zum Hauptinhalt
Kennedy

© AFP

Ted Kennedy: Der Löwe ist krank

Ein Senator mit der Autorität eines Präsidenten: Ted Kennedy hat einen Gehirntumor – und Amerika leidet.

Er trägt einen berühmten Namen. Er ist bereits zu Lebzeiten eine Legende, genau wie seine beiden ermordeten Brüder. Und er ist eine imposante Erscheinung mit markanten Gesichtszügen. Touristen, die das Capitol besuchen, den Sitz des US-Parlaments, bleiben stehen und deuten ihm mit dem Finger nach, wenn er durch die Flure schlendert. Edward Kennedy ist zwar kein Präsidentschaftskandidat 2008 und seine eigene Bewerbung 1980 liegt bereits mehr als ein Vierteljahrhundert zurück. Aber seinen charakteristischen Quadratschädel mit dem breiten, die Zähne freilegenden Lachen und dem weißen Haar kennen die meisten. Durch seine zentrale Rolle in 45 Jahren Gesetzgebung hat er das Land stärker geprägt als die meisten Präsidenten.

Mit keiner anderen Familie leiden die Bürger der USA in ähnlicher Weise bei Schicksalsschlägen. Diesmal kommt der Tod nicht als Überraschung. Es sind keine Kugeln aus dem Hinterhalt, wie sie Präsident John F. Kennedy 1963 bei der Fahrt im offenen Wagen durch Dallas trafen. Und fünf Jahre später den anderen Bruder, Robert „Bobby“ Kennedy, als der sich 1968 um das Weiße Haus bewarb. Das geschah in Los Angeles, nach seinem Vorwahlsieg in Kalifornien. Der Tod kommt auch nicht als Unfall wie 1999, als John F. Kennedys gleichnamiger Sohn, seine Frau Carolyn Bessette und deren Schwester beim Anflug zu einer Familienfeier in Martha’s Vineyard in der von John gesteuerten Propellermaschine abstürzten. Diesmal genügt die Ahnung eines mutmaßlich absehbaren Todes, um Amerika in ein neues Kapitel des Leidens mit den Kennedys zu stürzen.

Sie nennen ihn „Ted“. Am Samstag hatte der 76-jährige Senator von Massachusetts einen Schwächeanfall erlitten. Es sah zunächst nach einem Schlaganfall aus, er wurde ins Krankenhaus gebracht. Am Dienstag, nach mehreren Untersuchungen, tröpfelten Details in die Öffentlichkeit: Ted hat einen Gehirntumor, die Aussichten sind nicht gut. Die Hälfte der Patienten mit einem Gliom, wie es bei ihm diagnostiziert wurde, stirbt innerhalb eines Jahres. Nach zwei Jahren sind nur noch ein Viertel am Leben.

In Washington tagte gerade der Senat. Gestandene Männer, die sonst für ihre politische Härte gerühmt werden, brachen am Mikrofon in Tränen aus, als sie in ihre Debattenbeiträge Genesungswünsche einflochten. Robert Byrd, der 90-jährige Senator von West Virginia und der einzige, der länger im Senat sitzt als Kennedy, sagte mit zitternder Stimme: „Ted, Ted, mein lieber Freund, ich liebe dich und ich vermisse dich.“ Der Republikaner John Warner bekannte: „Ich bin so traurig, dass mir die Worte fehlen.“

Am Mittwoch Mittag feierte der Kongress in der Rotunda unter der Kuppel des Capitols den 100. Geburtstag von Lyndon B. Johnson. Der war 1963 nach JFK’s Ermordung Präsident geworden. Auch hier wurde so viel Freundliches über Ted gesagt, dass manche am Ende kaum noch wussten, wer da eigentlich geehrt wurde: Johnson oder Ted Kennedy?

