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Ausgezeichnet: Nebahat Akkoc

© Emel Ernalbant

Türkische Frauenrechtlerin Nebahat Akkoc: Die Aufklärerin

Ihr Mann ist erschossen, sie selbst gefoltert worden. Nebahat Akkoc widmet seitdem ihr Leben dem Kampf für die Rechte von Frauen. In Berlin wurde die Türkin nun geehrt.

Von Barbara Nolte

In der Folterkammer, sagt Nebahat Akkoc, sei sie zur Feministin geworden. Die offizielle Bezeichnung lautete Polizeigewahrsam. „Ein dreckiger, von Schreien erfüllter Ort“, von dem Akkoc bis heute nicht weiß, wo er sich befand. 15 Mal war sie dort.

Nebahat Akkoc, 60, ist eine kleine Frau mit dunkler, rauer Stimme. Ein später Abend Anfang März, der Glasbau der Böll-Stiftung wie ausgestorben. Am Ende eines langen Flurs sitzt Akkoc im wuchtigen Wollpulli zwischen Rollkoffer und Übersetzerin und berichtet von ihrer ersten Festnahme: Im Jahr 1994 war sie zusammen mit 16 Bekannten – ausschließlich Männern – von Geheimpolizisten verschleppt worden. Kommunalwahlen standen an. Akkoc glaubt, die Polizei habe sie einschüchtern wollen, damit keiner von ihnen kandidieren würde.

Zwölf Tage lang war sie in einer Einzelzelle gefangen. „Später erfuhr ich, dass keiner der Männer so brutal gefoltert worden war wie ich.“ Sie sei in ihrem „Dasein als Frau verletzt“ worden. Mehr will sie nicht sagen. Damals sei ihr klar geworden, erklärt sie, dass sich Gewalt gegen Frauen von der Gewalt, die in diesen Jahren in ihrer Heimatstadt Diyarbakir allgegenwärtig war, unterschied. Sie sei elementarer.

Diyarbakir liegt in Anatolien. Nach dem Militärputsch 1980 kam es hier zu Massenverhaftungen kurdischer Linker. Nebahat Akkocs Mann, ein Gewerkschaftler, saß im Gefängnis Nummer fünf, das die britische „Times“ den weltweit berüchtigsten Haftanstalten zurechnete. Mitte des Jahrzehnts begann dann der offene Konflikt zwischen PKK und türkischem Staat. Gleichstellungsfragen, sagt Akkoc, habe sie damals als „Luxusprobleme“ empfunden. „Über Feministinnen dachte ich: Was habt ihr für Sorgen. Wir haben hier Krieg!“

Jetzt lacht sie tonlos. Nebahat Akkoc wirkt abgespannt. Ein langer Reisetag liegt hinter ihr. Ein um Stunden verspäteter Abflug in Istanbul, minutiöse Gepäckkontrollen in Tegel. Erst abends trifft sie in der Böll-Stiftung ein, ihrer ersten Station in Berlin. Trotzdem erzählt sie so ausführlich, dass sich die Übersetzerin seitenlang Stichpunkte aufschreibt, um nichts zu vergessen.

Sie sei in einer traditionellen Familie aufgewachsen, beginnt sie. Der Vater Beamter, die Mutter Hausfrau. Die Brüder wurden ein wenig mehr wertgeschätzt als die Schwestern. Doch erst als sie ihren Mann im Gefängnis besuchte, habe sie Frauen ganz ohne Rechte kennengelernt: Kurdinnen, die kein Türkisch sprachen und bei der Gefängnisverwaltung ihre Anliegen nicht einmal vorbringen konnten. Manche waren Zweitfrauen, ohne staatlichen Trauschein. Die durften gar nicht zu ihren Männern hinein.

