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Panorama: Tagebuch 28./29.04.

Wir dokumentieren einige Auszüge aus dem Tagebuch der Oceana-Expedition aus der Zeit vom 22. April bis 6. Mai. Diese Teile sind von Paloma Lorena geschrieben, der Kommunikationschefin von Oceana Europa.

Donnerstag, 28. April 2005
Haie in Sicht

"Zurück zum Boot!", ruft Ricardo. In einer Tausendstelsekunde wird sich mein Gehirn der eigentlichen Bedeutung dieser Worte bewusst: "Gefahr - Haie!" Mein Kollege zeigt mit dem Finger nach unten, etwa zehn bis zwölf Meter tief, auf der linken Seite. Genau da, wo das Riff aufhört und eine tiefe Unterwasserschlucht mit Sandboden anfängt, sehe ich ein Tier auftauchen. Wenn ich könnte, würde ich mir die Augen unter Wasser reiben. Nach der ersten Faszination macht sich allerdings sofort große Angst breit. Ich versuche, mich ruhig zu bewegen und hänge mich an meinen Tauchkollegen, der mich in eine Felszone geringerer Tiefe drängt. Vor dem Zugriff des Hais geschützt schauen wir ihm zu, wie er mit einer Mischung aus Eleganz und Macht vorbeischwimmt und sein Revier beherrscht. Wir sind die Eindringlinge.

Auf einen Zeichen von Ricardo tauchen wir auf und schauen instinktiv zum Boot, um die Entfernung abzuschätzen, die wir schwimmend zurücklegen müssen. Wir befinden uns nur 60-70 Meter entfernt, wenngleich es uns sehr viel weiter vorkommt. Ich habe Angst, das uns auf dem Weg noch weitere Haie begegnen und angreifen könnten. "Jetzt, lass uns losschwimmen!", meint Ricardo. Während wir den sandigen Boden des Unterwassertals überqueren schaue ich nach unten und stelle fest, dass sich von rechts ein weiterer Hai nähert und nur etwa fünf Meter entfernt ist. Ich packe die Hand meines Kollegen, drücke fest zu und schwimme so dicht ich kann an ihn heran. Dabei schlage ich mit den Flossen - es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, als ob ich Blei in den Beinen hätten ... Ich beschließe, nicht noch einmal nach unten zu schauen. Als wir nur noch etwa zehn Meter zurücklegen müssen, fangen wir an, schneller zu schwimmen. Was ich in diesem Moment nicht wusste, war, dass sich links von uns noch ein weiterer Hai befand, wie mir Ricardo später erzählte.

Coral Caverns

Außer diesem kleinen Zwischenfall verlief alles bestens für uns, die Expeditionsteilnehmer von Oceana. Während die Taucher mit den Unterwasser-Film- und Fotoaufnahmen von den Haien beschäftigt waren, hatten wir beschlossen, in einem flachen Riff namens Coral Caverns (Korallenhöhlen) zu bleiben und nach Nassau-Zackenbarschen (Epinephelus striatus) Ausschau zu halten. Anders als bei anderen, ähnlichen Riffen, die wir bereits dokumentiert hatten (und wo sehr viele Jungfische vorhanden waren), war dieses von einer größeren Anzahl von ausgewachsenen und großen Fischen bevölkert.

Dort haben wir Papageifische (Scaridae) mit den für das Fortpflanzungsalter dieser Spezies charakteristischen Farben gesehen. "Wie die Papageifische weisen viele der Riffbewohner im Laufe ihres Lebens - vom Larvenstadium bis zur Reife - unterschiedliche Erscheinungen und Farben auf", erläutert Ricardo, während er uns den Führer zur Artenerkennung zeigt, in dem die unterschiedlichen Entwicklungsstadien gut zu erkennen sind. Wir haben ebenfalls zahlreiche Zackenbarsche und Tarpune (Megalops atlanticus), eine nach Süßwasserfisch aussehenden Spezies mit riesigen Schuppen und mitunter über zwei Meter Länge, ausgemacht. Unsere Kamerafrau Mar meint, sie seien "sensationell und sehen aufgrund ihrer Größe und Erscheinung prähistorisch aus".