Der Betroffene war zu dieser Stunde bereits eifrig bemüht, jeden Eindruck zu widerlegen, dass die Zeit für Nachrufe gekommen sei. Um 10 Uhr 20 hatten ihn die Ärzte aus dem Krankenhaus entlassen. Am Ausgang begrüßten ihn Ehefrau Victoria, Tochter Kara, Sohn Patrick – und seine beiden Pudel Sunny und Splash, die aus Teds Senatorenleben in Washington kaum wegzudenken sind. Mit ihnen spielt er im Park hinter seinem Büro oft Fangen. Ted zog es nun nach Hause, auf sein Anwesen auf der Halbinsel Cape Cod an der Atlantikküste. Dort unternahm er als Erstes einen längeren Segelausflug mit seinem Boot „Mya“, fleißig fotografiert beim Ab- und Anlegen im Hafen von Hyannis.

Schon am Wochenende, vor der Tumordiagnose, hatte er den Medien seinen Lebenswillen demonstriert: Er habe die unerwartete Muße im Krankenhaus genossen, ein Baseballspiel der Boston Red Sox geschaut und mit der Familie ein Dinner aus Meeresfrüchten gegessen.

Warum bewegt Teds Krankheit uns so sehr, fragen nun ernsthafte Medien wie die „New York Times“, die nicht jede Erregungsblase in der Welt der Stars mitmachen. Es liege nicht nur am berühmten Namen. Ted ist ein Politikertypus, der ausstirbt. Einer, der in mehr als 45 Jahren im Senat Standfestigkeit erworben habe, der nicht nach Umfragewerten und der Popularität eines Standpunkts fragen muss. Es sei umgekehrt: Wenn Kennedy Position bezieht, gewinnt sie an Gewicht.

Er lässt seinem Temperament freien Lauf, vor allem wenn es um Themen wie das Recht auf Bildung, den Patientenschutz oder das Einwanderungsrecht geht. Da kann er kämpfen wie ein Löwe. Mit donnernder Stimme und bisweilen vor Erregung gerötetem Kopf zieht er dann über die Gegner her – manchmal so laut, dass man es auch ohne TV-Übertragung in den Fluren um die Senatskammer hört. Es traf sich, dass Präsident George W. Bush am Mittwoch ein Gesetz unterzeichnete, für das Ted jahrelang gekämpft hatte: Es verbietet Krankenversicherung, genetische Tests zu nutzen, um das Risiko ihrer Versicherten abzuschätzen und Kunden auszuschließen.

Karrieren wie seine sind in Zukunft kaum mehr möglich, prognostiziert die „New York Times“; der Einfluss der immer schnelleren Medien begünstige häufigere Wechsel. Als Ted 1962 Senator wurde, verdankte er das dem Ansehen seiner Familie. Er hatte gerade erst das Mindestalter von 30 Jahren erreicht. Die Kennedys beherrschten die Politik in Massachusetts seit Ende des Zweiten Welkriegs, 1962 griffen sie nach der Macht in Washington. Teds ältester Bruder JFK wurde Präsident. Mit seiner Frau Jackie etablierte er ein republikanisches Pendant zu Königshäusern. Mit viel Glamour wurde an der Legende von „Camelot“ gestrickt: die Kennedys als Thronanwärter. Jetzt steht die nächste Generation bereit für die Senatskarriere. Aber hat sie das Format der Alten? Als Präsidenten unterstützt Ted Barack Obama, weil der ein „schwarzer Kennedy“ sei.

Den Skandal, den Ted 1969 entfachte, würde ein Politiker heute wohl nicht überstehen. Er steuerte das Auto, das von einer Brücke in den Kanal zwischen Martha’s Vineyard und Chappaquiddick Island stürzte. Ted konnte sich retten, seine Wahlkampfhelferin Mary Jo Kepechne ertrank. Er meldete das erst am nächsten Tag bei der Polizei, vermutlich weil er zur Zeit des Unfalls betrunken war – und erhielt am Ende nur eine Bewährungsstrafe von zwei Monaten.

Über solche Flecken in Teds Lebens sehen die USA in diesen Tagen weg. Alle loben seinen Kampfgeist, wie bisher in der Politik, so nun gegen den Tumor.

Zur Startseite