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Paul Bühre hat den Bestseller "Teenie Leaks" geschrieben.

© Mike Wolff

Teenie-Leaks-Autor Paul Bühre: „Unsere ganze Familie ist abhängig“

Wenn Mutter bei „Game of Thrones“ einschläft, erzählt Paul ihr das Verpasste nach. Dafür bringt sie ihm Stricken bei. Und Emoticons? Die benutzen nur Mädchen. Ein Gespräch über den Alltag eines Teenagers.

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Herr Bühre, Sie sind gerade 16 geworden. Darf man da noch duzen?

Die meisten Lehrer machen das auch. Am Anfang haben sie uns gesiezt, mir war das unangenehm.

Du hast gerade ein Buch geschrieben, „Teenie Leaks“, in dem du die Welt der Jugendlichen erklärst. Wie uncool finden das deine Mitschüler?

Bisher habe ich ganz gute Resonanz bekommen. Außer von ein paar Mädchen, die das Spiele-Kapitel langweilig fanden. Mussten sie mir natürlich unbedingt mitteilen.

Wie erzählst du deinen Freunden Neuigkeiten?

Ich rufe oft an, meine Freunde nervt das manchmal. Ich habe das Gefühl, dass man in Chats per Whatsapp oder Facebook aneinander vorbeiredet. Allerdings kann ich dort besser lügen als übers Telefon, wo der andere mich hört. „Hab grad keine Zeit! Muss noch Hausaufgaben machen.“

Auf Whatsapp zeigt inzwischen ein blauer Haken an, wenn die Nachricht gelesen wurde.

„Yo, hörst du nicht zu? Yo, Paul, wo bist du?“ Ich antworte, wenn ich Lust und Zeit habe. Ich kann doch nicht immer überall verfügbar sein.

Es heißt, Facebook sei schon wieder veraltet.

Wir nutzen das nur noch, um Vines zu schicken.

Wie bitte?

Das sind kurze lustige Videos, meist aus Amerika. Wir schauen uns die Clips in der Schule noch mal an und können nicht aufhören zu lachen.

Wofür sich Facebook noch eignet, ist …

… zum Flirten. Du siehst ein Mädchen, kennst ihren Namen, irgendjemand ist bestimmt mit ihr befreundet, und dann schickst du ihr eine Freundschaftsanfrage. Die denkt sich nichts dabei; viele nehmen jeden an, weil sie Freunde sammeln. Bei mir in der Klasse haben die um 400 im Schnitt.

Und dann?

Muss ich eine Verbindung schaffen. Was für eine Musik mag sie? Wenn ich sie auf Facebook stalke, finde ich das vielleicht raus. Boybands wie One Direction gehen meist oder der Rapper Cro.

Benutzt ihr viele Abkürzungen, wenn ihr redet?

Nö.

Keiner sagt „Lol“, wenn er etwas lustig findet?

Das ist doch keine Abkürzung.

Laughing out loud?

Ja...okay. Es gibt auch Leute, die OMG sagen - für Oh my God. Mägges für McDonald’s. Und bb zum Abschied – für bis bald. Das ist Standard.

Würde Dir ein „Ich liebe dich“ leicht fallen?

Ich würde es anders sagen: Ich finde dich echt gut.

Wie verboten sind Emoticons?

Die benutzen nur Mädchen.

Im Osten sagte man früher „urst“, in den 90ern war alles geil und cool.

Cool und geil gehen immer noch. Scheißegeil. Fuck. Viel ist episch oder gleich epic: „Der Trailer ist richtig epic!“

Gibt es Verhaltensregeln für Facebook?

Jungs haben’s schwerer: Mädchen machen Kussmünder mit ihrer Freundin. Postet man selbst Bilder, auf denen man nachdenklich in die Ferne schaut, heißt es, man sei komisch. Dann sind da diese Leute, die bescheuerte Bilder von sich beim Rauchen machen und einen philosophischen Spruch in ihr Profil schreiben, den sie aus Wikipedia kopiert und garantiert nicht verstanden haben.

Du bist mit deiner Mutter auf Facebook befreundet. Das ist erlaubt?

