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Immer dem "R" folgen: Über 169,29 Kilometer führt der Rennsteig-Wanderweg

© Adobe Stock

Wandern in Thüringen: Grüner wird’s noch

Thüringens Rennsteig ist der meist begangene Wanderweg Deutschlands. Jetzt gibt es noch ein paar Wochen Ruhe. Nur das Holz knarzt und der Wind pfeift.

Da steht man nun, den Kopf schon im Frühling, die Füße im Winter. Dass zwischen den Bäumen noch Schnee liegt, kam überraschend. Der Wetterbericht hatte zweistellige Temperaturen und klaren Himmel angekündigt. Nur ist der Thüringer Wald ziemlich schattig. Manchmal trifft ein Sonnenstrahl das Gesicht, scheint aber kurz vor dem Boden die Kraft zu verlieren.

Die ersten paar Kilometer über den Rennsteig sind trotz des frostigen Bodens angenehm zu gehen. Frische Morgenluft, breite Forstwege, kaum nennenswerte Steigungen, allenthalben markiert ein weißes „R“ die Strecke. Die Tannen haben ihre Nadeln abgeworfen, als wären sie Winterfell. Diese geben guten Halt auf dem eisglatten Untergrund. Wie das wohl aussähe, wenn die Berliner Stadtreinigung damit ihre Gehwege streuen würde?

Rennsteige gibt es heute viele, der durch den Thüringer Wald gilt als der bekannteste, und ist gewiss der älteste. Erstmals schriftlich erwähnt wurde er 1330, damals noch als Rynnestig. Mit dem Verb Rennen hat das nichts zu tun. Ginge sowieso nicht. Wer stapft, kann nicht sprinten. Seinen Ursprung hat der Rennsteig in Eisenach am Ufer der Werra, er verläuft dann zielstrebig in südwestlicher Richtung bis Blankenstein. In seiner vollen Länge erstreckt er sich über 169,29 Kilometer. Auf Präzision bestehen sie hier, seit im Jahr 2003 die historische Distanz von 168,3 Kilometern revidiert wurde.

Die Wanderer kommen erst im Mai

Es ist die erste Wanderung der Saison, also nicht gleich übertreiben. Knapp 40 Kilometer in drei Tagen sind geplant, von Zella-Mehlis bis Masserberg – der mittlere Streckenabschnitt.

Trotzdem noch ein Superlativ: Der Rennsteig gilt als der meistbegangene Wanderweg Deutschlands, etwa 100 000 Besucher pro Jahr. Hier und jetzt ist das schwer vorstellbar, man hat den Thüringer Wald scheinbar für sich allein. „Die Skifahrer sind weg, die Wanderer und Radfahrer kommen erst im Mai“, erklären die Gastwirte an diesem Wochenende, als wollten sie sich für die Ruhe entschuldigen.

Die Strecke. Für die volle Ansicht klicken Sie auf das roter Kreuz.
Die Strecke. Für die volle Ansicht klicken Sie auf das roter Kreuz.

© Tsp

Gegen Mittag, nach gut drei Stunden, zeigen sich doch noch Menschen. Vom Aussichtspunkt ganz in der Nähe des Großen Beerbergs, mit 982 Metern die höchste Erhebung des Thüringer Waldes, reicht die Sicht bis zum knapp 40 Kilometer entfernten Coburg. Kein Schatten stört hier, und auch mit der Einsamkeit ist es schnell vorbei. Der kleine Kurti, vielleicht neun, ist mit seinen Großeltern unterwegs. Kurti staunt über die Aussicht. Opa stimmt zu: „Einwandfrei.“ Er macht eine kurze Pause, lehnt sich zurück, und sächselt dann: „Uns geht’s gut.“ Seine Frau und Kurti nicken wortlos.

Wieder rein in den Wald, rauf auf den Schnee, raus aus der Sonne. Die letzten der rund zehn Tageskilometer verlaufen leicht abschüssig, je näher die Unterkunft für die Nacht rückt, desto mehr Spaziergänger kreuzen den Weg. Der Abzweig ist gut ausgeschildert, „Neue Gehlberger Hütte“. Sie ist eine der wenigen, die unmittelbar an den Rennsteig gebaut wurden.

