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Ein Polizist trägt in Lörrach vor dem Wohnhaus der Amokläuferin Blumen und Kerzen. Vier Menschen starben beim Amoklauf von Sabine R.. Sie selbst wurde von Polizisten erschossen, um Schlimmeres zu verhindern.

© dpa

Täterin starb im Kugelhagel: Die Angst des Polizisten vor dem Todesschuss

Um in Lörrach Schlimmeres zu verhindern, haben die Polizisten auf die Amokläuferin Sabine R. geschossen. Sie haben sie erschossen. Jetzt werden sie betreut.

Sie müssen ruhig bleiben, klar denken, korrekt handeln. Das lernen sie bereits in ihrer Ausbildung. Dennoch ist ein Fall wie in Lörrach, wo Beamte die kalt um sich schießende Amokläuferin außer Gefecht setzen mussten, für Polizeikräfte eine Ausnahmesituation, wie Isabella Heuser, Leiterin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité, Campus Benjamin Franklin, erklärt. Eine normale und gesunde Reaktion sei, dass Menschen, die Zeugen eines Amoklaufs werden, in einem akuten Schockzustand sind: Sie stehen neben sich, fühlen sich weit von der Realität entfernt. „Das passiert fast immer“, erklärt Torsten Passie, Chefarzt der Oberbergklinik Berlin/Brandenburg. Je geordneter diese Erfahrungen im Gehirn abgespeichert werden, desto besser kann der Betroffene damit zurechtkommen, so dass die Bilder und das Erlebte nicht ständig wieder auftauchen – darüber sprechen hilft.

Dennoch geht jeder Polizist anders mit solchen Fällen um, wie Marion Krüsmann, Psychologin an der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärt. Mehr als 40 Prozent der Einsatzkräfte belaste es so sehr, geschossen zu haben, dass sie behandelt werden sollten. Bei manchen von ihnen kommt es zu posttraumatischen Belastungsstörungen: Sie haben quälende Erinnerungen, vermeiden, darüber zu sprechen, sie können sich nicht mehr konzentrieren, sind unruhig. Wie stark ein Polizist traumatisiert ist, hängt von seinem Einsatz ab: Hat er damit Schlimmeres verhindert oder hat er möglicherweise einen Unschuldigen getroffen? Auch seine psychische Stabilität vor dem Schuss ist entscheidend: Hat der Beamte ein gutes Selbstwertgefühl, eine Familie, die ihm beisteht?

Doch selbst, wenn die Bedingungen gut sind, kann der Schuss einen Polizisten stark belasten. Psychologen helfen dann. „Die Beamten müssen sich mit dem Vorgefallenen auseinandersetzen, um es zu verarbeiten“, erklärt Krüsmann. Da die Einsatzkräfte schon im Vorfeld geschult werden und lernen, wie sie selbst in diesen Ausnahmesituationen reagieren und wie sie sich fühlen werden, sei es sehr wahrscheinlich, dass sie danach wieder gesund werden. Dennoch kann es vorkommen, dass Polizisten so stark traumatisiert sind, dass sie nicht weiterarbeiten können. Für andere ist es wiederum eine Chance: „Sie verändern sich, kümmern sich stärker um Familie und Freunde“, sagt Krüsmann. Das Thema psychische Belastung sei seit zehn Jahren stärker in den Vordergrund gerückt, darüber zu sprechen sei mittlerweile in Polizeikreisen wie auch bei anderen Einsatzkräften weitgehend akzeptiert. Früher mussten Polizisten noch Stärke zeigen, wie die Psychologin erklärt. „Man darf die Polizisten nicht krank reden, aber das Thema auch nicht tabuisieren“, sagt Krüsmann.

Wie es den betroffenen Polizeibeamten in Lörrach nach dem Amoklauf geht, ist noch nicht zu sagen. Eine posttraumatische Belastungsstörung zeigt sich manchmal erst nach sechs Monaten, erklärt Heuser von der Charité. Seit Sonntagabend werden sie von Konfliktberatern betreut – Polizeibeamte, die eine zusätzliche psychologische Ausbildung haben. Sie suchen das Gespräch mit den Beamten, leisten erste psychologische Hilfe. Wenn das nicht ausreicht, können sie sich an Psychologen wenden.

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