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© Mike Wolff

Sonntagsinterview: Jimmy Hartwig: "Ich bin ein Kämpfer geblieben"

Jimmy Hartwig wurde als „Neger“ beschimpft, verlor Millionen, erkrankte an Krebs. Sein neues Leben: Er spielt den Woyzeck – und Fußball in Townships.

William Georg Hartwig, 55, wird nur „Jimmy“ genannt. Er war Fußballprofi u.a. bei 1860 München und dem Hamburger SV, mit dem er drei Meistertitel holte; zwei Mal spielte er in der deutschen Nationalmannschaft. Nach einer kurzen Karriere als Trainer stand er 2002 erstmals auf einer Theaterbühne: neben Ben Becker in Brechts „Baal“.

Herr Hartwig, wann waren Sie zum ersten Mal Millionär?

Mit 24. Da bin ich von 1860 München zum Hamburger SV gekommen. Plötzlich sah ich die Eins mit den vielen Nullen dahinter auf meinem Konto, und auf einmal gab’s wahnsinnig viele Leute, die mir auf die Schulter geklopft haben. Das hatte mir vorher so sehr gefehlt: nicht nur Geld, sondern Anerkennung.

Sie sind in Offenbach 1954 als unehelicher Sohn eines schwarzen GIs geboren, Ihren Vater haben Sie nur ein Mal kurz gesehen und Ihre Mutter musste als Arbeiterin die Familie alleine durchbringen.

Meine Mutter wollte ihren farbigen Jungen immer beschützen, aber sie konnte mir so wenig Anerkennung verschaffen wie meine Umgebung. Dabei ist das für einen Heranwachsenden das Wichtigste.

Sie sollen trotzdem immer schon eine große Klappe gehabt haben.

Weil ich mir damit Anerkennung herbeireden wollte. Ich habe immer Respekt und Liebe gesucht. Deswegen sind auch drei Ehen kaputtgegangen: Es war gar nicht so sehr der Sex, den ich in den Armen von Frauen gesucht habe, sondern Geborgenheit. Das Gefühl, als Mensch angenommen zu sein, selbst wenn ich mir das nur eingebildet habe, weil ein Mädel aus der Disco bloß den berühmten Fußballer im Bett haben wollte. An einem Punkt hat die Illusion aber nicht mehr funktioniert: beim Geld, das ich durch die angeblichen Freunde mit ihren Bauherrenmodellen verloren habe. Plötzlich bist du als Aufsteiger von ganz unten um deinen Lohn gebracht, du hast das Gefühl, die haben dir wieder einen Teil deines Lebens geraubt.

Heute spielen Sie auf der Bühne Shakespeare, Brecht und Büchner und lesen Heine. Waren Sie einst wirklich so naiv, irgendwelchen Leuten, die Sie kaum kannten, ein paar Millionen anzuvertrauen?

Schauen Sie sich den Fall des Hamburger Anlagebetrügers Harksen an, über den Dieter Wedel kürzlich einen Fernsehfilm gemacht hat. Ich kenne Doktoren, Professoren, Moderatoren, die haben dem alle ihr Geld nachgeschmissen. Natürlich ist das kein Trost. Deswegen habe ich zwei Selbstmordversuche gemacht. Das erste Mal bin ich nur mit Glück davongekommen, beim zweiten Versuch war ich Gott sei Dank so feige, nicht genug Tabletten zu schlucken. Danach kam der Krebs, und mit einem Schlag hat sich für mich alles, was nur äußerlich war, relativiert. Ich bin zwar ein Kämpfer geblieben, aber innerlich gelassener.

Sie hatten zwei Mal Krebs im Unterleib und zuletzt einen Tumor im Kopf.

Ich habe den Krebs mit allen Ängsten, Chemotherapien und Schmerzen besiegt, weil ich ihn irgendwann auch angenommen habe. Wenn ich nur gegen ihn kämpfe, dann sterbe ich, denn er ist stärker als ich. Aber wenn wir uns jetzt gegenseitig in Ruhe lassen, dann haben wir hoffentlich noch ein paar gute Jahre zusammen.

Erinnern Sie sich noch an den 25. Mai 1983?

Das war … na klar, Athen, 21 Uhr 45, Hamburger SV gegen Juventus Turin, 1:0 durch Felix Magath, Sieg im Europapokal der Landesmeister.

