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Monstera deliciosa.

© Fotos aus: „Wohnen in Grün“, Callwey Verlag

Zimmerpflanzen: Die Monstera ist zurück

Vom Lehrerzimmer in die Designerläden: Der Imagewandel dieser Dschungelpflanze scheint unaufhaltsam. Eine kleine Blattkritik.

Paula legte mir die Hand auf die Schulter: „Willst du einen Ableger?“ Zweifelnd schaute ich auf ihren Küchenschrank. Dort, zwischen Schrank und Decke, wucherte ein undurchdringlicher Dschungel fleischigen Blattwerks. Die Pflanze schien weder Anfang noch Ende zu haben, mehrere offenbar absturzgefährdete Stiele hatte meine Freundin mit Bindfäden an der Zimmerdecke fixiert. Es war gigantisch. Gigantisch fürchterlich. Das Gebilde erinnerte mich ungut an Amtsstuben und Lehrerzimmer. Meier, du bist dran mit Monstera gießen! Abgestandenes Wasser in Plastikgießkannen. Hydrokulturen. Unvorstellbar, mit einer Pflanze wie dieser meine Wohnung zu teilen.

Es ging mehr als um einen Staubfänger ...

Es war eine Zeit, in der Dekoobjekte im häuslichen Umfeld den Verrat einer Generation bedeuteten. Das ungeschriebene Gesetz: Matratze auf den Boden, Ascheeimer daneben, kein Teelöffel gleicht dem anderen.

Als ich den Ableger dankend ablehnte, spürte ich Paulas enttäuschten Blick – und dass es um mehr ging als um einen Staubfänger. Ich hatte die Pflege eines geschätzten Lebewesens verweigert. Kein guter Charakterzug.

Danach lebte ich 20 Jahre sehr gut ohne die Gesellschaft von Zimmerpflanzen. Mit anderen Worten: Viel Basilikum vertrocknete, bevor es zu Pesto werden konnte. Irgendwann fragte einfach niemand mehr, ob ich in den Ferien Balkonpflanzen gießen könne.

Kurz anfreunden konnte ich mich nur mit der berechenbaren Sansevieria („Schwiegermutterzunge“), deren Blätter lang, schmal, spitz und speerförmig zulaufend nach oben wachsen und die deswegen – in rechteckige Kübel gepflanzt – in Restaurants als Sichtschutz dienen. Doch auch die Sansevieria konnte ich nicht retten.

Keine Termine beim Bürgeramt? Holen wir es uns eben nach Hause.

Hübsch? Zimmerpflanzen gelten plötzlich als ideale Mitbewohner.
Hübsch? Zimmerpflanzen gelten plötzlich als ideale Mitbewohner.

© Foto aus: „Wohnen in Grün“, Callwey Verlag

Als dann vor einigen Jahren das erste Schaufenster in Berlin-Mitte voller Monstera deliciosa stand, ging ich noch von einem ironischen Zitat aus. Wenn es schon keine Termine beim Bürgeramt gibt, holen wir uns das Amt eben in die Designerläden. Fehlten nur noch die Diddlmäuse und die Postkarten à la „Spontanität muss wohlüberlegt sein“.

Doch die Monstera-Deko blieb kein Einzelfall. Wie es ihre Natur ist, vermehrte sie sich schneller als Bambus im Regenwald. Über Nacht schmückten sich auch die Filialen großer Ketten („Monki“) mit petrolfarbenen Blättern. Selbst die Makramee-Blumenampel erfuhr eine Wiedergeburt, die Blätter erschienen als Druck auf Kissen, Vorhängen, Tapeten und Kleidern.

Eine Extremform von Urban Gardening? Prinzessinnengärten für drinnen? Schlecht kaschierter Eskapismus Zugereister?

Ich rief Paula an.

„Du bist eine Ignorantin“, erklärte sie leidenschaftlich. „Sogar Charles und Ray Eames haben Monstera in ihr Case-Study-Haus gestellt! Ich sage nur: Mid-Century! Pacific Palisades! Schon Henri Matisse hat sie gemalt! Und in Sanssouci waren sie zu höfischen Zeiten das ganz große Tropen-Ding!“

Ein wenig Wasser aus dem Zahnputzbecher reicht der Monstera.

Mein Interesse erwachte nun doch langsam. So war es schon oft gewesen: Ich hatte erst spät ein Handy, spät einen Spotify-Account – und jetzt eben spät eine Monstera, also, Monsteras Baby.

