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Der Führer als neuer Heiland: Adolf Hitler bei einer Weihnachtsfeier in der Reichskanzlei 1937.

© ullstein bild

Wie die Nazis Heiligabend umdeuteten: Weihnachten unterm Hakenkreuz

"Kein Fest ist so deutsch wie das Weihnachtsfest": Eine Berliner Lehrerin stößt in einem Archiv in Sachsen zufällig auf eine Anleitung, wie die Deutschen den Heiligen Abend in Hitlers Sinn feiern sollten.

Dieser Umschlag gehört eindeutig nicht dorthin. Er ist braun, unbeschriftet, oben zugeklebt. Wahrscheinlich falsch abgeheftet, womöglich noch nie geöffnet. Wird Zeit, dass es einer tut. Es könnte ja ein Geheimnis darin stecken.

Wie uncool, haben meine Schüler gesagt, als ich ihnen verraten habe, wie ich dieses Jahr meine Sommerferien verbringen würde: nach Sachsen fahren und mich dort in Archive vergraben. „Und so was nennen Sie Urlaub, Frau Biernath?“ Ich gebe zu, es klingt ausgefallen, sich mitten im Hochsommer mit erzgebirgischer Volkskunst zu befassen – genauer gesagt dem Schwibbogen. Diesem altmodischen, halbkreisförmigen Holzleuchter, den man seit den 1990er Jahren im Advent auch immer öfter hinter Berliner Fenstern sieht. Eigentlich ist das ja Oma-Kunst, aber ich habe mich in die Schwibbögen verliebt, und nun wollte ich wissen, woher sie kommen, ihre Geschichte recherchieren und am Ende ein Buch über sie schreiben.

So bin ich nach Dresden in das Archiv des „Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde“ gekommen. Draußen brütende Hitze, drinnen blättere ich im Nachlass des Volkskundlers Karl-Ewald Fritzsch. Nachlässe sind für Historiker wahre Fundgruben, hier kann man Schätze finden, über die keine Bibliothek verfügt. So wie diesen braunen Umschlag. Der, wie ich finde, jetzt endlich geöffnet werden muss. Mir ist schließlich der gesamte Ordner zur Benutzung übergeben worden.

Vorgezogene Bescherung für Historiker

Ich überwinde meine Scheu und reiße die Lasche auf. Drinnen steckt ein 20-seitiges Manuskript. Maschinengeschrieben, nummeriert, keine handschriftlichen Anmerkungen, keine Korrekturen. Datum: November 1937. Als Verfasser ist das Heimatwerk Sachsen aufgeführt, Fachreferat: Brauchtumspflege. Das Dokument ist streng untergliedert. Punkt 1: Das Weihnachtsbrauchtum. Punkt 1.a): Der Weihnachtsbaum. 1.b): Schmuck des Weihnachtsbaumes. Und so weiter ... Es handelt sich um eine detailreiche Anleitung, wie in Nazi-Deutschland Weihnachten zu feiern war. Für einen Historiker kommt das einer vorweihnachtlichen Bescherung gleich. Mein Herz schlägt schneller.

Das Heimatwerk Sachsen kenne ich bereits von meinen Recherchen. Ein 1936 gegründeter Verein, eng mit der NSDAP verflochten, dessen Aufgabe es war, die sächsisch-germanische Kultur erblühen zu lassen, als leuchtendes Beispiel wahren Deutschtums. Das Heimatwerk unterstand Gauleiter Martin Mutschmann, einem glühenden Hitler-Verehrer und Antisemiten, es war allein „deutschblütigen“ Mitgliedern vorbehalten. Deren genaue Zahl ist heute unbekannt, in den letzten Kriegstagen wurden die meisten Dokumente vernichtet.

