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Erhöhte Strahlung: Greenpeace-Mitarbeiter messen im japanischen Iitate einen Wert von 7,66 Mikrosievert in der Stunde.

© AFP

Steigende Strahlenbelastung: Greenpeace fordert Evakuierung von Iitate

Die Strahlenbelastung im Meerwasser vor Fukushima steigt weiter. Der Tepco-Chef liegt im Krankenhaus. Der Wind dreht auf Tokio - und in Deutschland befinden sich die Grünen unvermindert im Umfragehoch.

Der Kampf gegen den Super-GAU in der Atomruine von Fukushima zermürbt die Arbeiter, zugleich wird immer mehr radioaktive Strahlung gemessen. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte am Mittwoch die Ausweitung der Sicherheitszone um das Kernkraftwerk Fukushima. Experten der Organisation stellten eine erhöhte Radioaktivität nördlich von Fukushima fest. Im Meerwasser vor dem Unglücksreaktor wurde eine sehr hohe Konzentration von radioaktivem Jod entdeckt. Die Radioaktivität habe das 3 355-Fache des zulässigen Wertes erreicht, meldete die Nachrichtenagentur Kyodo am Mittwoch. Auch in Deutschland wird mittlerweile auf die erhöhte Strahlung im Meerwasser reagiert: Laut Agenturberichten verhandelt die Hafenbehörde des Hamburger Hafens mit Zoll und Innenbehörde darüber, künftig Schiffe auf radioatkive Belastung zu prüfen, die direkt aus Japan kommen oder nahe an Japan vorbeigekommen sind.

Japans Ministerpräsident Naoto Kan bezeichnete die Entwicklung als „unvorhersehbar“. Kan und der US-Präsident Barack Obama wollen bei der Bekämpfung der Krise eng zusammenarbeiten. Die Einsatzkräfte versuchen unter kaum erträglichen Bedingungen, das AKW zu kühlen. Nach Experten-Einschätzung kann es Monate dauern, bis eine Kernschmelze endgültig abgewendet ist.

Greenpeace-Messungen zeigten in dem 7000-Einwohner-Ort Iitate, 40 nordwestlich des Kraftwerks, eine Strahlenbelastung von bis zu zehn Microsievert in der Stunde. Um Tsushima seien sogar 100 Microsievert pro Stunde gemessen worden. Das teilte die Organisation am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Tokio mit.

Jan van de Putte, Strahlenexperte von Greenpeace: „Es ist für die Menschen eindeutig nicht sicher, in Iitate zu bleiben, vor allem für Kinder und schwangere Frauen. Sie könnten die maximal zulässige jährliche Strahlendosis in nur wenigen Tagen abbekommen.“ Die japanische Regierung hat bisher eine 20 Kilometer-Evakuierungszone um das Atomkraftwerk errichtet.

Die US-Regierung erwartet nur eine langsame Stabilisierung der Lage. „Derzeitige Informationen lassen vermuten, dass die Reaktoren sich langsam von dem Unfall erholen“, sagte der designierte Vize-Energieminister Peter Lyons am Dienstag vor einem Ausschuss des Senates in Washington. Nach Einschätzung der internationalen Atomenergiebehörde IAEA ist die Lage in Fukushima weiter sehr ernst. Der Nachweis von Plutoniumspuren in Bodenproben aus der Umgebung des Atomkraftwerks könnte darauf hindeuten, dass eine „sehr kleine Menge“ des hochgiftigen Schwermetalls aus der Atomruine freigesetzt worden sein könnte.

Die Arbeiter in dem Katastrophen-Kernkraftwerk Fukushima sind zunehmend ausgebrannt und ihre Angst vor dauerhaften Gesundheitsschäden wächst. Das sagte ein Manager einer Vertragsfirma des Betreibers Tepco der Zeitung „Asahi Shinbun“. Zwar gingen die Einsatzkräfte immer wieder in die zerstörten Reaktorblöcke, um die Reaktoren zu kühlen und einen Super-GAU zu verhindern, doch seien die Arbeiter angesichts der endlosen Schwierigkeiten zunehmend nervöser. Man achte darauf, dass Tepco die Spezialisten nicht zu hohen Risiken aussetze, sagte der Manager, der namentlich nicht genannt wurde. Zugleich wurde Tepco-Chef Masataka Shimizu wegen Bluthochdrucks und Schwindel am Dienstagabend in ein Krankenhaus gebracht werden müssen, wie der Fernsehsender NHK berichtet. Der 66-Jährige war bereits am 16. März erkrankt - fünf Tage nach dem verheerenden Erdbeben, durch das in Fukushima ein Atomkraftwerk havarierte.

Sorgen bereitet derzeit auch das Wetter. Am Mittwoch werde der aufs Meer wehende Wind seine Richtung ändern. Dann tragen Böen die radioaktiven Partikel aus Fukushima in Richtung der Millionen-Metropole Tokio. „Dort steigt die Konzentration folglich an, allerdings deutlich verdünnt gegenüber der Ausgangsregion“, sagte der Deutsche Wetterdienst (DWD) in Offenbach vorher. Am Donnerstag werde der Wind seine Richtung aber wieder Richtung Meer ändern.

Ein weiteres ungelöstes Problem ist das strahlende Wasser in der Atom-Ruine. Zwar ist das Wasser im Keller des Fukushima-Reaktors 1 deutlich zurückgegangen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo vom Mittwoch sank der Wasserstand auf die Hälfte. Eine Hauptaufgabe der Einsatzkräfte ist das Abpumpen des gesamten verseuchten Wassers, doch die Arbeiter wissen derzeit nicht, wohin mit der hochgiftigen Flüssigkeit aus Block 2 und 3, wie Kyodo meldete. Es fehlte an Tanks. Der französische Atomkonzern Areva wird fünf Nuklear-Experten ins Krisengebiet schicken. Sie sollen die japanischen Arbeiter dabei unterstützen, das radioaktiv verseuchte Kühlwasser aus den teilweise zerstörten Reaktorblöcken herauszupumpen. Die japanische Regierung erwägt zudem einem Medienbericht zufolge, drei beschädigte Reaktoren mit Planen abdecken zu lassen, um die radioaktive Strahlung zu vermindern. Außerdem sei vorgesehen, einen Tanker einzusetzen, um radioaktiv verseuchtes Wasser abzusaugen, berichtete die Zeitung „Asahi Shimbun“ am Mittwoch unter Berufung auf Regierungskreise. Regierungssprecher Yukio Edano sagte dazu, die Regierung und Atomexperten dächten über „alle Lösungen“ nach, einschließlich derjenigen in der Presse erwähnten.

In Deutschland setzen die Grünen ihren bundesweiten Aufwärtstrend in Folge der Atomkrise fort. Nach einem am Mittwoch veröffentlichten Forsa-Wahltrend-Extra des Magazins „Stern“ und des Fernsehsenders RTL, der noch vor den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erhoben wurde, legt die Partei um 1 Punkt zu auf 21 Prozent. Damit hat sie in den zwei Wochen seit Beginn der Reaktorkatastrophe von Fukushima insgesamt 6 Punkte gutgemacht. (dpa/AFP/dapd)

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