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Panorama: Telefonier dich schlank

Kauen, putzen, mit den Füßen wippen – es sind die beiläufigen Bewegungen, die Menschen dünn machen. Sagen Forscher

Fußwippen statt Aerobic, telefonieren statt joggen, bügeln statt schwimmen – wer schlank sein will, muss nicht leiden. Das sagen zumindest amerikanische Forscher von der Mayo Klinik in Rochester im Bundesstaat Minnesota. In einer im Fachmagazin „Science“ veröffentlichten Studie kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass schon die kleinen, alltäglichen Aktivitäten beim Abnehmen helfen können. Der Körper verbrenne selbst dann Kalorien, wenn er nur mit dem Fuß den Takt klopfe, schreiben James Levine und seine Kollegen.

„Neat“ heißt das Zauberwort des Forscherteams. Nicht in erster Linie, weil „neat“ im Englischen ein hübsches, zierliches Äußeres beschreibt. Neat steht für „non-exercise activity thermogenesis“, zu deutsch etwa: Verbrennung durch nicht an Sport gebundene Aktivitäten. Darunter fallen alle Beschäftigungen, mit denen Menschen ihren Alltag bewältigen, auch unbewusste Handlungen wie nervöses Wippen mit dem Fuß, Kaugummikauen oder Gestikulieren.

Übergewicht hat in hoch entwickelten Gesellschaften epidemische Ausmaße erreicht. In Deutschland waren nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2003 rund die Hälfte aller Erwachsenen zu dick. 13 Prozent hatten nach Definition der Weltgesundheitsorganisation starkes Übergewicht. In den USA schleppen heute zwei Drittel der Bevölkerung zu viele Pfunde mit sich herum, ein Viertel gilt als fettleibig. Experten gehen davon aus, dass dieser Anteil bis 2010 auf 40 Prozent anwachsen könnte. Dem amerikanischen Gesundheitssystem entstanden durch die Folgen von Fettleibigkeit 2003 Kosten von 75 Milliarden Dollar.

Fehlende körperliche Aktivität gilt zusammen mit ungesunder Ernährung als hauptursächlich für Übergewicht. Die Schlussfolgerung daraus lautet: Wer mehr Sport treibt, lässt die Pfunde purzeln. Levine und seine Mitarbeiter wollen niemanden vom Sport abhalten. Im Gegenteil, sie halten Sport für sehr sinnvoll. Sie glauben aber, mit der Konzentration auf die Routinen des täglichen Lebens eine alternative Strategie zur Gewichtskontrolle gefunden zu haben. Für ihr Experiment statteten sie zehn schlanke und zehn mäßig übergewichtige, selbst ernannte „Couch potatoes“ mit Sensoren aus, die jede noch so kleine Bewegung registrierten, 120 Mal in der Minute. Über zehn Tage überwachten die Forscher so ihre Testpersonen, die alle einen Beruf ausübten, bei dem sie vorwiegend im Sitzen arbeiteten. Die exakt gleich portionierten Mahlzeiten nahmen sie ausschließlich in der Klinik ein. Die Auswertung ergab, dass die Schwergewichte im Tagesdurchschnitt mehr als zweieinhalb Stunden länger gesessen hatten als die mageren Studienteilnehmer, genau 164 Minuten. Deswegen, so errechneten die Wissenschaftler, verbrannten die schweren Probanden täglich rund 350 Kalorien weniger als die schlanken.

Das Bewegungsschema änderte sich auch nicht, als die Schlanken durch vermehrtes Essen vier Kilogramm zunahmen und die Übergewichtigen während einer Diät acht Kilo verloren. Mit anderen Worten: Offensichtlich bewegen sich dicke Menschen nicht weniger, weil sie dick sind, sondern sie sind dick, weil sie sich weniger bewegen. „Übergewichtige Menschen scheinen ein biologisch bedingtes Bedürfnis zu haben, mehr zu sitzen“, schlussfolgert James Levine.

Dass füllige Menschen aufgrund ihrer genetischen Veranlagung allerdings dazu verurteilt seien, dick zu werden, lässt Levine nicht gelten. „Wenn das so wäre, wäre Übergewicht heute genauso verbreitet wie vor 50 Jahren.“ Die US-Forscher glauben, dass übergewichtige Menschen sich schneller dazu verleiten lassen, sich zu setzen, wenn ihre Umgebung ihnen die Möglichkeit dazu bietet. Demnach könnte der Arbeitsplatz so eingerichtet werden, dass verschiedene Tätigkeiten im Stehen erledigt werden müssen. Das Institut für Prävention und Nachsorge in Köln hat errechnet, dass eine 100 Kilo schwere Person während eines zehnminütigen Telefonats 34 Kalorien verbrennen kann – wenn sie dabei hin- und hergeht. Auch auf den Aufzug zu verzichten lohnt sich: Zehn Minuten Treppensteigen macht 135 Kalorien aus, das ist mehr als in der gleichen Zeit bei ruhigem Schwimmen (siehe Kasten). James Levine macht Sportmuffeln Hoffnung. Er glaubt, dass seine übergewichtigen Probanden auf ein Jahr hochgerechnet rund 15 Kilo abnehmen könnten, wenn sie sich im Alltag beiläufig genauso viel bewegten wie die schlanken Testpersonen.

Schöne Aussichten. Und wer sich überhaupt nicht vom Sofa aufraffen kann, der kann ja beim Fernsehen immer noch mit dem Fuß wippen.

Philipp Wittrock

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