Sie hatten die Rückennummer sechs beim HSV, aber Sie waren nicht dabei.

Ich war nicht dabei, weil ich im Halbfinale gegen San Sebastián meine zweite Gelbe Karte bekommen habe. Von einem Schweizer Schiedsrichter wegen eines läppischen Tacklings, kein richtiges Foul, nada! Wir führten gegen die Spanier 2:1, es waren nur noch ein paar Minuten zu spielen und ich hatte großen Anteil daran, dass wir ins Finale kamen.

Wie ist dieses Gefühl, das Match seines Lebens durch einen einzigen falschen Moment zu verpassen?

Es ist, wie wenn du vor einer Frau vor tausend Leuten auf die Knie fällst, ihr einen Heiratsantrag machst und weißt, sie sagt Ja. Aber sie sagt Nein.

Möchte man den Schiedsrichter, wenn er zur verhängnisvollen Karte greift, am liebsten umbringen – und fleht ihn trotzdem noch an?

Ihn anzupacken wäre tödlich. Aber du redest mit Wut und Verzweiflung auf ihn ein, obwohl es völlig sinnlos ist. Das war wie bei Michael Ballack im Halbfinale der WM 2002. Schiedsrichter wissen in solchen Fällen genau, dass eine Karte für den Spieler jetzt eine Katastrophe ist. Die müssten menschlich viel mehr Fingerspitzengefühl haben.

Sie haben auch Ihr zweites Endspiel verpasst.

Wir waren mit dem HSV schon 1980 im Finale; damals saß ich gegen Nottingham Forrest auf der Bank, wegen einer vorausgegangenen Meniskusverletzung. Zwei Mal im europäischen Finale und doch nicht dabei, diese Nähe von Triumph und eins auf die Schnauze ist typisch für mich. Neulich habe ich mich im Gespräch mit meiner Frau gefragt: Warum passiert so was immer gerade mir Pappnase?

Was war die Antwort?

Ich wusste keine. Da hat meine Frau gesagt: Welcher Mensch hat schon drei Mal die Chance gehabt, weiterzuleben?

Sie meinte den Krebs.

Beim ersten Mal im Jahr 1990 war ich gerade 36, das schien das Ende zu sein: Prostatatumor im fortgeschrittenen Stadium. Und jetzt habe ich nach drei gescheiterten Ehen eine wunderbare Frau und noch mal eine halbjährige Tochter. „Sei nicht undankbar“, hat meine Frau gesagt. „Besser als lauter Nachrufe: Er hat in zwei Endspielen super gespielt, und jetzt ist er tot.“

„Der Fußball“, sagten Sie mal, „war meine Rettung aus der Gosse“. Denkt man sich als Profisportler nie, dass die Karriere spätestens mit 35 zu Ende ist, wenn die meisten anderen gerade erst richtig anfangen?

Nein, du lebst immer nur im Augenblick. Ich war besessen davon, im Stadion vor 50 000 Leuten zu spielen und zu gewinnen. Das ist wie eine Droge. An das Hinterher sollen deine Berater denken, außer du bist studierter Fußballer. Ich war Hauptschüler. Dr. Jupp Kapellmann, ein guter Kölner Jung’, der wollte immer schon Arzt werden und ist heute ein hervorragender Orthopäde. Eine Ausnahme. Oder der Katsche Schwarzenbeck vom FC Bayern, der ist ein bodenständiger Mensch, der sich nach dem Fußball als Weltmeister von ’74 in den Schreibwarenladen seiner Tante gestellt hat. Aber mit ein paar eigenen Mietshäusern im Rücken.

Nach dem Stürmer Erwin Kostedde waren Sie Anfang der 80er Jahre der einzige farbige deutsche Nationalspieler. Und nach Ihnen kam lange Zeit keiner mehr.

Wenn jetzt ein dunkelhäutiger Rapper – auch einer mit großer Klappe – zum Bestsellerautor wird und sein Leben verfilmt kriegt, dann ist das für mich wie eine andere Welt. Ich bin knapp zehn Jahre nach dem Krieg geboren, da war noch die ganze Nazizeit in den Köpfen drin. „Beim Adolf hätte es das nicht gegeben, dass hier ein Neger bei uns rumläuft!“, das habe ich als Schulkind tagtäglich gehört.

