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Hier wird mit Holz gebaut: Das Bürogebäude der Tamedia in Zürich.

© Tamedia/Didier Boy de La Tour

Urbane Architektur: Trend: Immer mehr Häuser aus Holz

Dem Holz gehört die Zukunft. Denn dieses Material hat jede Menge Vorteile. Welcher Architekt wird das größte Hochhaus aus Bäumen bauen?

Holzhaus – welches Holzhaus? Leicht irritiert stehen Architekturfans in Pankow vor einer grauen Eternitfassade mit knallrotem Sonnenschutz. Nur wenn sie den Kopf heben, entdecken sie an den Zimmerdecken und auf der Dachterrasse im fünften Stock den Bretterlook. Dabei ist der Wohnbau „3XGrün“ in der Görschstraße das preisgekrönte Werk, mit dem Koch, Schrimpf, Roedig und Rozynski 2011 in die Praxis umsetzen konnten, was sie in ihrem Institut für urbanen Holzbau noch als Studenten erforscht hatten.

In Prenzlauer Berg geht es den Interessierten auch nicht besser. Das „c13“ in der Christburger Straße – unten Café, Familienberatung, Praxen, oben Wohnungen – ist ganz im Weiß der Moderne verputzt. Und doch wurde das rasante, von Tom Kaden, dem Berliner Pionier der Branche, entworfene Haus gerade mit dem Deutschen Holzbaupreis 2015 ausgezeichnet.

„Niemand wird auf die Idee kommen, eine Baulücke in der Berliner Innenstadt mit einem Holzhaus füllen zu wollen“, erklärte ein Aachener Architekt dem Tagesspiegel noch 1996 voller Überzeugung. Genau das tun aber beide Häuser, auch wenn sie nach außen nicht zeigen, was in ihnen steckt. Was ist passiert?

Urbaner Holzbau liegt im Trend. Kein Wunder, könnte man denken. Schon die Steinzeitmenschen bauten ja mit dem stabilen Baustoff, der vor der Haustür wuchs, im Mittelalter boomte das Fachwerk. Aber dann – dann hatte es sich erst mal ausgeliebt. Im 20. Jahrhundert geriet das rustikale Material in Verruf, die Vertreter der Moderne mochten es nicht. Jetzt waren Stahl, Glas und Beton angesagt, Holz wurde zum Inbegriff einer rückständigen Bäuerlichkeit. Das ist es für viele bis heute noch: Schwarzwaldstuben, Blockhütten, Datschen – eine Architektur für Kleingärtner. Nix für Großstadtbewohner. Die Liebe der Ökos zum Kiefernregal in den 70er Jahren trug auch nicht gerade zur Imagepflege bei.

Der Baustoff muss nicht mit hohem Energieaufwand produziert werden

Und jetzt: muss man nur mal durch die Kreuzköllner Lokale mit ihrem aus Brettern zusammengezimmerten Mobiliar ziehen, um die neue Popularität des rauen Materials im Zeitalter glatter Smartphoneoberflächen zu erleben. Angesichts des Klimawandels ist Holz nicht mehr von gestern, sondern von übermorgen, vor allem im städtischen Hochbau. Auch wenn er dort, aufgrund von Brandschutzvorschriften, aus ästhetischen oder ökologischen Gründen, oft verkleidet oder mit anderen Materialien wie Beton verbunden wird: Er gilt als Baustoff der Zukunft, die mögliche Lösung für drängende Fragen. „Ist Holz der Beton des 21. Jahrhunderts?“, fragte die Ausstellung „Timber City“ in Seattle vor drei Jahren fast rhetorisch.

Die Vorteile liegen auf der Hand. Der Baustoff muss nicht erst mit hohem Energieaufwand produziert werden, er wächst einfach nach, schneller, als er verbraucht wird, und während er wächst, schluckt er noch das böse Kohlendioxid und produziert Sauerstoff. Er dämmt gut, gegen Hitze ebenso wie Kälte, und atmet zugleich, wodurch er ein angenehmes Wohnklima schafft. Nicht mal um die Entsorgung muss man sich Gedanken machen. Entweder bastelt man hinterher was Neues draus oder heizt damit seine Bude.

Ob in Mailand oder Wien, Stockholm oder Vancouver, Zürich oder Rotterdam, überall wächst es in die Höhe. Eigenheime, gerade Fertighäuser, aus Fichte, Tanne, Lärche, neuerdings auch Buche, sind schon seit einigen Jahrzehnten üblich. Jetzt aber entstehen mitten in der Stadt Schulen, Kitas, Läden, Wohnheime, Büros und vor allem mehrgeschossige Wohnbauten. Fünf, sechs, sieben – „the sky is the limit“ lautet das Motto der Verfechter. Schaffen die Redwood-Bäume denn nicht auch 80 Stockwerke?

Das Wettrennen hat begonnen: Wer baut das nächste große Ding?

Die Graft-Villa in Wannsee.
Die Graft-Villa in Wannsee.

