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Guide Isaac Kalio fährt Safaritouristen durch die Busanga-Ebene.

© Candice Culbert

Wildhüter in Sambia: Und Isaac lernte, die Tiere zu lieben

In seinem Heimatdorf waren Elefanten ein Festmahl. Flusspferde vertrieb er mit brennenden Holzscheiten. Auch heute jagt Isaac Kalio jedem Löwen hinterher - doch nicht, um ihn zu töten. Als Guide will er Reisenden Sambias Wunder zeigen.

Wenn Isaac Kalio von Mister Busanga redet, könnte man meinen, es handle sich um Sambias größten Popstar. So ein kräftiger Kerl, volle Mähne und natürlich tolle Frauen! Mister Busanga ist ein Löwe, und sein Bewunderer ein Guide im Kafue-Nationalpark.

Wilde Tiere respektieren, womöglich sogar „lieben“, wie Kalio sagt? Als die Mutter des 39-Jährigen das zum ersten Mal hörte, war sie entsetzt. Tiere sind gefährlich, aggressiv, Feinde. Das hat sie ihrem Jungen eingebläut. Sie hat ihn mit seinen zehn Geschwistern durchgebracht, in einem kleinen Dorf am Sambesi im Süden Sambias.

Wenn der Vater als Bauarbeiter übers Land zog, hat sie nachts mit dem Sohn auf einem Hochsitz geschlafen, bis die Flusspferde aus dem Sambesi kamen. Mutter und Sohn haben mit brennenden Holzscheiten nach den Hippos geworfen, damit diese nicht das Maisfeld vernichteten, sondern panisch in den Fluss zurückliefen.

Eine große Pest

Heute sagt man dazu Mensch-Tier-Konflikt. In den 70er Jahren gab es keinen Konflikt, es gab nur Kampf. Flusspferde, Warzenschweine, Elefanten - alles Gegner. „Eine große Pest“, schimpfte der kleine Isaac die Dickhäuter.

Wenn einer der Nachbarn einen Elefanten erlegt hatte, feierte das ganze Dorf zusammen. 200 Menschen, die das Tier ausnahmen und aufaßen. Endlich Fleisch! Was für ein Festtag! Im Dorf hatte niemand davon gehört, dass viele dieser Tiere vom Aussterben bedroht waren. Sie kamen doch jede Nacht.

Knapp 30 Jahre später sucht Kalio mit seinem Fernglas die Busanga-Ebene im größten Nationalpark Sambias ab. Kafue ist halb so groß wie die Schweiz, reich an Tieren und nur mit wenigen Lodges bebaut. Der Park wurde 1924 gegründet, pro Jahr kommen 10 000 Besucher.

Kafue hat weniger Touristen als die Serengeti

In die Serengeti in Tansania, die etwa ein Drittel kleiner ist, reisen knapp 350 000 Touristen. Die Savanne von Kafue steht nach der Regenzeit fünf Monate unter Wasser und wird in der Trockenzeit zum strohgelben Grasmeer. Kniehohe Termitenhügel erinnern darin an verwitterte Grabsteine.

Haben Sie sich dieses Leben erträumt, Mister Kalio? Isaac, bitte, mit dem Nachnamen rede ihn niemand an, sitzt in seinem Jeep und lacht. Er kann sich einen Tag ohne Tiere nicht mehr vorstellen. Wenn Isaac Elefanten sieht, sagt er: „Wunderschön.“ Taucht ein Löwe auf, ist er aufgeregt und gibt Gas. „Let's go!“

Er startet seinen Toyota-Jeep mit Vierradantrieb. „Ferrari-Safari“, sagt Isaac, wenn es schneller gehen soll hinüber zu den Akazienbäumen in der offenen Ebene. „Die Straße zum Erfolg“ nennt er den buckeligen Weg, weil nichts im Leben einfach glatt läuft.

Er konnte weder schreiben noch Englisch

Ein Löwe streift um das Shumba Camp in Sambia.
Ein Löwe streift um das Shumba Camp in Sambia.

© Wilderness

Wie hat das alles angefangen, Isaac? Der Guide sitzt hinter dem Lenkrad, rechter Platz vorne, Sambia war schließlich mal britische Kolonie, und erzählt. Vom ältesten Bruder, der ihn mit zehn Jahren aus dem Dorf in die 500 Kilometer entfernte Stadt Kitwe holte, die zweitgrößte des Landes, und ihn auf eine richtige Schule schickte.