Auch beim Fußball?

„Du Negerschwein“, das hörte ich auch auf dem Platz. Aber mein erster Jugendtrainer bei den Offenbacher Kickers hat mein Talent sofort erkannt. Er hat mich auch gegen alle Anzüglichkeiten verteidigt. Später, beim VfL Osnabrück, bei 1860 München, beim HSV und dem 1. FC Köln, habe ich mich mit meiner großen Fresse zu verteidigen versucht. Damit macht man sich wenig Freunde. Und je höher du steigst, desto mehr Leute freuen sich über deinen Absturz.

Noch im WM-Endspiel 2006 hat eine Schmähung den Weltstar Zidane zum Ausrasten gebracht. Und Lothar Matthäus war als Bayern-Spieler bekannt für seine Bemerkungen über die Genitalien schwarzer Fußballer. Wie viel Rassismus gibt es unter den Spielern?

Der Lothar war ein herausragender Spieler; ich war mal sein Kapitän in der B-Nationalmannschaft, bevor seine große Karriere begann. Er tut mir ein bisschen leid, weil er noch immer die jungen Dinger flachlegen muss, aber weiter will ich ihn nicht kommentieren. Manche haben halt weniger in der Birne als in den Beinen. Aber gegen einen wie mich gab es Vorurteile auf allen Ebenen.

Warum haben Sie eigentlich nur zwei A-Länderspiele gemacht?

Zu Zeiten meiner Hochform in den 80er Jahren war ich einer der besten defensiven Mittelfeldspieler Europas. In der Bundesliga hat sonst keiner auf meiner Position auch noch bis zu 14 Tore pro Saison geschossen. Einmal habe ich mir da ein Herz gefasst und im Flugzeug den damaligen DFB-Trainer Jupp Derwall angesprochen: „Herr Derwall, ich glaube, ich gehöre in die Nationalmannschaft.“ Der Derwall hat auf meiner Position immer einen der blonden Förster-Brüder als Stammspieler aufgestellt. „Hartwig“, war seine Antwort, „bei mir bist du nicht erste Wahl.“ Ohne Begründung, die brauchte es auch nicht.

Lag das nur an Jupp Derwall?

Nein. Noch ein Erlebnis: Als ich in Irland und Island meine beiden A-Länderspiele gemacht habe und wir in Frankfurt mit der Nationalmannschaft gelandet sind, begrüßte uns DFB-Präsident Hermann Neuberger. Wir standen in einer Reihe, und direkt vor mir hat Neuberger den Sepp Maier und den Bernd Cullmann umarmt und dann direkt nach mir dem Bernd Schuster herzlich die Hand geschüttelt. Ich stand dazwischen und war Luft für ihn.

So ein Affront würde heute zum Skandal.

Natürlich. Aber eine Gegenfrage: Können Sie mir bis heute einen farbigen Spieler nennen, der es nicht nur im Club, sondern in der deutschen Nationalmannschaft zum Stammspieler oder gar Führungsspieler gebracht hätte?

Trotzdem, der DFB engagiert sich öffentlich gegen Rassismus in den Stadien und in der Gesellschaft. Könnte der Fußball auch sonst eine Botschafterfunktion haben für die soziale Integration von Migranten und Unterschichten?

Klar, dafür biete ich mich selber regelmäßig an. Ich weiß ja, wie es unten in der Gesellschaft aussieht, ich habe Abstürze erlebt, und ich mache jede Menge freiwillige Jugendarbeit, übrigens auch mit krebskranken Kindern. Nur, beim DFB hat das bisher kaum jemanden interessiert. Dort gibt es einen Herrn, der behauptet noch immer, der Jimmy Hartwig sei „eine verkrachte Existenz“.

Sie hatten nach dem Ende Ihrer Fußballkarriere ein paar Abstürze. Alkohol und Drogen, vor dem Krebs.

Ich hatte später in der Affäre Christoph Daum, als der Nationaltrainer werden sollte, an ihn appelliert: Christoph, gib’s zu, du bist nicht der Einzige, der Drogen genommen hat! Diese Wortmeldung können mir manche Leute beim DFB nicht verzeihen. Dabei spreche ich nur aus eigener, überwundener Erfahrung. Doch Koksen unter Spitzensportlern bleibt weiterhin ein Tabu.