Gleich die erste Seite des Texts beginnt mit einem Paukenschlag. „Kein Fest ist so deutsch und so eng mit der Glaubenswelt unserer Vorfahren verbunden wie das Weihnachtsfest“, steht dort. Allerdings sei es kein christliches Fest, sondern vielmehr gegen den Willen der Kirche eingeführt worden. Priester hätten es nur nachträglich in ihrem Sinne christlich umzudeuten verstanden. Das „tiefe Mysterium der deutschen Weihnacht“ könne nur begreifen, wer es „in seiner Ursprünglichkeit und Unverfälschtheit empfindet“. Ziel der vorliegenden Seiten sei es daher, den wahren Sinn des Festes ins rechte Licht zu rücken.

Im Sonderzug zur sächsischen Weihnacht

Ich weiß, wie sehr Weihnachten den Nationalsozialisten am Herzen lag. Bereits 1935 organisierten sie in Berlin unter dem Funkturm eine gigantische deutsche Weihnachtsschau. Jeder Gau des Reichs präsentierte sein Brauchtum, Goebbels sah man mit leuchtenden Augen samt seinen Kindern auf den Titelseiten der Berliner Zeitungen. In den Folgejahren überzogen die neuen Machthaber das Land mit ihren Weihnachtsschauen. Sachsen und das Erzgebirge waren dabei von besonderem Interesse: 1937 wurde in Schwarzenberg etwa die „Feierohmdschau“ zelebriert. Die Reichsbahn stellte Sonderzüge zur Verfügung, und aus dem ganzen Land wurden Menschen in den kleinen Ort im Erzgebirge gebracht, um deutsche Arbeiterkunst in Form der erzgebirgischen Volkskunst zu bewundern. Der deutsche Mensch, so der Tenor, sei auch am Feierabend nicht müßig, sondern betätige sich künstlerisch, selbstverständlich in nationalsozialistisch angeleiteten Gemeinschaften.

"Auch die Pfefferkuchen haben Symbolgehalt"

Der Führer als neuer Heiland: Adolf Hitler bei einer Weihnachtsfeier in der Reichskanzlei 1937.
Der Führer als neuer Heiland: Adolf Hitler bei einer Weihnachtsfeier in der Reichskanzlei 1937.

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Im Zentrum der deutschen Weihnacht, so stellt das Manuskript des Heimatwerks Sachsen klar, soll der heidnisch-germanische Weihnachtsbaum als „Heiligtum der Familie“ stehen. Geschäften und Wirtshäusern sei das Aufstellen nicht gestattet, ein „schöner Brauch“ bestehe allerdings darin, einen „Weihnachtsbaum für alle“ zu errichten – also im ganzen Reich in jedem Ort zentral und öffentlich einen Baum mit Lichtern zu schmücken, von dem sich die Familien ihr Licht mit nach Hause nehmen konnten. „Es muss jedoch vermieden werden, dass in einem Orte mehrere Bäume zur Aufstellung kommen“, heißt es streng.

Die Bezeichnung „Christbaum“ ist laut dem Fachreferat des Heimatwerks dagegen irreführend und zu unterbinden. Zur Inszenierung des Weihnachtsbaumes gehöre auch seine ausschließliche Verwendung und sein Aufbau am Weihnachtsabend – eigentlich dem traditionellen Zeitpunkt für den Aufbau der Krippe. Auf vorweihnachtlichen Feiern solle das Symbol von lebensspendender, immergrüner Fruchtbarkeit dagegen nicht verwandt werden. Lichterkränze seien möglich.

