zum Hauptinhalt
Der Profi. Peter Zingler im Arbeitszimmer seiner Frankfurter Wohnung.

© Rink

"Tatort"-Autor Peter Zingler: 150 Einbrüche und zwölf Jahre

Peter Zingler war selbst Einbrecher. Für seine Taten hat er zwölf Jahre im Gefängnis gesessen. Heute schreibt er „Tatort“-Drehbücher. Ein Hausbesuch.

Im Arbeitszimmer hängt die Maschinenpistole an der Wand. Das ist das alte Leben. Eine US-amerikanische „Grease Gun“, natürlich unbrauchbar gemacht. Und dennoch: Einrichtungsfragen sind Stilfragen. „Ich find die ganz lustig, passt doch gut in den Raum“, sagt Peter Zingler über die Wumme. Darüber hängt ein Plakat mit dem Schriftzug „Tatort“. Das ist das neue Leben. Auch wenn Zingler, 71, in seinem alten Leben nie bewaffnet zur Arbeit ging, passt das Gewehr doch recht gut zu den Vorstellungen, die man sich so macht von einem, der 25 Jahre lang ein Krimineller war. Und dann in den 80er Jahren aus dem Knast rauskam und eine zweite Karriere startete: als Drehbuchautor, Fernsehen, gern Krimis, gern den „Tatort“, 2010 auch einen Münsteraner.

Doch, passt schon ganz gut zusammen: altes und neues Leben.

Ein Altbau im Frankfurter Ostend, von Zinglers Arbeitszimmer fällt der Blick auf die Europäische Zentralbank. Ein paar Meter weiter die „Frankfurt School of Finance“, da trainiert der Nachwuchs. Viel Geld in direkter Nähe. Keine schlechte Gegend für einen wie Zingler, der von Berufs wegen die Nähe zum Geld lange schätzte. Aber auch eine recht stabile Gegend für einen wie ihn, der in Marokko, Sizilien, Jamaika und auf Kuba lebte. Mal freiwillig, mal eingesperrt. Der als Jugendlicher nach St. Tropez trampte, in der Hoffnung auf ein Kennenlernen mit Brigitte Bardot. Kann so einer überhaupt jemals irgendwo ankommen, sich heimisch fühlen?

Am 27. und 28. Februar zeigt die ARD den Zweiteiler „Die Himmelsleiter“ – ein Film über die Nachkriegsjahre im zerstörten Köln. Drehbuch Peter Zingler, es ist sein Leben, von dem er berichtet. Zur gleichen Zeit erscheint sein Buch „Im Tunnel“ – seine Lebensgeschichte bis zur Freilassung aus dem Knast in den 80er Jahren. Zinglers kriminelle Jahre.

Wie es halt so ist: Wenn etwas schiefgeht im Leben, dann meist schon recht früh. Dabei ist der Anfang vielversprechend: Zingler ist als Kind ein geschickter Kohlendieb, zur Freude seiner Familie, die im Köln der Nachkriegszeit sehen muss, wie sie über die Runden kommt. Kleine Diebstähle sind erlaubt, Kardinal Frings hat seinen Segen gegeben, „fringsen“ ist Volkssport und Peter einer der Fleißigsten. Der Bruch kommt, als er in der Schulzeit überraschend erfährt, dass er Adoptivkind ist. Stärker noch: Seine angebliche Mutter ist tatsächlich die Oma, seine angebliche Schwester tatsächlich die Mutter. Das prägt. Rastlosigkeit. Suche nach Zugehörigkeit.

Was an spanischen Gefängnissen besser ist

Der Profi. Peter Zingler im Arbeitszimmer seiner Frankfurter Wohnung.
Der Profi. Peter Zingler im Arbeitszimmer seiner Frankfurter Wohnung.

© Rink

Die eigene Unbehaustheit wächst sich aus zu einer handfesten Realitätsflucht, sagt er heute. Erst recht, als er in einem Kino aushilft und die Stars der damaligen Zeit sieht: „Da wurde mir klar, dass mein Leben einfach scheiße ist. James Dean, Cadillac und im Arm eine Blondine unter Palmen – so sollte es sein.“ Also Jugendbande, Autos klauen, Zigarettenautomaten knacken und gucken, was so geht. Mit 15 Jahren zum ersten Mal eingesperrt und von den folgenden 25 Jahren insgesamt zwölf in verschiedenen Ländern im Knast verbringen. Qualitätsunterschiede?

Die deutschen Gefängnisse seien eindeutig die besten, sagt er. In Spanien beispielsweise geht’s zwar lockerer zu, viel Zeit an der frischen Luft oder – wie in Cadiz – in einem der vier Pools, aber am schönsten ist’s halt zu Hause. Sein Zuhause ist Deutschland, da macht’s auch keinen Unterschied, ob eingesperrt oder frei. Überhaupt: die Freiheit. Rund 80 Prozent der Gefangenen würden insgeheim gern im Gefängnis sein, sagt Zingler, es aber natürlich niemals zugeben.