Solange sie nicht jedes meiner Bilder liked und mit „Schatz“ kommentiert, geht das.

Wenn Droiden einfach nicht sterben wollen

Jugendliche kommunizieren über Whatsapp, Facebook oder Messenger - auch in der Schule.
Jugendliche kommunizieren über Whatsapp, Facebook oder Messenger - auch in der Schule.

© pa/dpa

Du warst früher Farmville-Fan – ein Spiel, bei dem man virtuell einen Acker bestellt. Sicher ein Tiefpunkt deines bisherigen Lebens.

Die Phase dauerte ein Jahr, ich bin ehrlich. Wie ein Fetisch. Man baut sich was auf. Erntet, bekommt virtuelles Geld, davon machst du deinen Stall schöner, kaufst Pferde, schickst anderen Mystery Gifts, Geschenke. Ich habe den seltensten Heißluftballon in Regenbogenfarben gekriegt!

Videogames machen einen großen Teil deines Alltags aus. Was spielst du gern?.

Ich setze mich mit einem Kumpel vor meine ältere Playstation, wir spielen „Star Wars Battlefront“, erobern die Galaxis und verfluchen die Droiden, die einfach nicht sterben wollen.

Das war’s an Spielen?

Auf dem Mac gibt es relativ wenig Spiele, die kein Geld kosten. Das beste heißt Team Fortress. Zwei Gruppen, im Comicfiguren-Stil, müssen gegeneinander kämpfen. Ich habe schon Leute aus der Schule darüber kennengelernt. Wenn die online sind, schreiben sie mich an, wir sprechen über einen Chat Strategien ab. Teamspeak heißt das, wie Skype, nur ohne Bild.

Hat das Suchtpotenzial?

Alles hat Suchtpotenzial. Lange haben mir meine Eltern Fernsehen und Computer nicht erlaubt. In der fünften Klasse gab es dann diesen Sprung, wo ich alles durfte. Ich war skeptisch: Ist das ein Test? Weil plötzlich alles ging, ist es ein wenig aus dem Ruder gelaufen. Ich habe mich total in den Spielen verloren: Krass, diese ganzen Farben! Wenn ich bei Freunden war, die schon länger spielen durften, bin ich ausgerastet. „Hey, das ist ja voll cool!“ Die waren bisschen gelangweilt. „Können wir jetzt mal was anderes machen, vielleicht Fußball spielen?“

Mit wie vielen Mädchen spielst du?

Mit keinem.

Dabei schreibst du: „Spiele können sozialer sein als Bücherlesen.“

Ich kenne kein Mädchen, das so was spielt. Mit dem Lesen kann ich das vergleichen, weil ich früher Bücher extrem verschlungen habe, Fantasy- Geschichten wie „Eragon“ oder „Der Name des Windes“ von Patrick Rothfuss. Ich versuche schon, mehr zu lesen, aber mit Netflix ist das schwer.

Ein neuer Streaming-Dienst, den man abonniert, um darauf nach Bedarf Sendungen zu schauen.

Eine schlechte Idee, was meine Schulnoten anging. Meine Eltern verbieten mir wenig, aber inzwischen stellen sie manchmal das Internet ab.

Dabei schaut ihr doch gemeinsam.

Unsere ganze Familie ist abhängig. Seriensuchten. Meine Mutter pennt manchmal ein, ich muss ihr beim Frühstück alles erzählen. Wer von wem der Vater ist, wer ist denn wieder diese blonde Frau? Manchmal denke ich, die stellt sich extra dumm.

Bücher sind dir heute zu kompliziert?

Neulich habe ich auf Netflix „Merlin“ gesehen. Danach habe ich mir das Buch „Die Nebel von Avalon“ geholt, 1000 Seiten Zeitungspapier. Bis das Buch in die Gänge kommt... Wie alle in meinem Alter bin ich aber nach wie vor Harry-Potter-Fan.

Deine Generationserfahrung.

Ich habe mich in der vierten Klasse als Hermine verkleidet und um Mitternacht an einer Buchhandlung angestanden, um das neueste Harry-Potter- Buch zu kaufen. Den Tag, als Harrys Patenonkel Sirius starb, habe ich heulend im Bett verbracht.