Vor der Terrasse tun sich Wiesen auf, man kann den letzten weißen Flächen beim Schmelzen zusehen. Die Wirtin, ein Gemüt so rustikal wie die Hütte selbst, schließt um 17 Uhr ab. Im Vierbettzimmer, erklärt sie zum Abschied, habe sie den Gast untergebracht, der aber ohnehin der einzige auf der Hütte sei. Sie selbst werde erst am Morgen wiederkommen.

Das Waldbaden wirkt beruhigend

Die Hälfte ist geschafft. Nahe Neustadt, unweit des Dreiherrensteins, ist genau die Mitte des berühmten Wanderwegs.
Die Hälfte ist geschafft. Nahe Neustadt, unweit des Dreiherrensteins, ist genau die Mitte des berühmten Wanderwegs.

© picture alliance/Michael Reichel/dpa

Die Nacht wird einsam, still wird sie nicht. Das Holz knarzt, die Heizung knackt, der Wind pfeift. Man fragt sich, welcher Horrorfilm nochmal so begann, und erinnert sich, dass es fast jeder war. Draußen ist es eisig, nach Frühling fühlt sich das nicht an. Zur Ablenkung liegen einige abgegriffene Bücher über die Region bereit. In einem Wanderführer von 1992 steht über den Rennsteig: „In der Regel trifft man Gruppen aus den alten Bundesländern, die man sofort an den deftigen Farben ihrer Rucksäcke und Anoraks erkennt, häufiger als Einheimische, die meist als Familien laufen.“ Vor dem Einschlafen gilt der letzte Gedanke Kurti und seinen sächsischen Großeltern. Sie alle trugen bunte Rucksäcke.

Der Wind, das zeigt sich am nächsten Morgen, hat den Frost auch nicht vertreiben können. Tag zwei beginnt kalt. Das beschleunigt den Schritt. Mit jeder Stunde, die vergeht, bekommt die Sonne mehr Kraft. Grashalme richten sich träge auf, als seien sie verspannt vom langen Liegen. Dort, wo der Boden schneefrei ist, geht es über einen fluffig-weichen Teppich aus Tannennadeln und Moos. Der Wind raschelt in den Ästen. Amseln zwitschern, in der Ferne klopft ein Specht. Je weiter der Winter zurückweicht, desto kräftiger duftet der Wald. Tannen, Moos, Unterholz. Es riecht nach Kräuter-Erkältungsbad.

Das Grün der Bäume wirkt beruhigend. Die Gedanken schweifen ab. Waldbaden! Das Prinzip: Wer sich erholen will, verbringt eine Weile im Wald, „badet“ in den Düften und Klängen und erholt sich dabei. Dutzende Ratgeber wurden zuletzt darüber verfasst und erklären, wie das richtig geht. Auf 160 Seiten. Für 19,80 Euro.

Alles hier heißt irgendwie Rennsteig

Am Mittag erreicht man den Bahnhof Rennsteig in Rennsteig. Das ist verwirrend, weil ja alles hier irgendwie Rennsteig heißt. Café, Ort, Wanderweg. Es fährt zwar noch ein Bummelzug, doch Motorradhelme, Radlerhosen und Wanderstiefel sind klar die Mehrheit. Im historischen Bahnhof ist die Gaststätte „Gleis 1“ untergebracht. Die Schilder sehen aus, als seien sie schon um die 100 Jahre alt, vielleicht älter. Historische Bahnhofsuhr, antiker Speisewagen. Wie eine Zeitreise. Zwei Jungs halten mit ihren Mountainbikes an. Sie bestellen zwei Bier. „So kann ein Samstag wunderbar anfangen“, prosten sie sich zu und vergleichen ihre Instagram-Profile. Zurück in der Gegenwart.