Angriffe bilden eher die Ausnahme

So war der Stand der Dinge, als die Haie entschieden, dort aufzukreuzen, wo wir uns befanden, und nicht dort, wo sie von den Tauchern erwartet wurden. Das erste Exemplar war ein Bullenhai (Carcharhinus leucas), der neben dem weißen Hai (Carcharodon carcharias) und dem Tigerhai (Galeocerdo cuvieri) zu dem so genannten "teuflischen Trio" gehört. Die anderen beiden Tiere waren Schwarzspitzenhaie (Carcharhinus limbatus).

Einen Hai zu sehen, ist sicher immer eine aufregende Sache, wenngleich sie meist völlig harmlos sind. Angriffe bilden eher die Ausnahme. Das heißt aber nicht, dass man nicht vorsichtig sein müsste. Das ist genauso, wie wenn man in einer Savanne auf Löwen stoßen würde. Das gilt vor allem, wenn einer der Haie - wie der, der gerade an uns vorbeigeschwommen ist - ein über zwei Meter langer Bullenhai ist.

Die Erfahrung in Coral Caverns war so fruchtbar, dass wir beschließen, am Nachmittag in zwei weiteren Tauchgängen zurückzukehren. Wir hatten allerdings nicht mit einem neuen Zwischenfall gerechnet: Gerade als Mar ins Wasser gesprungen war, erklang der Feuchtigkeitsalarm ihrer Kamera.

Freitag, 29. April 2005
Die Rückkehr zu den Korallenhöhlen

Mar ist heute Vormittag an Bord der Ranger geblieben, um das Gehäuse zu reinigen, das ihre Videokamera unter Wasser schützt. Als wir nach den täglichen Tauchgängen zu unserer Operationsbasis in Green Turtle Cay zurückkehrten, war Mar gerade damit beschäftigt, jeden einzelnen Bestandteil des Gehäuse zu überprüfen: Schrauben, druckfeste Dichtungen, Dichtungsringe, Henkel, 32 O-Ring-Dichtungen & Glücklicherweise schwamm sie gestern, als der Feuchtigkeitsalarm einsetzte, noch an der Wasseroberfläche und filmte vom Wasser aus die anderen Taucher, Houssine und Sole, beim Vorbereiten ihrer Tauchausrüstungen. Mar zeigte gute Reflexe, zog sich die Tarierweste (in Taucherkreisen auch als "Jacket" bekannt) aus, bat Brendal, die Kamera zu übernehmen, und rief Houssine zu: "Nicht, spring nicht! Es ist Wasser in die Kamera eingedrungen!"

Als sie das Gehäuse an Bord öffnete, lief ein Wasserstrahl heraus, der erneut den Alarm auslöste.Während einer Expedition muss man es mit vielen Missgeschicken aufnehmen, aber vor allem muss man die Ruhe bewahren. So als ob man Haie gesehen hätte. Nachdem sich der erste Unmut wegen des Zwischenfalls mit der Kamera gelegt hatte, erledigte Annie Compton einige Telefonanrufe, um eine ähnliche Kamera in New York zu kaufen. Dazu mobilisierte sie alle ihre dortigen Kontakte. Wir mussten unsere Abfahrt von der Insel Abaco zwei Tage hinauszögern, sind jedoch beruhigt zu wissen, dass die neue Kamera schon morgen, Samstag, eintreffen wird. Die andere gute Nachricht ist, dass die beschädigte Kamera - nach eingehender Wartung durch Mar - vermutlich gerettet werden kann.

So sind heute also nur die Fotografen, Houssine und Sole, tauchen gegangen. Gestern traf das Taucherteam bei seiner Rückkehr von Coral Caverns zum Rettungsboot auf die Haie. Die Batterien von Soles Apparat waren leer und alle hatten kaum noch Luft in den Flaschen. "Ich hatte sie gar nicht bemerkt, als ich plötzlich bei einem Blick nach oben einen weißen Schatten mit einem riesigen Maul in Begleitung mehrerer Küstensauger erblickte. Bevor ich überhaupt reagieren konnte, hatte mich der Hai gesehen und schwamm blitzschnell davon." Währenddessen sahen wir von oben, wie sein Schatten Brendals Boot umkreiste und darunter hin- und herschwamm...