Nebahat Akkoc erzählt von einem kleinen Café gegenüber vom Gefängnis, mit einem Ofen in der Mitte, um den sich Frauen von Inhaftierten zum Übernachten legten. Sie waren meist von weither gekommen. Oft nahm Akkoc einige mit zu sich nach Hause. „Wir unterhielten uns bis zum Morgengrauen“, sagt sie. Nicht wenige von ihnen wurden von ihren Männern geschlagen. Diese Frauen erlebten Gewalt von zwei Seiten: vom Staat und im Privaten. Akkoc half ihnen, indem sie beispielsweise Briefe für sie schrieb. Aber dass sie als Frauen systematische Ungerechtigkeit erfuhren, sagt sie, habe sie sich damals noch nicht bewusst gemacht. Ihren Hilfsverein „Kamer“ gründete sie über zehn Jahre später, nach der Folter. „Manches muss man am eigenen Leib erfahren“, sagt sie.

Bis heute ist Gewalt gegen Frauen in der Türkei verbreitet. 281 wurden im vergangenen Jahr umgebracht, fast 70 mehr als 2013.

Der Fall der getöteten Studentin Özgecan Aslan vor fünf Wochen in der Stadt Mersin erlangte sogar weltweit Aufmerksamkeit. Als Feministin, sagt Akkoc, habe sie zu analysieren versucht, warum dieser Mord in der Türkei so viel Mitgefühl ausgelöst habe. Vielleicht weil es eine Frau getroffen habe, die wie so viele andere „auf ganz unschuldige Weise“ einen Zubringerbus benutzt habe. Vielleicht habe auch Aslans Wehrhaftigkeit die Menschen beeindruckt. Sie hatte dem Busfahrer, der sie vergewaltigen wollte, das Gesicht zerkratzt. Hinzu kommt, dass der Täter ein Fremder war und nicht wie in den meisten Fällen der Familie entstammte. „Die Männer konnten hier andere anklagen, ohne selbst Schuldgefühle zu entwickeln“, sagt Akkoc.

Ihre Kollegen wurden umgebracht, ihr Mann erschossen

Trauermarsch für die ermordete Studentin Özgecan Aslan in Istanbul
Trauermarsch für die ermordete Studentin Özgecan Aslan in Istanbul

© Adem Altan/AFP

Im Fernsehen verfolgte sie die Trauermärsche überall im Land. Sie amüsierte sich darüber, dass manche Männer sogar in Miniröcken demonstrierten, um das Vorurteil lächerlich zu machen, Frauen in kurzen Röcken seien selbst schuld, wenn sie Opfer von sexueller Gewalt würden. „Wir überlegen, ob wir künftig Männer in unsere feministische Arbeit mehr einbeziehen sollen“, sagt sie.

Der anatolische Feminismus scheint undogmatischer zu sein als manche westliche Variante. Zu siebzehnt sind sie nach Berlin gekommen, „Kamer“-Mitarbeiterinnen aus verschiedenen türkischen Städten. Eine Aktivistin trägt sogar Kopftuch. Sie habe sich immer für die Frauen mit verhülltem Haar stark gemacht, sagt Akkoc, gerade weil die in der Türkei auf breite Ablehnung stießen, sobald sie gesellschaftliche Teilhabe einforderten: beispielsweise studieren wollten.

Zwei Tage später sitzt die „Kamer“-Delegation in einem indischen Restaurant am Potsdamer Platz. Mehr als an Kopftüchern stören sich die kurdischen Frauenrechtlerinnen an der Besserwisserei mancher, wie eine es ausdrückt, „sogenannter Feministin“. Die Frauen haben Nebahat Akkoc nach Berlin begleitet, weil die hier für ihr Engagement den Anne- Klein-Preis verliehen bekommt. „Kamer“ hat mittlerweile 23 Dependancen. Das Angebot reicht von sexueller Aufklärung bis zur Unterstützung bei Existenzgründungen. Mit Vielehen haben sie hingegen nur noch in Einzelfällen zu tun. Ihre Zahl ist in der Türkei stark zurückgegangen. Bei Polygamie hört Akkocs Toleranz auf. „Mindestens eine Frau wird zu der Verbindung gezwungen“, sagt sie. „Ich habe noch nie mehrere Frauen erlebt, die sagten, sie seien glücklich mit ihrem einen Mann.“