Das gilt auch für das Thema „Fußball und Homosexualität“?

Es gibt Homosexualität in allen Berufen, wieso nur nicht im Fußball? Ich kenne Spieler, die sich von Jugend an verstecken mussten. Manche haben dann aufgegeben oder sind depressiv geworden. Und nach der verkorksten Schiedsrichteraffäre ist es jetzt noch viel schwerer geworden, dass sich ein Spieler, Trainer oder Schiedsrichter outet. Weil schwul zu sein gleich in den Zusammenhang gerät mit sexuellem Missbrauch. Nach dieser Logik dürfte es auch keine männlichen Heteros als Trainer von Damenmannschaften geben und am besten überhaupt keine Sexualität bei Sportlern.

Sie sind gerade für den DFB nach Kapstadt gereist und haben in einer südafrikanischen Township mit Kids von der Straße einen Fußballworkshop gemacht.

Moment mal: Ich bin auf eigene Kosten gereist, und das Ganze ist eine Initiative des privaten Projekts „Auf Ballhöhe“, das seit Jahren Jugendarbeit in Südafrika betreibt. Daran ist der DFB nur als Förderer beteiligt.

Der superreiche DFB hat für diese Aktion kurz vor der WM in Südafrika nichts bezahlt?

Nicht für mich. Doch mir war es das wert. Ich habe zwei Wochen mit Jungs trainiert, die nach Anerkennung lechzen, die aus ihrer materiellen Misere herauswollen und dafür kämpfen, ohne zu klagen. Sie lachen und tanzen und geben den Glauben an die Zukunft nicht auf. Das ist kein Kitsch. Manchmal habe ich an die Lowald-Siedlung in Offenbach zurückdenken müssen, wo ich aufwuchs. Das ist meine Township gewesen.

War das Ihr stärkster Eindruck?

Nein, das war der Besuch auf Robben Island in der ehemaligen Gefängniszelle von Nelson Mandela. Ein Tisch, ein Stuhl, eine fünf Zentimeter dicke Filzmatte zum Schlafen, daneben ein roter Blecheimer für die Notdurft. Da hat Mandela 27 Jahre gelebt und ist am Ende rausgekommen und hat statt Hass und Gewalt Versöhnung und Nächstenliebe gelehrt. Ich durfte mich ausnahmsweise auf seine Schlafmatte legen. Da bekam ich eine Gänsehaut. Früher habe ich mich für meine Hautfarbe geschämt, seit diesem Erlebnis bin ich stolz darauf.

Wer gewinnt die WM in Südafrika?

Ich tippe nicht, aber ich würde mich tierisch freuen, wenn die Elfenbeinküste Weltmeister würde.

Im Endspiel gegen Deutschland?

Nein, Deutschland kommt nicht ins Endspiel. Wenn man mit Ballack und Lahm höchstens zwei Weltklassespieler hat, reicht das leider nicht.

Nach Ihrer Fußballkarriere hatte es Sie weiter ins Rampenlicht gedrängt. Sie traten sogar im RTL-„Dschungelcamp“ auf …

… auch dafür schäme ich mich. Ich habe da mitgemacht, weil ich wegen meiner Arztrechnungen das Geld brauchte. Ich bekam ziemlich viel. Die genaue Gage darf ich nicht nennen, es ist eine höhere fünfstellige Summe.

Der Schauspieler Thomas Thieme („Das Leben der Anderen“) hat Sie für die Bühne entdeckt. Ihr Woyzeck zuletzt in Leipzig war eine Wucht, das haben auch die Theaterkritiker bemerkt. Sie selber haben sich offenbar mit der Figur identifiziert?

Georg Büchner war ein Hesse wie ich, in seinem armen Soldaten Woyzeck habe ich mich wiedererkannt.

Und deswegen wollen Sie jetzt am liebsten auch noch Shakespeares Othello spielen? Wie Woyzeck ein Eifersuchtsmörder, und diesmal ein schwarzer.

Othello war nun mal ein Mohr. Das Entscheidende ist doch, dass er ein Feldherr war und trotz seiner Verdienste beargwöhnt und mit Missgunst verfolgt wurde. Manchmal denke ich, ich muss auch zur Zeit Shakespeares gelebt haben, so viel weiß der schon von mir.

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