© Tobias Hein

Schon hat ein Wettrennen begonnen: Wer baut das nächste große Ding? Wien mit 20 Stockwerken, Flensburg mit zehn (ein weiteres Tom-Kaden-Projekt) – oder Berlin mit zwölf Etagen: das „Eckwerk“ in Friedrichshain?

Wolfram Putz von Graft Architekten ist optimistisch, dass sie im nächsten Jahr alle Genehmigungen haben, um loslegen zu können. Im Auftrag einer Genossenschaft soll Graft zusammen mit dem Büro Kleihues am Holzmarkt (genius loci!) einen großen Gebäudekomplex zum Wohnen und Arbeiten errichten. In den USA, wo die Architekten studiert und ihr Büro gegründet haben, ist der Holzbau bis zu vier Geschossen ohnehin gang und gäbe, allerdings oft in anderer Qualität. Jetzt hat Graft in Wannsee ein schwungvolles Einfamilien- und ein Doppelhaus mit Oregon Pine errichtet, beides Plusenergiehäuser. Womit einmal mehr bewiesen wäre, dass die Holzbauten von heute alles andere als düster und plump sind. Allein die verbreiteten großen Fenster (natürlich mit Holzrahmen) sorgen nicht nur für Helligkeit, sondern auch urbanen Look. Einige Architekten setzen Lamellen ein oder, auch sehr beliebt, Schindeln, gerne aus Lärche, denn die ist besonders wasserresistent.

Inzwischen macht ein ganzer Reigen von nationalen und regionalen Preisen auf die architektonisch gelungensten und innovativsten Beispiele und damit auf die Möglichkeiten des Materials aufmerksam. Auf internationalen Konferenzen wird über den urbanen Holzbau diskutiert, Wissenschaftler und Praktiker arbeiten im Rahmen diverser Forschungsprojekte zusammen, auch die TU Berlin ist beteiligt, der Berliner Verlag DOM Publishers veröffentlichte das dicke Handbuch „Urbaner Holzbau“ als Planungshilfe für Newcomer, und auf dem – außerordentlich interessanten – Berliner Architektur-Festival „Make City“ im Juni war Holzbau ein Schwerpunktthema. Denn gerade in dem vom früheren Senatsbaudirektor Stimmann so oft beschworenen steinernen Berlin (das so steinern nie war, in den Decken, Dächern und Parkettböden der Gründerzeitbauten stecken viele Bäume), tut sich besonders viel. In Prenzlauer Berg gelang Kaden Kingbeil Architekten schließlich 2008 mit dem Wohnhaus „e3“ der Durchbruch in Sachen Hochhausbau: sieben Geschosse, das hatte es in ganz Europa noch nicht gegeben.

Vorfertigung führt zu enormer Beschleunigung

Dass das Holz erst jetzt diesen Aufschwung erlebt, hat verschiedene Gründe, vorneweg die Bauordnung. Vor ein paar Jahren noch waren fünf Stockwerke Holz in der Stadt gar nicht erlaubt. Die Bilder der brennenden Städte im Zweiten Weltkrieg hat jeder im Kopf. Was ist mit dem Brandschutz? Das ist meist die erste Frage, die die Architekten zu hören bekommen, und die sie mit leicht gequältem Lächeln beantworten. Die Feuerwehrleute stünden auf ihrer Seite: Die gingen lieber in ein brennendes Holzhaus als in eins aus Stahl. Denn Holz ist berechenbarer, man sieht ihm an, wie lange es noch hält. Stahl dagegen wird extrem heiß und bricht irgendwann. Nur weiß niemand, wann. Zudem dauert es, bis Holz durchgebrannt ist – lange genug, dass sich die Bewohner retten können. Das Äußere verkohlt zuerst und bildet so eine natürlich Schutzschicht. Dazu kommen andere Maßnahmen wie Sprinkleranlagen, ein Kern aus Stahlbeton oder externe Treppenhäuser. Inzwischen wird auch wie beim „e3“ in Gesprächen mit den Behörden und der Unterstützung externer Gutachter jedes Projekt individuell bewertet.

Dazu kam der geradezu revolutionäre technische Fortschritt. Was heute verbaut wird, hat mit den dicken Balken von Almhütten so wenig zu tun wie mit den löchrigen Brettern von Baracken. Das ist Hightechmaterial, für das der natürliche Rohstoff auseinandergenommen und neu zusammengesetzt wird. So werden Holzplatten lagenweise quer verleimt, zu Brettstapelholzelementen, die trotz ihres dünnen Profil besonders stabil sind. Nicht nur das Entwerfen am Computer, auch die computergesteuerten Werkzeuge und Maschinen, die millimetergenau arbeiten, haben die nötige Präzision gebracht. So werden Fenster und Steckdosen schon vorher aus den Platten ausgeschnitten, Kabelkanäle noch in der Werkstatt ausgefräst.