Woran, fragt man, liegt es, dass viele türkische Männer so auf ihren Privilegien beharren und nicht wenige sogar Gewalt gegen Frauen legitim finden? An der Tradition oder an der Religion? Akkoc reagiert schroff – womöglich, weil sie westliche Arroganz wittert. „Ich besuche Frauenhäuser auf der ganzen Welt“, sagt sie. „Sie sind doch überall vollkommen überlastet!“ Sicher werde das Problem in Anatolien durch die Armut und den Krieg verschärft. Krieg führt zu Verrohung.

Auch in Akkocs Umfeld gab es viele Tote. 16 ihrer Lehrerkollegen wurden Anfang der 90er von staatlicher Seite umgebracht. Ihr eigener Mann wurde 1993 auf dem Weg zur Schule erschossen. Ihre Tochter, damals 13, und sie hörten die Schüsse. Von der Polizei bekam sie keine Auskunft über den Tathergang.

Daraufhin verklagte Nebahat Akkoc den Staat Türkei beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Ein folgenreicher Schritt.

Bei einer ersten Hausdurchsuchung, erzählt Akkoc, hätten Polizisten ein Foto des PKK-Chefs Öcalan hingelegt. Darauf stand die Widmung: „Alles Liebe für Nebahat“. Ihr sollte untergeschoben werden, PKK-Mitglied zu sein, obwohl sie der Organisation immer fern stand, wie sie sagt.

Im Polizeigewahrsam wurde sie mit Elektroschocks traktiert, mit Knüppeln geschlagen und mit einem harten Wasserstrahl bespritzt. Anschließend bekam sie Dokumente vorgelegt, aber nicht lange genug, als dass sie sie ganz hätte durchlesen können. Trotzdem sollte sie ihre Unterschrift drunter setzen. Eine gängige Methode, um Beweismittel für einen Gerichtsprozess zu schaffen.

Doch Akkoc unterschrieb nicht. Sondern sie ergänzte, als sie wieder draußen war, ihre Klage beim Menschenrechtsgerichtshof um den Umstand, dass sie gefoltert worden war. „Oft höre ich, es sei besonders mutig von mir gewesen, die Türkei zu verklagen“, sagt sie. „Mir war das damals nicht bewusst: Ich war eine verzweifelte Frau, die nach einer Lösung suchte.“

Heute wirkt Nebahat Akkoc wie eine Frau von großer Widerstandskraft, sie strahlt sogar eine gewisse Härte aus, der es vielleicht bedarf, um es mit einer Diktatur aufzunehmen. 1999 bekam sie vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof recht.

Gut gelaunt sitzt sie bei der Preisverleihung neben der Schauspielerin Sibel Kekilli. Kekilli, selbst Türkin und von ihrer Familie verstoßen, war die Laudatorin. Am Nachmittag hatte Kekilli bereits im Schloss Bellevue eine Rede gehalten, die an muslimische Männer adressiert war. „Ich möchte so frei leben, wie ich es für richtig halte“, sagte sie unter Tränen, „ohne dass ihr mich massiv einschränkt und sogar mit dem Tod droht.“

Nebahat Akkoc empört sich in ihrer Danksagung über Erdogans Regierungssprecher, der es kürzlich für unschicklich erklärte, wenn Frauen öffentlich laut lachten. Trotz allem, sagt sie, hätten seit der Gründung von „Kamer“ türkische Frauen mehr Freiheiten erlangt. Auch den Anstieg der Morde an Frauen sieht sie nicht als Rückfall in alte Zeiten. Ein Drittel der Getöteten war ausgezogen, manche lebten unter Schutzadressen. Sie hätten ihre Situation nicht mehr erduldet, sagt Akkoc, wie es früher üblich gewesen sei. „Dass Frauen ihre Rechte in Anspruch nehmen, bringt neue Gewalt zutage.“

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