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Könnte man nicht einfach nur sagen: "Schwerer werden lassen?"

© AFP/Cesar Manso

Yoga-Kolumne: Habe ich Sitzbeinhöcker und wenn ja, wie viele?

Müssen wir unsere Körper wirklich "in die Matte schmelzen lassen"? Und wie lässt man "sein Gesicht weich werden"? Unsere Kolumnistin macht sich locker.

Es heißt immer: Ehrgeiz hat im Yoga nichts verloren. Das verstehe und beherzige ich – meistens jedenfalls. Schließlich ist es bei vielen Übungen an und für sich eine Herausforderung, sie korrekt und im Einklang mit Ein- und Ausatmung zu turnen. Dazu noch ein Bein vom Boden abheben, den Arm einmal um die Ecke biegen, nee, ohne mich. Da versinke ich nach Feierabend lieber in Bekanntem. Was bequem ist, aber effektiv.

Seitdem ich mich auf das Wesentliche konzentriere, schärfen sich meine Sinne. Plötzlich höre ich Dinge, die mir zuvor nicht aufgefallen sind. Unheimliche Dinge.

Es ist für Yogalehrer nicht leicht, länger als eine Stunde am Stück zu reden, sportliche Anweisung spirituell klingen zu lassen und dabei immer, nun ja, Sinn zu ergeben. Aber wenn Kommandos nur noch an Malereien von Salvador Dali erinnern, wird die Umsetzung schwierig.

Ein Klassiker des surrealen Yoga ist die Aufforderung, den eigenen Körper ruhig „in die Matte schmelzen zu lassen“. Igitt! Ich verstehe schon den Gedanken dahinter, aber reichte „schwer werden lassen“ nicht auch? Die Vorstellung, dass ich eins bin mit meiner nicht mehr taufrischen, moosgrünen Yogamatte... Dabei habe ich schon mit der Vorstufe des Verschmelzens, dem weich werdenden Gesicht, ein Problem. Wie jetzt, weich? Als ich dies zum ersten Mal hörte, sah ich uns Yogis mit pfannkuchenartigen Fratzen, knochen- und willenlose Lifestyle-Zombies. Aber schön weich.

Wie aber soll ich Herz und Hüfte öffnen?

Zugegeben, je länger man Yoga praktiziert, desto mehr verrückte Kommandos kommen einem mit der Zeit absolut sinnvoll vor. In die Schulterblätter, den unteren Rücken, die Fingerspitzen atmen zum Beispiel. Funktioniert. Selbst als mich neulich jemand bat, ich solle mein Herz mehr zur Hüfte bringen, fand ich das nicht komisch.

Anders verhält es sich, wenn verlangt wird, ich möge Herz oder Hüfte öffnen. Denn auch diese Anweisung gibt es, und in meinen Ohren klingt sie kein Stück poetisch, sondern nach Schlachthof. Und wenn ich mich aus einem „Hüftöffner“, zum Beispiel der Taube, Kapotasana, herauswinde, habe ich manchmal das Gefühl, ich müsste meine Knochen neu ordnen.

Vor einer Woche nun fand ich mich mittendrin in einer neuen Schauergeschichte. Eine Lehrerin, deren Stunden ich erst seit Kurzem besuche, sagte: „Lasst eure Sitzbeinhöcker in den Boden wachsen.“ Selbst wenn ich die Vorstellung nicht ganz so schockierend fand wie jene, mit der Matte zu verschmelzen, bekam ich Gänsehaut. Sitzhöcker, das sind die Stellen am Po, die bei langem Radfahren anfangen wehzutun. Und die sollten nun also wie kleine Wurzeln aus mir heraus, durch das Sitzkissen und hinein in den Berliner Boden stochern.

Sturmerprobte Bäume schließen die Augen

Schon klar, sie meinte: stabilen Sitz finden, nicht rumwackeln. Es klang trotzdem wie im Märchen. Da saßen wir, festgewurzelt wie verzauberte Feen, als uns der nächste Befehl ereilte: „Lasst eure Hände lebendig werden.“ Unten verwurzelt, oben sich wie junge Triebe rankend? Uah!

Dies sind dann jene Gelegenheiten, bei denen ich mich doch vom Ehrgeiz packen lasse. Weil der Wunsch, dieses oder jenes auf einem Bein zu schaffen, stärker ist als der Thriller in Gedanken. Besonders gut gelingt mir das beim Baum, Vriksasana. Linkes Bein auf der Matte, rechten Fuß fest in die Innenseite des linken Oberschenkels drücken, Arme V-förmig nach oben öffnen. Sturmerprobte Bäume, zu denen ich mich in der Not zähle, schließen die Augen. Ja, das wackelt. Aber es funktioniert, wenn man nur, wie soll ich sagen, ganz fest mit dem Boden verwächst.

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