Das ist es, was den Münchner Architekten Arthur Schankula von Anfang an gereizt hat: die enorme Beschleunigung durch die Vorfertigung. „Das macht den Bauprozess viel besser kalkulierbar.“ 2011 hat Schankula in Bad Aibling ein schlankes achtgeschossiges Hochhaus mit Fichte aus der Region errichtet. Nachdem das Stahlbetonfundament gelegt war, auf dem die meisten größeren Holzbauten stehen, wurde jede Etage innerhalb von nur zwei Tagen installiert.

Mit Holz können Lücken schnell geschlossen werden

Das "c13" in Prenzlauer Berg.
Das "c13" in Prenzlauer Berg.

© Bernd Borchardt

Während bei der Holz-Vorfertigung in trockenen Räumen viele Prozesse parallel laufen, wird beim herkömmlichen Bau nacheinander gebaut – oder nicht. Erst muss der Rohbau stehen, dem Wetter ebenso ausgesetzt wie langsamen Gewerken, wo einer auf den anderen wartet, oft improvisiert werden muss. „Jede Baustelle ist ja ein Ausnahmezustand.“ Die Holzplatten dagegen werden im Trockenen montiert, zum Teil ganze Wände inklusive Fenster – und dann vor Ort, so der Berliner Zimmermann und Architekt Benjamin Steil, „wie Lego zusammengesteckt“. Ist der Innenausbau abgeschlossen – wobei die Wände oft mit Gipskartonplatten verkleidet werden, auch aus ästhetischen Gründen, denn Wand, Boden und Decke aus Holz können erdrücken –, müssen die Bewohner nicht erst warten, bis die Feuchtigkeit aus dem Gemäuer ist.

„Das zwingt alle Beteiligten zu präziser Planung“, so Schankula, denn nachträgliche Änderungen werden sehr aufwendig. Für viele Architekten ist diese Vorplanung bis ins letzte Detail eher ungewohnt. Umso wichtiger wird die Zusammenarbeit mit erfahrenen Ingenieurbüros sowie guten Zimmerern und Sägewerken.

Deutschland, Österreich und Schweiz haben da Glück, meint Shigeru Ban. Nach Ansicht des japanischen Architekten, der viel mit Pappe und Holz baut, sind Ingenieure und Handwerker hier besonders gut ausgebildet. Bei seinem Bürohaus in Zürich für das Medienunternehmen Tamedia hat er mit dem legendären Holzbauer Hermann Blumer kooperiert. Zusammen haben sie es geschafft, die tragende Konstruktion ohne einen einzigen Nagel oder eine Schraube zusammenzustecken.

Woran es früher ebenfalls mangelte, war der Mut. Es ist kein Zufall, dass „e3“ und „3XGrün“ Baugruppenprojekte sind. Ohne diese sähe Berlin architektonisch noch viel öder aus als ohnehin mit der ganzen Schießscharten- und Investorenarchitektur im Einheitslook. Baugruppen, die keinen Profit machen müssen, sind in der Regel experimentierfreudiger, offener. Im Falle von „e3“ waren es die Bauherren, die mit der Idee eines hohen Holzbaus an die Architekten herantraten.

Jetzt, da der urbane Holzbau schick wird, interessieren sich auch Investoren dafür. Und es sind Wohnungsbaugesellschaften wie B & O in Bad Aibling oder Folkhem in Stockholm, die die Entwicklung weitertreiben.

Denn der Ansturm auf die Großstädte in aller Welt ist gewaltig, Verdichten heißt das Zauberwort. Mit Holz können Lücken schnell geschlossen werden, auch für das Aufstocken ist es bestens geeignet, ist es doch wesentlich leichter als Stahl und Beton. Und ein schlankeres Material, dünnere Wände, Decken und Dämmungen bedeuten mehr Wohnraum.

Noch sind die meisten Holzbauten teurer als vergleichbare Projekte, die Zahlen schwanken zwischen ein und zehn Prozent. „Aber das ist bei jedem Prototyp der Fall“, meint Wolfram Putz von Graft. In der Tat hat im Moment jedes größere Projekt, etwa die Holzcubes in Adlershof, noch Modellcharakter, bringt den urbanen Holzbau einen Schritt weiter. So bekommen die Architekten die Schwachstellen immer besser in den Griff: die Anfälligkeit gegenüber fließendem Wasser, Brandschutz, Schallschutz, Holzschutzmittel.

Gerade die rasante Geschwindigkeit, mit der ein Holzbau hochgezogen werden kann, prädestiniert ihn für die Stadt: Straßen werden nur kurz gesperrt, Nachbarn müssen nicht monatelang unter Baulärm leiden, Schulen und Kindergärten nicht schließen, während der Anbau errichtet wird. Holz ist der Plattenbau von heute, nur schöner, wertvoller und gesünder.

Der modulare Holzbau könnte auch eine Antwort auf die zur Zeit drängendste, dramatischste Frage sein: Wie kann man all die Flüchtlinge möglichst rasch menschenwürdig unterbringen?

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