Ist Twitter auch Teil deiner Welt?

Das ist das, wo man seine wichtige Meinung abgibt? Diese schlauen Sprüche reichen mir schon bei Facebook, die machen mich fertig.

Die 17-jährige Naina, eine Schülerin aus Berlin, hat kürzlich getwittert: „Habe gute Noten, doch weiß nichts vom Leben.“ Geht dir das ähnlich?

Damit kann ich mich identifizieren. Wir haben jetzt diese komische Kurve gelernt, obwohl ich keinen Bock habe, später was mit Mathe zu machen.

Welches Schulfach würdest du dir wünschen?

Handwerklichen Unterricht, das geht vielen so. Werken gab es doch früher auch.

Du willst Vogelhäuser bauen?

Ist doch super. Ich fänd Stricken toll. Kochen würde ich auch gern können.

Ärgert ihr euch noch mit einem nassen Schwamm?

Man macht von einem anderen ein Handyfoto, malt einen schönen Penis drauf und schickt es allen Leuten in der Klasse über Snapchat, wo es automatisch nach ein paar Sekunden erlischt.

Ist das Cyber-Mobbing?

Nee, auch wenn Mobbing zur Schule dazugehört. Wo Leute aufeinander treffen, ist das unumgänglich. Das kann man auch nicht wegzaubern, indem alle einen Wisch unterschreiben.

Gibt es Überlebensstrategien?

Sich anzupassen. Dass man ein Smartphone mit Whatsapp hat, um sich in den Klassenchat einzuklinken. Braucht man auch, um Hausaufgaben abzuschreiben. Jemand, der sie gemacht hat, fotografiert sie mit dem Handy, stellt sie in den Chat. Was nicht geht: Leute zu einer Übernachtungsparty einladen, und deine Mutter sagt: Keine Horrorfilme ab 18! Dann gehen alle heim. Dumm gelaufen.

Wird über Kleidung gelästert?

Wenn einer Geox trägt. „Der Schuh, der atmet.“ Sandalen mit Socken, Sachen, die aussehen, als hätte die Mutter dich in der Fünften so angezogen. Hemden haben sich noch nicht durchgesetzt.

Du schreibst: „Leute, die Marken tragen, werden in der Gruppe akzeptiert.“ Schuhe von Nike, Unterhosen von Boss. Was müssen Mädchen anziehen?

In letzter Zeit diese Pornotaschen, auf denen ein Mann ohne Shirt zu sehen ist, der seine Hände in der Schamgegend seiner Jeans vergräbt. Die bekommt man bei Abercrombie & Fitch. Da guckt man schon an sich runter: Habe ich solche Brustmuskeln? Die Taschen sind ein Statement: Ich finde den Typen hot und dich nicht.

Gemein.

Sind Mädchen oft. Vor allem untereinander. Fette Streits, Tränen, nur weil die eine am Nachmittag mit anderen was unternommen hat. Bei Jungs ist es offener, einer sagt: Du bist voll der Wichser. Der andere: Du bist auch ein Arschloch. Die Mädchen lächeln sich süß an, aber wenn die eine aus dem Raum ist, wird so hart gelästert.

Engagement und Zukunftsangst

Paul Bühre hat den Bestseller "Teenie Leaks" geschrieben.
Paul Bühre hat den Bestseller "Teenie Leaks" geschrieben.

© Mike Wolff

Du engagierst dich ungern. Warum?

Es müsste mich mehr betreffen. Alles ist so weit weg. Kürzlich hatten wir eine coole Aktion. In der Turnhalle der FU wohnen jetzt Flüchtlingskinder mit ihren Familien. Wir wollten mit denen Fußball spielen. Kam aber kaum jemand, weil die Eltern sich nicht trauten, ihre Kinder zu den Deutschen zu schicken. Ich weiß nicht, ob sich etwas ändert, wenn ich vor dem Brandenburger Tor schreie: Rettet die Wale! Mittlerweile kann man das doch auf Facebook teilen. Ist natürlich auch leichter.

