität. Ihren Kommilitonen erzählen sie oft nichts von ihrem ungewöhnlichen Zuhause. Zu ungenehm.

„Das hier ist kein Palast für Streber“, betont Hanspeter Beißer, ein freundlicher Mann in Anzug und Krawatte. Als Vorstand der Stiftung ist er der Hausherr, war selbst einmal Stipendiat und wohnt heute noch im Schloss. Das Maximilianeum vergleicht er mit dem Silicon Valley: „Wegweisende Entwicklungen entstehen, wenn man begabte Menschen zusammenbringt.“ Es sei wie an US-amerikanischen oder britischen Eliteuniversitäten: Nicht nur das Lernen, auch die Gemeinschaft sei wichtig.

Gemeinschaftsgefühl kommt zum Beispiel im Partykeller der Stiftung auf. Einmal pro Woche machen die Stipendiaten hier zusammen Sport – Bauch, Beine, Po unter bunten Discokugeln. Man riecht es. Einen Standard-Tanzkurs gibt es, Fußballtraining, Englischkurse. Einmal im Jahr fahren die Stipendiaten gemeinsam mit dem Vorstand in den Urlaub, dieses Jahr geht es nach Spanien.

Wichtiger, wenn auch freiwilliger Tagesordnungspunkt eines jeden Maximilianeers, ist das gemeinsame Mittagessen mit Hanspeter Beißer. Um Punkt 13 Uhr versammeln sich die Studenten im Speisesaal. Die großen Fenster geben den Blick auf den kleinen Garten frei, von der Decke hängen Kronleuchter. Küchenhilfen tragen ein Drei-Gänge-Menü auf. Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise auf Porzellantellern statt auf Plastiktabletts. Erst, wenn der Hausherr die Studenten mit den Worten „schönen Nachmittag noch“ verabschiedet, dürfen sie gehen.

„Am Anfang hatte ich das Gefühl, ich muss mich besonders intelligent präsentieren“, sagt Valentin. „Nach ein paar Wochen legt sich das.“ Mit Mitbewohner Stefan sitzt er auf dem Sofa im Fernsehzimmer. Der Tisch ist mit Zeitungen bepflastert, auch die sind im Rundum-Sorglos-Paket enthalten. Gestern haben sie zusammen das Finale der Dating-Sendung „Der Bachelor“ im Röhrenfernseher geschaut, beobachtet von Maximilian II., der von einem Gemälde auf sie herabblickt.

„Zur Lösung der höheren Aufgaben des Staatsdienstes“ – dafür wollte der König seine Jünglinge ausbilden. Valentin möchte aber lieber an der Universität bleiben, promovieren und nach dem Studium seine „Begeisterung für Etymologie weitergeben“. Philipp strebt trotz Jura-Studiums keine Karriere als Staatsanwalt an. Was er machen will, weiß er noch nicht. Studienleistungen werden nicht abgefragt. Vielleicht landet er trotzdem einmal in der Ahnengalerie. Stolz listet die Stiftung auf der Homepage berühmte Stipendiaten auf: Ex-Ministerpräsident Franz-Josef Strauß, Physiknobelpreisträger Werner Heisenberg, „Ein Bett im Kornfeld“-Texter Michael Kunze, Schriftstellerin Ulrike Draesner.

Draesner war eine der ersten Frauen, die in die Stiftung aufgenommen wurden. Sie durften damals nicht im Schloss wohnen, wurden ausgelagert – und mussten selbst putzen. Das hat sich die Schriftstellerin, die damals noch Jura studierte, nicht gefallen lassen. „Ich war sehr aufmüpfig.“ Besonders gut gefiel ihr aber das Gefühl, endlich unter Gleichgesinnten zu sein.

„Es war ein bisschen wie man es aus amerikanischen Collage-Filmen kennt“, sagt Peter Michael Huber, der 1979 in das Gebäude zog, seit 2010 ist er Richter am Bundesverfassungsgericht. „Wir haben gemeinsam Sport gemacht, getrunken, gefeiert und uns nicht immer an die Regeln gehalten.“ Das Verbot von nächtlichen Frauenbesuchen zum Beispiel habe er nicht so ernst genommen.

Ob man Waschen, Putzen und Kochen nach dem Aufenthalt im Schloss noch lernt? „Meine Frau würde sagen: Nein“, sagt Huber. Nach dem Auszug aus dem Schloss habe er seine Wäsche in den Waschsalon gebracht, jeden Tag bei McDonald’s gegessen und seine Wohnung nur geputzt, wenn seine damalige Freundin ihren Besuch ankündigte. Zur Hausarbeit wurden die Schützlinge des bayerischen Königs schließlich nicht erzogen. Wie hieß es doch im Grundsteinlied von 1857: „Bayerns hoffnungsvollen Söhnen / bauet Max hier ein Asyl / alles Wahren, Guten, Schönen / Sterne sind ihr leuchtend Ziel.“ Und nicht Sockenstopfen oder Aufräumen.

Eva Riedmann

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