Wer wandert, wird hungrig. Also weiter nach Stützerbach, zum Waldgasthof Auerhahn. Vom Rennsteig in Rennsteig am Rennsteig ist das fußläufig erreichbar. Wer nach Tag zwei und Kilometer 20 die Füße schonen will, muss ein Taxi bestellen. Der Zwiebelrostbraten türmt sich auf dem Teller zu einem Zwiebelrostberg. Das Restaurant gibt es seit 1837. Angeblich habe Goethe hier seinen letzten Geburtstag verbracht. Walter Ulbricht wollte hier essen, kam aber unangemeldet und ausgerechnet am Ruhetag. Heute kommt kaum einer. „Nix los, bei dem Wetter sind doch alle in der Sonne“, sagt Dirk Hoffmann, der den Gasthof seit kurzem führt. Hoffmann will eine Terrasse bauen. Am Hang, Südseite. „Im Sommer werde ich Schirme brauchen, sonst wird es da zu heiß.“ Jetzt gerade wäre es perfekt.

Jacke aus, Pulli aus, T-Shirt-Wetter!

Übernachten kann man im Auerhahn nicht, um 18 Uhr ist hier Feierabend. Auf ins Hotel. Der Abend ist kurz, die Nacht länger. Tag drei wird sportlich. 22 Kilometer, noch einmal über Schneefelder. Das letzte Mal. Der Wald wird schnell lichter, es geht über Felder, die goldbraun leuchten. Der Weg kreuzt nun nervig oft die Landstraße, es geht weiter durch Ortschaften, die so blitzblank aussehen, als hätten die Einwohner kollektiven Frühjahrsputz betrieben. Jacke aus, Pulli aus, T-Shirt-Wetter! Ein Biergarten täte der Wanderung jetzt gut. Fanta und Bifi von der Tankstelle tun es auch. In den Dörfern hängen Plakate für die Landratswahl. Vor allem AfD-blau, einige „Patrioten“-braun. Die einzige trübe Aussicht an diesem Tag.

Der Schlussspurt geht nochmal durch den Wald, der warme Tag und die anstrengende Steigung treiben den Schweiß und einen selbst voran ins Ziel. Masserberg, Kurort. Mit Rollatoren und auf Krücken kommen die Patienten aus den Rehazentren, um die Nachmittagssonne und eine Zigarette auf den Parkbänken zu inhalieren. Kein freier Fleck mehr, nirgends. Jetzt bloß noch essen und sitzen. Die letzte Handlung am Abend wird sein, die Muskeln im Hotelpool zu lockern.

Der nächste Besuch eines Schwimmbeckens in diesem Jahr wird ganz sicher in einem Freibad sein.

Reisetipps für Thüringen

Hinkommen

Von Berlin mit der Bahn nach Zella-Mehlis über Erfurt. Knapp drei Stunden Fahrzeit, Tickets ab zirka 70 Euro pro Strecke. Vom Bahnhof bis zum Wandererparkplatz sind es mit dem Taxi zehn Minuten, etwa 20 Euro.

Unterkommen

Die Neue Gehlberger Hütte ist rustikal eingerichtet. Übernachtet wird im Mehrbettzimmer oder im Schlafsaal. 35 Euro pro Nacht inklusive Frühstück. Ein Hüttenschlafsack ist Pflicht. schneekopf.eu

Das Hotel Gastinger in Schmiedefeld liegt fußläufig etwa 20 Minuten vom Rennsteig entfernt. Doppelzimmer kosten pro Nacht 78 Euro. hotel-gastinger.de

Das Boutique Hotel Residenz liegt am Rande des Kurorts Masserberg. Eine Nacht im Doppelzimmer kostet ab 98 Euro, Sauna- und Poolnutzung inklusive. residenz-thueringen.de

Rumkommen

Ein bisschen abseits des Rennsteigs, in Stützerbach, liegt das Waldgasthaus Auerhahn. Wer fragt, bekommt vielleicht Einblick ins Gästebuch. Die Einträge reichen zurück bis vor den Zweiten Weltkrieg. Die Küche ist deftig, jedoch nur Tagesbetrieb bis 18 Uhr. waldgasthaus-auerhahn.de

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