zum Hauptinhalt

Kunstausstellung über das Wohnen: Haltung mit Stil

Fischzucht in Küchen, nachwachsende Stühle – der Berliner Designer Werner Aisslinger zeigt in einer Ausstellung seine Ideen vom Wohnen der Zukunft. Ein Atelierbesuch.

Das Haus am Waldsee war nicht immer ein Museum. „Es ist einmal ein echtes Zuhause gewesen“, sagt Werner Aisslinger. In ihm wurde geschlafen, gekocht, gegessen, gewohnt. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass Aisslingers Ausstellung „Home of the Future“, die sich mit der Frage beschäftigt, wie wir in Zukunft wohnen werden, nicht in einem Museumskasten spielt, sondern in dieser „Industriellenvilla mit Garten“, diesem ehemaligen Wohnhaus, das sich damit wieder an sich selbst erinnert.

Aisslinger möbliert seit Jahren die deutschen Wohnungen und Büros. Er hat Lampen entworfen, Stühle, Sessel und Regale, erdachte die modulhaft kombinierbare Arbeits- und Wohnlandschaft „Level 34“ für den Hersteller Vitra, und gerade richtet er das 25hours Hotel Bikini gegenüber der Gedächtniskirche ein. Sein Studio liegt in einem Gewerbehof an der Berliner Heidestraße, wo eine letzte Kreativ-Bastion der Bagger harrt. Aisslinger wirft sich in seinen im „Air Molding-Verfahren“ hohl geschäumten Bürostuhl und sagt, es wäre zu einfach, die Ausstellung bloß mit seinen bisherigen Entwürfen zu möblieren. Mit „Juli“ etwa, diesem Stuhl, der schon so lange in der Sammlung des MoMA in New York vertreten ist.

So wie es viel zu einfach wäre zu behaupten, dass einzelne Objekte oder auch nur die Summe bestimmter Objekte die Zukunft des Wohnens darstellen. Im Produktdesign, das erst mit der industriellen Revolution entstand, vergegenständlichten sich ja komplexe Anliegen einer Gesellschaft. Die Objekte spiegeln gesellschaftliche Strömungen und antworten auf die Bedürfnisse der Menschen.

Nehmen wir die Küche: Die legendäre „Frankfurter Küche“ von 1926 verkürzte noch die Arbeitswege durch geschickte Anordnungen der Funktionen. Sie war eine Antwort auf die verbreitete Spezies Hausfrau, die Möbel waren ideal und möglichst effizient an ihre Bewegungen angepasst. Das war damals revolutionär, praktisch und schick.

Die Küche in der Ausstellung im Haus am Waldsee, sagt Aisslinger, wird anders aussehen. Seine „Production Kitchen“ verkürzt die Produktionswege der verwendeten Lebensmittel oder besser: Sie macht sie überflüssig. Denn produziert wird direkt am Ort des Verzehrs in einer sogenannten Aquaponic-Installation: In den Regalen steht eine Fischzucht, die mit einer Gemüsepflanzung kombiniert ist. Die Fische düngen das Gemüse, das Gießwasser wird durch die Erde kommend mit Nährstoffen angereichert. Wasser und Fischfutter bilden einen Kreislauf, ein selbstreferentielles System, „15 mal effizienter als Ackerbau“.

So eine Küche löst nicht die Probleme einer Hausfrau, sie löst die Probleme der Welt. Sie ist eine Antwort auf die Frage nach der Nahrungsmittelknappheit, nach der Verschwendung von Ressourcen. Es ist „Urban Farming“ eine Stufe weiter gedacht. Solche visionären Ansätze werden seit Jahren erforscht, sagt Aisslinger.

Er, der 1964 in Nördlingen geboren wurde, hat sich danach in der ganzen Welt umgetan. Er hat an der Berliner UDK studiert, in London und Mailand gearbeitet und den Berliner „Design Mai“ mit begründet. Er lebte zwei Jahre in der Toskana und unterhält zurzeit einen Büroableger in Singapur, weil die ansteckende Dynamik Asiens einem Europäer darüber hinweghelfen kann, dass er in einer stagnierenden Gesellschaft lebt, wo „die beste Zeit womöglich schon vorbei ist“.

