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Märchenschloss aus levantinischer Kiefer: Janukowitschs Residenz bei Kiew.

© AFP

Ukraine: Palast der Republik

Vor den Toren Kiews ließ sich Ex-Präsident Viktor Janukowitsch eine bizarre Residenz errichten. Heute ist das Märchenschloss ein beliebtes Touristenziel.

Sie kommen einzeln oder in Gruppen, mit Autos oder Reisebussen, in den Gesichtern hundertfaches, am Wochenende tausendfaches Staunen. Sie kommen, um Meschyhirja zu sehen, knapp 140 Hektar Land vor den Toren Kiews, von dem niemand mehr recht weiß, wem es gehört. Denn er, der hier einst seine Exkremente durch goldene Abwasserrohre spülte, dem vibrierende Kinosessel die amtsmüden Schultern massierten, dessen Anwesen einen Privatzoo beherbergte, einen 18-Loch-Golfplatz, einen Jachthafen und ein Automobilmuseum, er ist nicht mehr da. Viktor Janukowitsch, einst Präsident der Ukraine, hat das Land verlassen. Dem Land blieb sein Palast.

Es ist eine merkwürdige Verwandlung, die sich hier beobachten lässt. Schon im Februar, unmittelbar nach Janukowitschs Flucht, kamen die ersten neugierigen Besucher nach Meschyhirja. Seitdem sind es nicht weniger, sondern immer mehr geworden, aus der ganzen Ukraine reisen die Menschen inzwischen an, um zu bestaunen, wie ihr gestürzter Präsident gelebt hat, was er anfing mit all dem ergaunerten Geld, das ihm am Ende zum Verhängnis wurde. Bis zu 3000 Ausflügler am Tag machen sich auf den Weg in den Kiewer Vorort Nowi Petriwzi, um zu Fuß oder per Fahrrad das gigantische Parkgelände zu erkunden. Eine Art ukrainisches Versailles ist hier entstanden, ein Königspalast, in dem sich das Volk vergnügt, seit sein Herrscher und Erbauer das Weite gesucht hat.

Besonders beliebt ist das Areal bei Brautpaaren, die man hier allerorten antrifft, vor Springbrunnen, Straußengehegen und Blumenrabatten posierend. Es gibt kaum einen besseren Ort in Kiew, um atmosphärische Hochzeitsfotos aufzunehmen.

Genau ein Jahr ist es her, dass auf dem Kiewer Maidan die ersten Demonstranten auftauchten, die in den folgenden Monaten immer lauter und kompromissloser den Rücktritt ihres korrupten Staatschefs forderten, bis sich Janukowitsch am 22. Februar Hals über Kopf nach Russland absetzte.

Noch am selben Tag sprach sich in Kiew herum, dass die Präsidentenresidenz, über deren märchenhaften Luxus man vorher nur spekuliert hatte, unbewacht zurückgeblieben war. Ein Trupp Maidan-Aktivisten besetzte das Gelände, zeitgleich erkundeten Journalisten Janukowitschs Anwesen.

Anna Babinez gehörte zu den ersten Pressevertretern, die am Tag nach Janukowitschs Flucht Meschyhirja betraten. Die junge Fernsehjournalistin erinnert sich noch gut daran, wie sie und ihre Kollegen auf dem weitläufigen Gelände zunächst an jenem bescheidenen Häuschen vorbeikamen, das der Präsident in den Jahren zuvor gelegentlich ausgewählten Vertretern staatsnaher Medien präsentiert hatte – als sein angebliches Wohnhaus.

Das fünfstöckige Märchenschloss aus levantinischer Kiefer, in dem Janukowitsch tatsächlich gelebt hatte, zusammen mit seiner Geliebten und deren Sohn, entdeckten Babinez und ihre Kollegen erst, als sie ins Zentrum des Geländes vordrangen. Sie fanden Spuren eines überstürzten Aufbruchs: geleerte Schränke, aufgerissene Schubladen. Im Uferbereich des Stausees, an den das sanft gewellte Parkgelände grenzt, trieben Aktenordner und lose Blätter – kurz vor der Flucht hatten Janukowitschs Sicherheitsleute versucht, in aller Eile belastendes Material zu vernichten.

Mithilfe von Tauchern fischten die Journalisten die Dokumente aus dem Wasser. Bis heute sind sie damit beschäftigt, das getrocknete Material auszuwerten, rund 25 000 gescannte Blätter wurden bisher auf der Webseite yanukovychleaks.org veröffentlicht.

Es ist viel Kurioses darunter, etwa eine Notiz des Hausherrn, in der Janukowitsch seinen Gärtner anweist, doch bitte die Rehe vom Golfplatz fernzuhalten. In der Mehrzahl aber dokumentieren die Blätter korrupte Deals des Präsidenten-Clans, die unter anderem das Anwesen selbst betreffen: 2007 wurde das zuvor in Staatsbesitz befindliche Gelände durch ein Geflecht dubioser Briefkastenfirmen privatisiert und an Hintermänner Janukowitschs verkauft.