Knast kann Heimat bedeuten. Mit seinen einfachen Regeln, den klaren Strukturen und der Grundversorgung. Viele Häftlinge sind einfach nur lebensunfähig und gehen die leichten Wege, die das Gefängnis einem bietet, sagt er. Steile These, aber Zingler hat sich längere Zeit damit befasst; Zeit hatte er ja genug. „Pipifax“ seien die meisten Straftaten derer, die eigentlich gern wieder zurückwollen. Richtig reich wird damit keiner. Einfach irgendwas machen, um vor dem Richter zu landen, der einen irgendwann als Serientäter in Sicherheitsverwahrung steckt. Dann hat man Ruhe, und dann kommen Menschen wie der einstige Mithäftling von Zingler, der nach acht Tagen Freiheit schon wieder einfuhr und sich als Erstes erkundigte, ob seine Stelle in der Küche noch frei wäre.

„Knast ist der Ort, an dem man durchatmen kann vom Stress der Verfolgung“, sagt Zingler. Wenn einem jahrelang das Telefon abgehört wird, Sonderkommissionen auf einen angesetzt werden, dann wird aus dem Gefängnis der Ort, an dem das alles eben nicht passiert. Eine Art architektonisches Stockholm-Syndrom. So ausgeprägt, dass manch Freigänger tatsächlich abends gern wieder zurückkehrt in die Zelle, sagt er. „Das ist eine Art von Gehirnwäsche.“

Auf rund 150 Einbrüche schätzt Zingler seine Bilanz aus 25 Jahren. Teppichläden, Juweliere, Galerien. Immer unbewaffnet und nur selten in Privatwohnungen. Nicht, weil er Skrupel hatte. Sondern weil es sich kaum lohnte, es sei denn, die Opfer hatten ihre Häuser in Museen umgestaltet. Ein einziges Mal habe er sich nachträglich geschämt, als das Opfer vor Gericht aussagte, dass sich unter der Beute auch die Skizze eines Bildes befand, die ihr Großvater einst angefertigt hatte. Ein Erinnerungsstück, hoher ideeller Wert. „Das habe ich verstanden“, sagt Zingler. Und Kontakt zum damaligen Mittäter aufgenommen, er solle dafür sorgen, dass die Frau ihr Bild zurückbekommt. Ansonsten keine Reue.

Auch keine Angst oder Traumata, als ihm später selber einmal seine Frankfurter Wohnung ausgeräumt wurde. Irgendwann in den 80er Jahren, dasselbe Haus im Ostend, nur eine Etage tiefer: Eines Tages war die Wohnung durchsucht, aber stümperhaft. Wohnungseinbruch machen meist Leute, die im Viertel herumlaufen, einmal ansetzen und gleich an die nächste Tür gehen, wenn’s beim ersten Versuch nicht klappt, sagt er. Was also dagegen tun? „Anständiges Eisen an die Tür und eine gute Verzahnung.“ Geschätzte 95 Prozent aller Einbrüche seien so zu verhindern.

Zinglers eigene Wohnung – 170 Quadratmeter Altbau, wie ein mit den Jahren zu Geld gekommener Sponti-Haushalt, von denen es in Frankfurt einige geben dürfte: viele Bilder an den Wänden, gut sortierte Getränkeregale. Dazwischen kleine Irritationen, die es so häufig wiederum nicht geben dürfte bei seinen Altersgenossen: Die extra angefertigte Fliese im Gästebad zum Beispiel, auf der 25 Jahre Freiheit gefeiert werden. Die vielen Fotos in der Küche mit den auffallend teuren Luxusautos oder dem jungen Zingler, wie er vor südeuropäischer Kulisse an einem Galgen posiert, den Strick um den Hals, die Hände hinter dem Rücken gefesselt.

Koketterie? Ein bisschen vielleicht. Aber ist das nicht auch von Vorteil für einen, der heute „Tatort“-Drehbücher schreibt und sich in den Gedankengängen im Milieu so gut auskennt wie kaum ein anderer Autor?

Denk ich auch immer, sagt er, aber zu einem richtigen „Tatort“ gehört mindestens eine Leiche. Getötet wird im Milieu selten, viel zu schwer zu vertuschen, da steigt der Fahndungsdruck noch einmal weiter. Aber natürlich: Wird in der Zeitung über Einbrüche berichtet, schaut er schon mal genauer hin, versucht nachzuvollziehen, wie die Tat geplant war. „Es gibt Muster, die sich regelmäßig wiederholen.“ Die zu kennen, helfe beim Schreiben, auch wenn ihm trotzdem nicht jedes Drehbuch sofort aus den Händen gerissen wird. Weitermachen muss er ja ohnehin, getrieben einerseits, hoher Lebensstandard andererseits.

Und wenn’s irgendwann mal nicht mehr reicht? Dann bräuchte es halt eine kleinere Wohnung, sagt er, richtig häuslich fühle er sich ohnehin nicht. Das Sozialamt hingegen scheidet aus. „James Dean ist auch nicht zum Sozialamt gegangen“, sagt er, und da hat er natürlich recht.

Zur Startseite