Heute lief alles ein wenig anders. Zwei Rochen, genau gesagt gefleckte Adlerrochen (Aetobatus narinari), erwarteten Sole und Houssine bei ihrem Sprung ins Wasser in der Umgebung der Coral Caverns, auf die wir unsere Arbeit konzentrierten. Und die Haie waren auch dort. Wir wussten, dass wir in dieser Gegend vor allem Riffhaie, Schwarzspitzenhaie und Bullenhaie finden würden, hatten jedoch noch nicht so früh mit ihnen gerechnet. Die Karibischen Riffhaie (Carcharhinus perezi) und die Schwarzspitzenhaie (Carcharhinus limbatus) sind sich sehr ähnlich. Sie unterscheiden sich allerdings aufgrund der Zeichnungen an den Analflossen und der Maserung bzw. Farbstreifen an den Seiten. Beide Spezies finden sich in untiefen Gewässern rund um Korallenriffe.

Der Bullenhai (Carcharhinus leucas), wie das gestern gefilmte Exemplar, ist eine der Arten mit dem schlechtesten Ruf. Er kann sich in sehr flachem Gewässer mit einer Tiefe von bis zu einem Meter aufhalten und sogar in Flussbetten eindringen.Die "Lorenzinischen Ampullen" Während wir auf unsere Kollegen warten, fährt Ricardo mit seinen Erläuterungen fort. "In Ermangelung von Händen verwenden die Fische ihr Maul, um die Objekte und Lebwesen, auf die sie treffen, zu identifizieren. Das ist ihr Tastsinn. Wenn du von einer Grundel berührt wirst, passiert gar nichts, doch bei einem Bullenhai sieht die Sache schon anders aus. Sie sind überaus neugierige Tiere, so dass die meisten Unfälle darauf zurückzuführen sind, dass sie dieses merkwürdige Tier' vor ihnen mit dem Maul berühren mussten."

Wir erfahren auch, dass die Haie dank ihres Geruchssinns in der Lage sind, selbst geringe Konzentrationen von Substanzen im Wasser aufzuspüren, so etwa Blut oder Stoffe, die der Mensch bei Angst abgibt. Neben dem Sehvermögen und dem Geruchssinn befindet sich unter ihrer Nase ein System aus elektrischen Sensoren (die so genannten "Lorenzinischen Ampullen"), welche die Stromwellen der Lebewesen unter Wasser entdecken. Unsere Taucher schwimmen ruhig zwischen den Haien umher. Stößt man auf einen Hai, lautet die oberste Regel, die Ruhe zu bewahren. Mar meint, die Haie vollführten eine Art Tanz: erst schwimmen sie im Zickzack, dann krümmen sie sich zusammen und schießen letztlich wie bei einem Sprint los. Haie sind nachts aktiver, weil sie dann fressen. "Dieselben Fische, die sie vormittags begleiten und wie Schoßtiere umgeben, verstecken sich nachts, weil sie wissen, dass die Haie dann auf Jagd gehen."

Wir entdecken auch, dass die Meeresschildkröten für die Tigerhaie eine wahre "Delikatesse" sind. Er gehört neben den Bullenhaien zu den wenigen Wasserbewohnern, die in der Lage sind, den Panzer - wie ein Nussknacker - zu durchbrechen. Sie lauern ihnen in der Nähe von Stränden auf, wenn die Schildkröten zur Eiablage hin- und herschwimmen. Die übrigen Haiarten versuchen dies zwar auch, können ihnen aber meist gerade mal eine Flosse abreißen. Die Meeresschildkröten haben ihre Fähigkeit, sich in den Panzer zurückzuziehen, verloren. Sie fiel der Evolution zum Opfer, um mehr im Gegenzug mehr Beweglichkeit und Manövrierfähigkeit im Wasser zu erzielen.

Fototour: Bilder der Expedition - Teil 2
Fototour: Bilder der Expedition - Teil 1
Tagebuch vom 01./02.05.
Tagebuch vom 05./06.05.
Weitere Informationen finden Sie unter Oceana.org. (tso)

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