"Ein wunderbarer Mensch", sagt die Putzfrau.

Das Bad: Jedes Detail der Residenz ist aus hochwertigem Material, bis hin zu den Toiletten.
Das Bad: Jedes Detail der Residenz ist aus hochwertigem Material, bis hin zu den Toiletten.

© AFP

Nach dem Machtwechsel in der Ukraine überführte die Staatsanwaltschaft das Gelände wieder zurück in Staatsbesitz, mit Ausnahme des Wohnhauses, das technisch nach wie vor Janukowitsch gehört. Wer seitdem hier das Sagen hat, ist unklar.

Ein bulliger Mittvierziger namens Denis Tarachkotelik stellt sich als „Kommandant“ des Grundstücks vor, er gehört zu den Maidan-Aktivisten, die Meschyhirja am Tag nach Janukowitschs Flucht besetzten. Seitdem, sagt Tarachkotelik, warte er eigentlich darauf, dass die Regierung ihm die Verwaltung abnehme. Aber die habe offenbar keinen Plan, was sie mit dem Anwesen anstellen solle. Und eigentlich, das merkt man Tarachkotelik im Gespräch schnell an, gefällt er sich selbst auch ganz gut in der Kommandantenrolle.

Er und sein rund 150-köpfiger Verwaltungsstab kassieren von den Besuchern Eintrittsgelder, 20 Hrywnja kostet die Visite, etwas mehr als einen Euro. Von den Einnahmen werden die laufenden Kosten finanziert, der Großteil geht an Janukowitschs ehemalige Angestellte, von denen viele noch immer das Gelände pflegen.

Im Inneren des Wohnhauses staubt eine ältere Putzfrau Porzellanfigurinen ab. Wie er gewesen sei, ihr ehemaliger Arbeitgeber? Die Frau zögert mit der Antwort, sie wirkt unsicher. „Ein wunderbarer Mensch“, sagt sie dann. „Sehen Sie sich diese Schönheit hier an, das ist alles ihm zu verdanken.“ Mehr will sie lieber nicht sagen. „Was soll ich erzählen? Ich bin nur ein einfacher Mensch.“

Es sind sehr gegensätzliche Charaktere, die in Meschyhirja aufeinandertreffen, und wer mit ihnen spricht, merkt schnell, wie zerrissen das Land noch immer in seiner Beurteilung der jüngsten Ereignisse ist. Petro Olyjnyk, ein Mann mit irrlichternden Augen und wirrem Redefluss, ist in Janukowitschs Wohnhaus für Besucherführungen zuständig, auch er gehört zu den ehemaligen Maidan-Aktivisten. Für den geflohenen Präsidenten hat er kein gutes Wort übrig, aber genauso wenig gefallen ihm dessen Nachfolger in der heutigen Regierung, die Olyjnyk für kaum weniger korrupt hält. „Wir hätten ein paar von denen auf dem Maidan aufhängen sollen“, sagt er. „Zur Abschreckung.“

Eingehüllt in eine schwarz-rote Flagge, es sind die Farben der ukrainischen UPA-Bewegung, einer nationalistischen Partisanentruppe der Weltkriegsära, führt der wütende Olyjnyk durch das 2600-Quadratmeter-Anwesen, vorbei an ausgestopften Löwen, kitschigen Gemälden, polierten Ritterrüstungen, tonnenschweren Kronleuchtern.

Mehrere hundert Millionen Dollar soll Janukowitsch in die Ausstattung des Hauses investiert haben. Es gibt einen Fitnesskomplex mit eigenem Boxring, einen Kosmetiksalon mit Sauerstoffliegen, Kältekammer, Solarium und Salzgrotte, eine Bibliothek mit historischer Literatur in Originalausgaben, einen inhäusigen Tennisplatz, Dutzende von Toiletten mit goldverzierten Armaturen, eine historische Riesen-Spieluhr, gigantische Flachbildfernseher in fast jedem Raum.

Es ist ein Reichtum, der schwer zu fassen ist in einem Land, das zu den ärmsten in Europa gehört. Sollten Janukowitsch angesichts seiner eigenen Maßlosigkeit je Skrupel befallen haben, stand ihm zur Erleichterung seines Gewissens eine russisch-orthodoxe Privatkapelle zur Verfügung, im dritten Stock, mit ganzflächig ausgemalter und goldbeschlagener Ikonenwand.

Draußen, vor der Vogelvoliere des geländeeigenen Zoos, bestaunt eine vierköpfige Familie die Strauße. Die Westukrainer sind mit dem Nachtzug angereist, aus ihrer 600 Kilometer entfernten Heimatstadt, Frau Sokolowa hat ihrem Mann den Ausflug zum Geburtstag geschenkt. „Man muss das einfach gesehen haben“, sagt sie, „sonst glaubt man es nicht.“

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