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Gesammelte Daten. Dokumente beim DRK-Suchdienst in Bad Arolsen.Foto: dpa

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Panorama: Suchen und finden

Vermisste Kinder, verschollene Angehörige: Ein weltweites Netz hilft, Informationen zu bekommen oder Familien zusammenzuführen.

Immer wieder einmal hatten die Enkel darüber geredet, eine Anfrage beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes zu stellen. Der Großvater war kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs „irgendwo an der Ostfront“ gewesen. Niemand hatte je wieder etwas von ihm gehört. Aber eigentlich war der verlorene Großvater kein großes Thema gewesen. Doch dann kam dieser Brief, nicht vom Roten Kreuz, sondern von der WASt, der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht, in Berlin. Der Großvater sei in einem Massengrab bei Danzig gefunden worden. Er solle auf einen deutschen Soldatenfriedhof in der Nähe der polnischen Stadt Stettin verlegt werden. Fast 70 Jahre nach seinem Verschwinden war der Großvater anhand seiner Erkennungsmarke, die er als Soldat getragen hatte, identifiziert worden.

Plötzlich war der Großvater erstaunlich gegenwärtig. Eine Leerstelle war keine mehr. Der Onkel, inzwischen 80 Jahre alt, konnte sich noch am besten an seinen Vater erinnern. Sein jüngerer Bruder wusste nur noch, dass er vom Vater verhauen worden war, bevor dieser wieder in den Krieg zog. Die jüngste Schwester wollte unbedingt die Identifikationsmarke in der Hand halten, sie konnte sich kaum noch an ihren Vater erinnern. Nur dass sie ihn zeitlebens vermisst hatte, das wusste sie genau. Alle drei waren auf ihre jeweils eigene Weise erschüttert, nach so langer Zeit Klarheit zu gewinnen.

Die neue Adresse des Großvaters sollte nun also Stare Czamowo sein, ein kleines Dorf nicht weit von Stettin entfernt. Die Schilder, die zum Soldatenfriedhof führen, sind die neuesten entlang der kleinen kurvigen Landstraße. Der Weg führt in einen Wald. Und dort öffnet sich dann das Gelände. Eine wellige grasbedeckte Fläche mit Gedenksteinen, auf die ein Teil der Namen bereits graviert worden ist. Doch der Friedhof ist noch im Entstehen. Er ist umgeben von hohen Bäumen, Vögel zwitschern, Schmetterlinge flattern über die Wiesen, die Bienen summen. Es ist kein schlechter Ort, findet einer der Söhne. Eigentlich hatte er erwartet, dass das Kapitel nun beendet sein würde, nachdem er den Ort der letzten Ruhe seines Vaters gesehen hatte. Vielleicht liegt es daran, dass der Name noch nicht zu finden ist? Vielleicht liegt es an der langen Zeit, in der der verlorene Vater kein Thema mehr gewesen war.

Geschichten wie diese gibt es auch so lange nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch immer. Der Suchdienst des Roten Kreuzes war nach dem Ende des Krieges gegründet worden. Schon zwei Jahre zuvor war die Vorgängerorganisation des Internationalen Suchdienstes gegründet worden, der seit diesem Jahr vom Internationalen Roten Kreuz zum Bundesarchiv übergegangen ist. Der Internationale Suchdienst klärt, wenn möglich, das Schicksal der internierten und verschleppten Opfer des Nationalsozialismus auf. Dort treffen heute vor allem Anfragen der zweiten oder dritten Generation ein, die mehr über den Leidensweg ihrer Angehörigen erfahren wollen. In den drei Institutionen sowie den kirchlichen Suchdiensten sind Millionen Akten mit Informationen über im Krieg, im Kalten Krieg und in aktuellen Konflikten Verschollene gesammelt. Noch immer klärt der Suchdienst des Roten Kreuzes Schicksale von im Krieg verschwundenen Menschen auf. Hunderte Anfragen werden bis heute jedes Jahr gestellt, die meisten aus Deutschland, Osteuropa und den USA. Es gibt noch immer so viele Anfragen, weil die offenen Fragen auch Jahrzehnte später noch schmerzen können.

Aber auch in ganz aktuellen Krisenfällen klärt das Rote Kreuz Vermisstenfragen oder versucht, Familien wieder zusammenzuführen. Beispielsweise wenn Flüchtlingskinder auf dem beschwerlichen Weg nach Europa ihre Eltern verloren haben. Oder wenn Flüchtlingseltern ihre Kinder wiederfinden wollen. Auch im Zeitalter von Internet und Mobilfunk gibt es immer noch Rot-Kreuz-Familiennachrichten, die weltweit an Angehörige weitergegeben werden, wenn sie denn gefunden werden. Denn auch in aktuellen Konflikten kann es passieren, dass alle anderen Kommunikationswege versagen.

In den unzähligen Konflikten in der Demokratischen Republik Kongo beispielsweise hat das Internationale Komitee des Roten Kreuzes allein von Juli bis September 2012 rund 11 900 Gefangene besucht. Außerdem hat es 176 Kinder wieder mit ihren Familien zusammenbringen können. Sowohl vermisste Flüchtlingskinder, die teilweise in Nachbarländern wiedergefunden worden waren, als auch Kinder, die von den Milizen als Kindersoldaten rekrutiert worden waren. Allein im Kongo hat das Rote Kreuz mehr als 8800 Familiennachrichten entgegengenommen und immerhin 8000 auch zuordnen und überbringen können. In Somalia, einem anderen Krisenherd, in dem das Rote Kreuz seit Jahren arbeitet, hat die Organisation allein im vergangenen Jahr 256 Familien wieder Kontakt mit Angehörigen ermöglicht, die in den Kriegswirren verloren gegangen waren. Dagmar Dehmer

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