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Wo Goethe dichtete: Ultimatum für das Brentanohaus

Goethe schrieb und trank bei den Brentanos im Rheingau. Das Haus blieb seitdem im Besitz der Familie. Bis 30. September muss ein Wunder passieren, sonst wird es verkauft.

Wirtschaftlich ist das hier alles nicht, sagt die Baronin. „Tradition hin oder her.“ Ihr Mann, Udo Baron von Brentano, schraubt an einem spätsommerlichen Sonnabend seinen markenrechtlich geschützten „Goethewein“ auf, Kabinett halbtrocken, 2008.

Alles, was Johann Wolfgang von Goethe einmal berührt hat, verwandelt sich ja in Gold. Udo von Brentano hat da einen Schatz, den er jetzt leider versilbern muss: Den Sitz seiner Familie, ehemaliges Sommerhaus der Brentanos, Kulturdenkmal „von nationaler Bedeutung“, seitdem sich im Salon die Brüder Grimm trafen, Bettina von Brentano, spätere von Arnim, und Freiherr vom Stein. Um nur einige zu nennen. Und eben Goethe, der mehrmals kam, zuerst im September 1814. Er hat auf den gemütlichen Rosshaarmatratzen geschlafen und an der Dienstbotenklingel gezogen, sich beim Essen gierig gezeigt und gedichtet. Sein Arbeitszimmer und sein Schlafzimmer sind noch original erhalten. Den Riesling des Hauses erklärte er zu seinem Lieblingswein und ließ ihn sich überallhin nachschicken.

Zwischen dem ewigen Ruhm Goethes und der Sterblichkeit des Barons entsteht nun ein delikates Spannungsverhältnis. Udo von Brentano, 63 Jahre alt, hat dem Land Hessen nach über zweijährigen Verhandlungen ein Ultimatum gestellt, dessen Ziel es ist, seinen Familiensitz, diese Hochburg der deutschen Romantik, in seine Rente zu verwandeln. Er möchte 2500 Euro monatlich haben, 30 Jahre lang. Dazu verlangt er eine einmalige Zahlung von 100 000 Euro für historische Möbel, die Einrichtung der Gaststätte „und zahlreiche mediterrane Kübelpflanzen“. So schrieb er es an Staatssekretär Ingmar Jung, Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Kopien gingen an das Landesamt für Denkmalpflege und das Freie Deutsche Hochstift, das sich in Frankfurt um das Goethehaus kümmert.

Es wäre, sagt der Baron, „der Königsweg“, wenn das Land in Verbindung mit der Stiftung sein Haus übernimmt. Dann wäre das kulturelle Erbe gesichert.

Eine knappe Million Euro sind einerseits recht wenig Geld, wenn man die Lage der 17-Zimmer-Immobilie in Winkel im Rheingau betrachtet, den historischen Wert des Hauses, den Hektar Weinberg, der dazugehört, 96 Prozent Riesling, vier Prozent Spätburgunder, das zum Gästehaus umgebaute alte Badehaus im Garten, die Remise, das Taubenhaus – und den Gutsausschank, den man verpachten kann. Auf dem „freien Markt“, sagt Brentano, bekäme er natürlich ein Vielfaches.

Andererseits.

Andererseits sind die originalen Stoffe in den Museumsräumen kurz davor, sich aufzulösen. Sie nach historischen Vorlagen nachzuweben, Tapeten mit handgeschnitzten Holzmodeln nachdrucken zu lassen, kostet „Geld, das ich nicht habe“. Der Sanierungsbedarf ist nach Schätzung des Landes höher als der Kaufpreis. Da der Ruhm Goethes ewig ist, das Alter des Udo von Brentano aber stetig voranschreitet, gerät er nun in Zeitnot. Trotzdem werde er alle privaten Angebote, die er aufgrund der Berichterstattung über sein Ultimatum erhält, ignorieren. Aber nur noch bis zum 30. September.

Die Baronin sagt: „Wir haben schon geblutet für das Haus und die Tradition.“ Es ist nämlich auch Tradition bei den Brentanos, das Haus nicht zu vererben, sondern auf Rentenbasis an die nächste Generation weiterzugeben. So sichert es jeweils deren Altersversorgung. Jahrelang haben sie selbst Raten an seine Eltern bezahlt.

Goethe trank "ganz fürchterlich"

Früher, sagt die Baronin, war es keine Frage, ob eines der Kinder das Haus übernimmt. Udo von Brentanos älterem Bruder jedoch, „einem Traumtänzer“, hätte man es nicht überlassen können.

Also Udo. Udo, der in Marburg Jura studiert hatte, sich aber auch mit der Idee des Winzers anfreunden konnte. Der sich in Geisenheim zum Diplom-Önologen ausbilden ließ. Der1979 einzog.