Irgendwie gerührt betrachtete ich das unscheinbare Halbschattengewächs, auch Fensterblatt genannt, und murmelte: „Tja, hoffentlich vertrocknest du mir nicht.“

Ich sprach mit einer Pflanze.

Ich sprach wirklich mit meiner Pflanze! Würde ich bald, auf ein Kissen am offenen Fenster gestützt, Passanten beobachten?

Ab und zu goss ich die Pflanze beiläufig aus dem Zahnputzbecher, das reichte ihr an Aufmerksamkeit. Nach wenigen Wochen hatte sie sich verdoppelt, es ging immer so weiter. Frische, lindgrüne Blätter entrollten sich über dem Topf, alte, dunkle Blätter bildeten holzige Löchlein. Luftwurzeln tasteten an der Wand nach Halt. War ich einige Tage unterwegs, wirkte das Gewächs etwas geknickt, doch nach großzügiger Durchfeuchtung (zwei Zahnputzbecher) konnte ich mitansehen, wie die Blätter sich stolz aufrichteten.

Fast war es so, als würde ein dankbarer Hund an mir hochspringen.

Zum Ausgleich gönnte ich der Botanik den feinen Sprühnebel aus einer Evian-Dose. Wir entwickelten ein Verhältnis.

Schneidet man sie zurück, wächst sie umso stärker.

Kakteen auf Sideboard.
Kakteen auf Sideboard.

© Fotos aus: „Wohnen in Grün“, Callwey Verlag

Denn trotz aller Zimmerpflanzenhaftigkeit hat die Monstera etwas Gefährliches und Wildes, das mir gefiel. Unkontrolliertes Wachstum. In ihr wohnt das Herz einer Revolutionärin: Schneidet man sie zurück, wächst sie umso stärker.

Wie sang Annette Humpe? „Mal sehen, was im Dschungel läuft“. Dort gedeihen mehr als 15 verschiedene Arten dieser Gattung, manche tragen sogar Früchte, die reif so deliciosa wie eine Kreuzung aus Banane und Ananas schmecken sollen. Und ließ nicht Max Frisch den Ingenieur Walter Faber im verhassten Regenwald spüren, dass er Teil des ewigen Werdens und Vergehens der Natur ist?

„Wo man hinspuckt, keimt es“ – Faber muss eine Monstera gemeint haben. Nichts kann sie aufhalten.

Im Englischen wird die Pflanze auch „Hurrican plant“ genannt, weil ihre aerodynamisch geschlitzten Blätter geschickt selbst starken Stürmen standhalten, oder „Swiss cheese plant“ wegen des fonduezähen Pflanzensaftes.

Eine schnelle Tour durch Instagram und Pinterest zeigt: #monstera ist allgegenwärtig. Der Stamm der Interior-Bloggerinnen hat sich des Phänomens längst angenommen. Bei apartmenttherapy.com besprechen Monstera-Freunde ihre wenigen Sorgen, es gibt eine ausführliche Pflegeanleitung: „The Houseplant Lover’s Guide to Monstera deliciosa: Tips, Tricks & Care“.

Die Monstera ist eine Solokünstlerin.

Jetzt ist auch ein Bildband zum Thema erschienen: „Wohnen in Grün – Dekorieren und Stylen mit Pflanzen“ (Callwey Verlag). Darin porträtieren Igor Josifovic und Judith de Graaf Stylisten, Designer und deren häusliches Umfeld, darunter auch Jeska und Dean Hearne im britischen Hastings. Sie inszenieren die Monstera nicht in Gruppen, sondern als Solokünstlerin.

Dafür braucht man viel Platz. Ein Fensterblatt auf einem Schemel im Badezimmer ist raumgreifend. Im Gegenzug sei es auch „low-maintenance“, wie die Autoren schreiben: „Die Pflanze ist ebenso spektakulär wie unkompliziert und ist deswegen auch für weniger grüne Daumen geeignet.“

Dachte ich’s mir doch.

Und: „Die Monstera deliciosa eignet sich für verschiedene Interior-Styles: von monochromen, nordischen Stylings über moderne Designs bis hin zu eklektischen und Boho-Interiors.“ Die minimalistisch-monochromen Flure Berliner Behörden haben sie vergessen.

Bei Paula stehen neuerdings übrigens diese blau-lila Sukkulenten in Gläsern auf dem Sideboard. Mal sehen, vielleicht bin ich in 20 Jahren auch so weit.

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