Systemtreuer Baumschmuck mit Hakenkreuz

Dass es sich bei der „Weihnachtsbaum für alle“-Kampagne nicht bloß um papierene Kopfgeburten eines Referenten des Heimatwerks handelt, sondern um tatsächlich gelebte Praxis, belegen andere Quellen, zum Beispiel die zusammenfassenden Berichte der Fragebögen des nationalsozialistischen Lehrerbundes. Pro Stadt hat dafür ein Lehrer über alle Weihnachtsbräuche vor Ort minutiös Buch geführt. Die Ergebnisse sind dann für jede Region zusammengefasst worden. In diesem Rahmen wird im Kreis Aue von der umfassenden Aufstellung dieser öffentlichen Bäume auf Marktplätzen, vor Kirchen und Rathäusern berichtet. Die vorrangig verwendete Baumart sei die Fichte, ist dort mit penibler Lehrergenauigkeit festgehalten. Daneben gebe es aber auch Tannen als böhmische Exportware. Kiefern seien eher selten. Sogar die Baumaufstellung in den Privatwohnungen wurde überprüft. Es wird betont, dass die traditionellen Pyramiden und Weihnachtsberge den Baum nicht verdrängten, sondern zusätzlich aufgestellt würden. Nur bei Platzmangel fehle in den Familien ein Baum.

Natürlich unterliegt auch sein Schmuck einem strengen Reglement, jede christliche Andeutung solle vermieden werden, erklärt das Heimatwerk. Äpfel und Nüsse seien „Künder des neuen Lebens“ und gehörten deshalb unbedingt an den Baum. „Auch die Pfefferkuchen haben Symbolgehalt: Pferd, Schwein, Hase und Hahn, die alten Runensinnbilder Sechsstern und Radkreuz ... Auf die Spitze des Baumes stecken wir das heilige Zeichen unserer Vorfahren: das Hakenkreuz oder Sonnenrad.“ Um Gestaltungsbeispiele für systemtreuen Baumschmuck zu finden, empfehlen der oder die Autoren einen Blick in BDM-Zeitschriften.

Die nicht germanische, abwertend als „orientalisch“ bezeichnete Krippe hingegen solle möglichst dem Weihnachtsbaum weichen. Wo sie bestehen bleibe, müsse sie aber zumindest eingedeutscht werden. Hinter dem Begriff „orientalisch“ verbarg sich der eigentliche Stein des Anstoßes, Jesu Verankerung im Judentum. Die morgenländische Umgebung wird daher zur deutschen Landschaft in „herber Schönheit“ umgedeutet.

Fritz Thost, ein bekannter Schnitzwart der Nazis aus Schneeberg, hat bereits 1937 anlässlich der „Feierohmdschau“ befriedigt festgestellt, dass die orientalischen Krippenmodelle, die es vor Hitlers Machtübernahme fast ausschließlich gegeben hatte, mehr und mehr der deutschen Krippe gewichen seien. Die Krippe war zur Bergschmiede oder Köhlerhütte geworden. Bergmänner und Kräuterweibchen ersetzten die Heiligen Drei Könige. Im Rahmen der „Feierohmdschau“ sind auch die biblischen Figuren der berühmten Kraußpyramide, einer überlebensgroßen Pyramide im Herzen von Schwarzenberg, herausgebrochen und durch deutsche Krippenfiguren ersetzt worden.

Der Nikolaus sollte Knecht Ruprecht weichen

Der Führer als neuer Heiland: Adolf Hitler bei einer Weihnachtsfeier in der Reichskanzlei 1937.
Der Führer als neuer Heiland: Adolf Hitler bei einer Weihnachtsfeier in der Reichskanzlei 1937.

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In dem Heimatwerk-Manuskript ist diese Entwicklung bereits angelegt. Maria ist demnach die deutsche Mutter, das Christkind liegt nicht mehr in der Krippe, sondern wird in eine Wiege umgebettet und steht somit für die immerwährende Erneuerung des deutschen Volks. Zu ihm pilgern dann deutsche Arbeiter und Bauern.

Auch der Verkündigungsengel ist den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. So wechselt er kurzerhand das Geschlecht und wird zu einer weiblichen Lichtgestalt der germanischen Mythologie. Da scheint es nur konsequent, dass auch dem heiligen Nikolaus im Vorfeld des Weihnachtsfestes der Kampf angesagt wird: Er solle dem Knecht Ruprecht weichen, der mit Rute, Äpfeln und Nüssen für die viel beschworene Fruchtbarkeit antrete.