23 Jahre älter war der Bruder, arbeitete als Buchhalter und war geschockt, dass der junge Isaac weder seinen Namen schreiben konnte noch Englisch, die Amtssprache, verstand. „Bis dahin hatte ich noch nicht mal Schuhe“, erzählt Isaac. Er war nicht imstande, die Bibel zu lesen, wusste nicht, was ein Lichtschalter war. „Ich habe jeden Abend gebetet, dass Gott mir Englisch beibringt.“

Der Guide fährt über Holzstämme, die über einen Wasserlauf führen. Die „Oh-My-Gosh- Brücke“, haben die Guides sie getauft, weil die amerikanischen Touristen immer kurz davor ängstlich ausrufen: Oh my gosh! Jeden Morgen um halb sieben und jeden Nachmittag um halb vier fährt Isaac mit Gästen hinaus auf die Busanga-Ebene, immer im Radius von maximal 25 Kilometern. Drei Stunden, vier Stunden.

Bitte mal Reifen überprüfen

Er gibt Regeln vor: Nicht aufstehen im Auto, nicht laut schreien, nicht aus dem Wagen springen. Will eine der Damen austreten, also „Blumen pflücken“, wie er sagt, kontrolliert er kurz vorher das Gelände. Der Code für die Herren lautet: „die Reifen überprüfen“.

Isaac, schweif nicht ab! Wie kamst du nun zu den Löwen? Der kräftige Mann mit dem kahl rasierten Kopf und dem akkurat getrimmten Kinnbart lacht. „Eigentlich wollte ich Lastwagenfahrer werden.“ Als er das erste Mal Straßenteer in Kitwe roch, dachte er: Das ist der Geruch der großen weiten Welt. Wie toll müsste es sein, darauf zu fahren.

Doch dann besuchte er als Teenager einen anderen Bruder von ihm, der auf Kanusafaris mit Touristen paddelte. „Was ist Safari?“, wollte Isaac wissen. Der Ältere zeigte ihm ein Foto von seiner Arbeit. Lauter Weiße und ein Schwarzer. „Die Weißen hören auf dich?“ Ja, Bruder, die tun alles, was ich sage. Isaac konnte das nicht fassen. Weiße, das waren doch „die intelligentesten Wesen der Erde“.

Kolonialismus in den Köpfen

Er dreht sich nun kurz um, weil er weiß, wie komisch derselbe Satz 20 Jahre später klingt. Der Kolonialismus, Isaac zuckt mit den Schultern. Man bekam ihn schwer aus den Köpfen, auch wenn Sambia 1964 seine Unabhängigkeit erkämpfte.

Die Engländer hatten eine Art Apartheid in Rhodesien, wie die Kolonie damals hieß, eingeführt. Ein Klassen-System, ganz unten die Schwarzen, denen Schulbildung versagt blieb. Die „Masters“, die Weißen, beleidigten die Einheimischen als Dummköpfe. So oft, bis viele Schwarze das selbst glaubten.

Der Jeep ist nun an einer Bauminsel angekommen. Ein Löwenmännchen trottet aus der Savanne in den Schatten, legt sich wie vom Blitz gefällt hin und hechelt müde. „Das ist einer der beiden Nomaden“, sagt Isaac, fünf Meter Luftlinie entfernt. Jeder Löwe bekommt von den Guides einen Namen. „Und da kommt Grandma.“ Zu erkennen an der Verletzung ihrer rechten Flanke.

Fünf Mal Löwensex

Grandma hat etwas vor: Sie grunzt, schnurrt und stupst den Nomaden so lange an, bis er sich aufrappelt und mit ihr paart. Höchstens 20 Sekunden dauert Löwensex, zum Schluss röhrt der Nomade und fällt sofort wieder ins Koma. Isaac guckt auf seine Uhr. „In 15 Minuten geht das Spiel von vorne los.“ Es dauert 18 Minuten. Vier Mal noch paaren sich die beiden. Dann hat Isaac genug gesehen.

Das Shumba Camp, für das er arbeitet, ist berühmt für seine Löwen. Der Name leitet sich von dem Wort der Einheimischen für die Raubkatzen ab. Sechs Stelzenhäuser gruppieren sich um ein Panoramadeck mit Restaurant und Mini-Pool. Es gibt kein W-Lan, dafür Analogblick bis zum Horizont. Die Filter heißen Morgensonne, Nachmittagssonne und Abendsonne. Isaac ist froh, dass die Hitzewelle abgeklungen ist. Es sind nur noch 37 Grad. Nachts kühlt es sich auf 18 ab.

Diese vielen braunen Vögel

Vom Deck des Shumba Camps wandert der Blick über den Kafue-Nationalpark.
Vom Deck des Shumba Camps wandert der Blick über den Kafue-Nationalpark.