Das Ehepaar, umgeben von einem verwunschenen, mediterranen Garten mit prächtigem Oleander, alten Bäumen und auratischem Gemäuer, gibt sich unsentimental. Rigoroser als sie, sagt Angela von Brentano, sei noch ihr Mann mit seinem Willen zum Verkauf. Obwohl er in diesem Haus geboren wurde. Seine Mutter lebte hier noch mit neun Bediensteten. Das Ehepaar hat, seitdem es eingezogen ist, den Gutsausschank verpachtet. Udo von Brentano verkleinerte die zehn Hektar Weinberg irgendwann auf einen. Sie weiteten die Bepflanzung des Gartens aus mit Oleander, Feigen, Zitrusfrüchten. Wässern, pflegen, Schnitt, Ausbau des Weins – mit Ausnahme von Abfüllung und Lese macht der Baron alles selbst. „Ich bin mein eigener Hausmeister, Verkäufer, Kellermeister.“ Seine Frau veranstaltet Führungen, Konzerte und Lesungen in den historischen Räumen. Sie haben sich daran gewöhnt, dass ihr Privathaus zugleich öffentliches Museum ist. Daran, dass immer mal jemand an der Glocke bimmelt. Denjenigen führt die Baronin dann in den ersten Stock, in Goethes Zimmer und den beeindruckenden historischen Salon.

Es braucht keine Experten, um zu sehen, dass man sofort den Verfall stoppen muss, sonst löst sich die Romantik hier noch ganz auf. Sie haben mit anderen, dringenderen Sachen angefangen, sagt Angela von Brentano: Dach, Elektrik, Öl-Öfen. Goethes Zimmer blieben sorgfältig erhalten. Alternd, aber original.

Der Dichter arbeitete hier und trank, wie die Hausherrin damals schrieb, „ganz fürchterlich viel“. Vom sogenannten „Jahrhundertjahrgang“ des Jahres 1811. Morgens spazierte er im Nachthemd durch den Laubengang im Garten. Aber die Gardinen in seinen Zimmern haben nun Risse und fransen aus. In losen Fäden liegt der Bezug eines Lehnstuhls über dem Kissen, die Tapeten sind rissig und lösen sich ab. Zwar haben die privaten Zimmer inzwischen Zentralheizung, doch im historischen Teil des Hauses gibt es nach wie vor nur den großen, alten Holzofen im Salon.

Baron von Brentano hält von seiner Verwandtschaft Abstand

Ja, sagt Angela von Brentano, „angeheiratete“ Germanistin, ab und an nutze die Familie den Salon zum Kaffeetrinken und Klönen. Selten feuerten sie den Ofen an. Ihre Gäste schliefen auch mal eine Nacht auf Goethes Rosshaarmatratze.„Es hat einen maroden Charme.“ – Nur, dass von Charme niemand leben kann.

Als sie beschlossen, das Haus zu verkaufen, sind auch sie, wie zuletzt Udos Eltern, auf das Altenteil in das Nebengebäude gezogen. Es habe den Vorteil, sagt der Baron, dass es mit seiner Zentralheizung und den doppeltverglasten Fenstern gleichmäßig warm sei. Hier wollen sie wohnen bleiben. Dieses Gebäude ist vom Verkauf ausgeschlossen.

Quer über den Hof liegt das Taubenhaus. Als die Brentanos noch ihr Handelshaus in Frankfurt hatten, da flogen sommers die Brieftauben zwischen Frankfurt und Winkel hin und her. Die Bahn schafft die Strecke heute in einer Stunde und vier Minuten.

Es gab Jahre, da lief es gut, sagt die Baronin. Die Gaststätte war bewirtschaftet mit einem ehrgeizigen Koch. Aber zuletzt hatten sie auch Pech mit ihrem Pächter, der „auf dem Weg in seinen Konkurs“ keine Miete mehr gezahlt und nach Lust und Laune geöffnet habe.

Drei Kinder haben sie, die sich weder für Weinbau noch für Literatur interessieren. „Nicht ansatzweise.“ Als klar war, dass die Ärztin, der Kaufmann und der Mediengestalter mit ihren eigenen Leben an eigenen Orten das Haus nicht wollten, rief der Baron einen Familienrat ein und kam auf die Lösung mit dem Land Hessen.

Hier jedenfalls sitzt er nun mit seinem Faible für Zahlen. 90 Kübelpflanzen hat er. Die einmal zu wässern dauere 1,5 Stunden, er verbrauche bei jedem Gießgang 700 Liter Wasser. Zur Zeit alle drei Tage, bei Hitze häufiger. Er hat im letzten Jahr auch keinen Wein mehr abfüllen lassen, „das ist alles totes Kapital im Keller“. Den Abfüller soll der Nächste bezahlen.

Will nicht der Rest der Familie das Haus weiter behalten? Schließlich ist er einer von etwa 2000 lebenden Brentanos weltweit. „Von Verwandtschaft halte ich Abstand“, sagt Brentano. Er beherzige ein irisches Sprichwort: „Freunde sind Gottes Entschuldigung für die Familie.“ Das muss als Information reichen.

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