Passend zur Umdeutung zentraler Symbole wird auch die Ausgestaltung des Festes neu definiert. So soll beispielsweise uraltes christliches Liedgut durch „angemessenere Liedchen“ ersetzt werden. Die im Manuskript des Heimatwerks gleich mitgelieferten Kostproben klingen aus heutiger Sicht kurios, wie zum Beispiel ein Stück von Hans Baumann: „Eine Mutter geht in die Welt hinein und wird so müde wie ein Stein. Doch ein Baum wird wach und ist ihr ein Dach …“ Aber auch Sonnenwendlieder („die Zeit ist reif, es dreht das Sonnenrad zu neuem Lauf“) und Fruchtbarkeitsgesänge, die man biologisch nicht so genau nehmen darf („Es wächst viel Brot in der Winternacht“) entsprechen dem neuen Zeitgeist. Wie viele von ihnen tatsächlich jemals gesungen wurden, ist nicht bekannt.

Sternsänger als Sonnenradträger

Und die Bescherung? Wird vom Fachreferat für Brauchtumspflege zur Julklappfeier mit neckischen Versteckspieleinlagen in Haus und Garten umgedeutet. Die Neuinterpretation der Sternsänger als Sonnenradträger zu Beginn des neuen Jahres schließt den Reigen des alternativen weihnachtlichen Brauchtums ab. Das gesamte Fest kommt dann ohne Christus aus. Es ist eine germanische Fruchtbarkeitsjubelfeier.

Auch die vorweihnachtliche Adventszeit bleibt von der nationalsozialistischen Neuinterpretation nicht verschont. Weihnachtliche „Volksspiele“ trachteten danach, „der Christgeburtsgeschichte immer wieder einen deutschen Stempel aufzudrücken“, heißt es im Manuskript. Märchenaufführungen verdrängten das Krippenspiel. Je nach Adressatenkreis seien diese Feiern unterschiedlich ideologisch aggressiv aufgeladen.

So stehe bei Abenden im Frauenkreis die Frau als Hüterin der deutschen Weihnacht im Fokus des Interesses. Die Feiern im Männerkreis betonten dagegen den Kampf, Krieg und Weihnachten im Felde. Es würden Gedichte rezitiert. Auch eine Gedenkminute fehle nicht: „So haben wir Weihnachten verbracht im Felde, in der Kampfzeit, bei den Auslandsdeutschen. Immer war einer bei uns ... Er ist auch heute bei uns. Wir grüßen ihn!“ Es ist nicht Jesus gemeint, sondern Hitler, der Heiland der Deutschen.

Die deutsche Weihnacht sollte den Glauben verdrängen

Offiziell ist im Dritten Reich immer wieder betont worden, dass nationalsozialistische Weihnachtsfeiern keineswegs das Ziel hatten, den Einfluss der Kirchen zu verdrängen. Das Manuskript des Heimatwerks Sachsen beweist das Gegenteil. Weil es sich hier eben um interne Anweisungen handelt, die nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen waren, können die Autoren offen und recht drastisch aussprechen, dass es genau darum ging: den Glauben zu verdrängen.

Inzwischen habe ich meinen Schülern über meinen Fund Bericht erstattet. Zumindest die historisch und religiös Interessierten unter ihnen haben erstaunlich aufmerksam zugehört. Einer von ihnen hat sich gemeldet und gesagt, dass wir in unserer heutigen Zeit eigentlich diese Gewichtsverlagerung von der Krippe auf den Weihnachtsbaum vollendet hätten. Der Baum ist allgegenwärtig, die Krippe dagegen fast völlig aus dem öffentlichen Raum und Bewusstsein verschwunden. Ganz falsch liegt er damit nicht.

Andrea Biernath

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