Welches Thema läuft da gerade?

Die Anschläge in Paris. Wir hatten in Reli eine Diskussion, da sitzen noch die vier, die Bock drauf haben. Mich hat schockiert, was passiert ist. Noch mehr aber, dass es Länder gibt, die gar keine Meinungsfreiheit haben. Jetzt regen wir uns auf, nur weil es in unserem Paradies Europa passiert ist.

Was macht dir für die Zukunft Sorgen?

Wie es mit der Umwelt läuft. Dass man einfach den Atommüll irgendwohin wirft und denkt, passt schon. Da komme ich mir von den Politikern verarscht vor. Krieg ist kein großes Thema, weil in meiner Generation jeder das Glück hatte, keinen erlebt zu haben. Es wäre toll, wenn das so bleibt.

Mit der Ukraine kommt er näher.

Ich kann mir das nicht vorstellen. Überhaupt, wie man heutzutage Krieg führt. Gibt doch Drohnen. Moderne Kriegsführung kann wie Computerspiele ausgetragen werden, über ferngesteuerte Roboter, die das ausfechten.

Welche Bilder aus den Nachrichten gehen dir nahe?

Ich gucke keine Nachrichten. Ich lese Zeitung oder Schlagzeilen im Internet. Ich weiß aber, dass es da ziemlich brutale Bilder gibt. Diese Videos laufen auch bei Facebook, zum Beispiel von den Enthauptungen des IS. Ein Kumpel hatte sie auf seinem Handy dabei, in der Pause haben wir uns das auf dem Schulhof angeguckt. „Shit“ schrien alle! Das ist Fake, dachte ich.

Du bist Gewalt gewöhnt?

Kennt ihr den Comic „Wolverine“? Ein Typ wie ein Werwolf. Es ist unumgänglich, wenn der Hauptcharakter drei lange Krallen aus unzerstörbarem Metall hat, dass er laufend etwas zerfetzen muss. Vielleicht bin ich bisschen abgestumpft, durch die Serie „Game of Thrones“.

Was ist da die brutalste Szene?

Habt ihr alles gesehen? Ich will nicht spoilern. Das machen nur fiese Leute. Dieses Duell zwischen dem Mountain und Prinz Oberon fand ich krass. Wie er Oberons Kopf mit den Händen zerquetscht.

Du gehst im Südwesten zur Schule. Gibt es Orte in Berlin, die du bedrückend findest?

Dahlem finde ich deprimierend. Da ist nichts, nur diese großen Häuser, kein Leben.

Wo findest du es richtig gut?

Am Mehringdamm.

Diese breite zugige Straße in Kreuzberg?

Ein Kumpel wohnt dort. Wir gehen manchmal zu dem Laden mit der superlangen Schlange. Mustafas Döner, frittiertes Gemüse, Schafskäse, Koriander, Zitronen. Außerdem gibt es um die Ecke einen tollen Comicladen, „Grober Unfug“, und „Otherland“, einen Buchladen für Fantasy-Literatur.

In welchen Club willst du, wenn du 18 wirst?

Einen coolen Tanzclub fände ich gut. Ich tanze gern auf Partys, nur die anderen Jungs tanzen halt nicht so. Es ist schwer, sie zu animieren: Erst bevor alle gehen, trauen sie sich für zehn Minuten auf die Tanzfläche.

Also ab ins Berghain?

Kenn ich nicht. Was ist das?

Freust du dich auf den Tag, an dem du ausziehst?

Da habe ich eher Angst vor. Ich weiß ja gar nicht, was ich machen will. Vielleicht mal auf dem Land in England leben, in einem großen Haus mit riesiger Bibliothek und einem Kamin. Zurückgezogen wie in einer Art Festung.

Studien sagen, Jugendliche wollen früher heiraten und schnell Kinder bekommen.

Ich bin mir total unsicher, ob ich welche möchte. Wenn ich mich und meinen Bruder sehe und wie viel Arbeit meine Eltern mit uns haben, ich weiß nicht, ob ich mir das zumuten würde. Ich habe totalen Respekt davor.

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