© Wilderness

Fünf Uhr morgens. „Knock, knock, wake-up call.“ Wie war die Nacht? Isaac grinst. Alle Gäste haben das tiefe Brüllen gehört, fünf Löwen meint Isaac ausgemacht zu haben. Nur gesehen hat sie niemand.

Isaac packt die Thermoskanne mit Kaffee in den Wagen. Er steckt Mückenspray in eine Umhängetasche hinter seinem Sitz, „für die Haut“, und das richtig aggressive Zeug in eine andere. Damit wird nur der offene Wagen eingesprüht. Auf der Tube steht „Doom“, Untergang. Danach fällt garantiert jede Tsetsefliege um.

Lernen, unhöflich zu sein

Isaac startet den Motor, erzählt, wie er ausgebildet wurde. 2000 erhielt er seine Lizenz als Kanu-Guide auf dem Sambesi. Musste aufpassen, den Flusspferden genügend Raum zur Flucht zu geben, das Boot im flachen Wasser manövrieren, damit die Tiere in die Tiefe abtauchen können.

Danach besuchte er eine Schule, lernte, dass Krokodile ihr Maul aufreißen, weil sie damit die Körpertemperatur regulieren - und nicht, weil sie darin Fliegen fangen, wie es die Mutter ihm erzählt hatte. Er büffelte lateinische Namen und verzweifelte an „little brown jobs“. Kleine braune Vögel, die für ihn alle ähnlich aussahen.

Seit 2008 arbeitet Isaac in den Busanga Plains. Er lernte, unhöflich zu werden. Denn Menschen in die Augen zu schauen, wenn man mit ihnen redete, kam in seiner Familie einer Provokation gleich. Er verstand, was die Ausländer mit Urlaub meinten. Ihn hatte nie der Wunsch gequält, das Meer zu sehen, er wollte in seiner Freizeit die Familie besuchen.

Und die musste begreifen, dass er kein Fleisch nach Hause mitbringen würde, weder zartes Warzenschweinsteak noch fette Flusspferdschwarte. Wildtiere waren keine Feinde mehr, die man vernichtete, sie wurden zum Lebensunterhalt der Familie.

Mit einem Range Rover seine Jungs mitnehmen

Vier Söhne und eine Tochter hat Isaac mit seiner Frau, sie leben in einer kleinen Stadt im Süden des Landes. Isaac arbeitet zwei Monate durch, dann hat er zwei Wochen frei, fliegt 90 Minuten mit dem Kleinflugzeug in die Hauptstadt Lusaka und fährt von dort drei Stunden mit dem Bus.

Er hat einen alten Range Rover gekauft, will seine Jungs einmal auf eine Safari mitnehmen und ihnen zeigen, was die Natur in Sambia alles bietet. Sie sind die Zukunft, sie müssen die Tiere schützen, wenn er nicht mehr da ist.

Die Löwen liegen heute nördlich vom Camp. Zwei Männchen, ein Weibchen. „Princess“, sagt Isaac, Merkmal: Bisswunde am linken Ohr. Und wo steckt Mister Busanga? Isaac erzählt von zwei Rudeln wie von zwei Parteien im Parlament, der Koalition zwischen den beiden, die jahrelang hielt, bis die zwei Nomaden vor ein paar Monaten kamen. Mister Busanga, der Schrecken der Ebene, hatte keine Lust mehr zu kämpfen und verschwand.

Das Paradies ist hier

Der Jeep rollt durch eine sattgrüne Ebene voller Gnus, Zebras und ein paar Flusspferden in einem Tümpel. Isaac breitet die Arme aus. „Wenn ich zu Hause bin, fehlt mir das.“ Das ist das Paradies, findet er, - und deshalb haben die Guides der Busanga-Ebene diesen Teil des Parks so genannt: Paradise.

Issac hält unter einem Feigenbaum und erkundet die Umgebung. Ist es sicher, auszusteigen? Klar, doch. Plötzlich raschelt es. Ein Leopard faucht vom Baum herunter. Die scheue Raubkatze flitzt einmal den Stamm hoch und wieder herunter. Schrecksekunde, Adrenalin, Endorphin. Was für ein Glück, ein Leopard!

Safari ist wie Schatzsuche“, sagt Isaac. Man weiß nie, was man findet. Er guckt durch das Fernglas. Vielleicht taucht Mister Busanga eines Tages wieder auf.

REISETIPPS FÜR SAMBIA:

HINKOMMEN

Ab 600 Euro mit Air France und Kenya Airways bis Lusaka.

UNTERKOMMEN

Sambia-Rundreisen gibt es bei Abendsonne Afrika (abendsonneafrika.de). Eine Zubuchung drei Tage Vollpension im Shumba Camp inklusive Ausflüge und Zubringer kostet ab 3455 Euro pro Person.

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