Vielleicht war die beste Zeit die Zeit des Bauhaus. „Das Bauhaus ist der DNA jedes deutschen Designers eingeschrieben.“ Das Funktionale, Technische. Es hat zu einem Fetisch der Funktion geführt. Seitdem folgt ihr nämlich zwingend die Form. Aber nun ist die Funktion längst neu definiert: Sie meint nicht mehr nur die Eignung des Objekts für seine spezifische Verwendung, sondern die Funktion des Objekts in unserem Leben. Das Objekt soll Status symbolisieren wie die Lampe, behagen wie das Sofa, optisch verschwinden wie der Fernseher, durch Material und Verarbeitung Eigenschaften symbolisieren wie Kreativität oder Raffinesse. Dabei besteht immer die Hoffnung, die Form eines Stückes könne das Format seines Besitzers anzeigen.

Zurzeit sind die angesehensten Möbel jene, die „Verantwortung“ symbolisieren für die Stoffkreisläufe dieser Welt. Die Tatsache, dass man etwas wiederverwendet, umwidmet oder teilt, übertrifft den ästhetischen Wert. Geschmack trifft Gesinnung. Deshalb muss Aisslinger in seiner Ausstellung ganze Kreisläufe inszenieren. Das gute Produkt denkt seine Entsorgung gleich mit. Im Haus am Waldsee gedeihe deshalb auch die „Chair-Farm“: Weiden, die wachsend in die Form eines Stuhls gebogen wurden. Der fertige Stuhl lässt sich dann „ernten“. Die Eigenschaften „nachwachsend“ und „regional“ gelten damit auch für komplette Möbel.

Aisslinger weiß, dass sich in Deutschland eine geschichtsversessene „Manufaktum-Denke“ breitgemacht hat: Demnach war das Gute alles schon einmal da. Die Leute wollen „lieber gute Schuhe noch etwas länger pflegen“, als billige dauernd ersetzen. Der Designer findet auch, dass es „definitive Produkte“ gibt, und „Entwicklungen, die ihren Zenit erreicht haben“, wie zum Beispiel die Stühle von Eames. Nur hat der amerikanische Designer für seine Modelle Fiberglas benutzt, „das Plastik der ersten Kunststoffgeneration“.

Hierin liegt der Grund, weshalb Designer überhaupt noch eine Arbeitsberechtigung haben: Die Technik ändert sich. Das Bad im Haus am Waldsee ist deshalb ein Gegenentwurf im Material: Immer schon, sagt Aisslinger, sei im Bad alles hart und abwaschbar. Er will das „weiche“, textile Bad. Und dann beschreibt er die Badewanne aus einer Hightech-Plane, die der Benutzer je nach Füllhöhe umkrempeln kann. Er erzählt von weichen Oberflächen und einer Innovation, die er einem kleinen Käfer abschaute, der in der Sahara aus Morgennebel Flüssigkeit absorbiert: Analog zu dieser Fähigkeit wurden bislang Tücher entwickelt, die die Wüstenbewohner morgens in den Nebel hängen, und aus denen sie später am Tag etwa einen halben Liter Wasser wringen können.

Was er im Haus am Waldsee zeigt, sind natürlich seine visionären Ideen, sagt Aisslinger. Sie könnten darüber hinwegtäuschen, dass er auch ganz praktische Probleme löst. Die letzten drei Jahre dachte er über einen Kühlschrank und die Ausstattung eines Rettungswagens nach. Auf der Möbelmesse in Mailand stellte er im April eine bunte Sofa-Landschaft vor, die mitten im Raum steht. „Bikini Island“ (Foto) hat sich von der Wand emanzipiert, wie sich bereits die Küchenblöcke von ihr lossagten und nun frei im Raum thronen.

„Es gibt keinen Stil mehr“, sagt Aisslinger. Nur noch Collagen. Weil das Leben eine Collage ist. Der Designer ist kein Erfinder mehr, kein Komponist, er ist DJ. Alles, was er tut, ist ein Remix. Und die Kriterien für diesen Remix bestimmt die Zeit.

Home of the Future, Haus am Waldsee, Di-So 11-18 Uhr, 21.4. - 9.6.2013

Zur Startseite